Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 29. April 2014 – II ZR 395/12 – eine seit langem umstrittene Frage zu der Begebung von Genussscheinen durch Kreditinstitute geklärt: Steht die aufsichtsrechtliche Regelung zu dem „Kernkapital“ nach dem Gesetz über das Kreditwesen (KWG) Schadensersatzansprüchen von Inhabern von Genussscheinen gegen Kreditinstitute entgegen?
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten war eine Hypothekenbank. Sie begab seit 1996 Genussscheine. Nach den Bedingungen der Genussscheine wurden die Inhaber verhältnismäßig an Verlusten der Gesellschaft beteiligt. Die Beklagten führte in den Jahren 2001/2002 Zinsderivatgeschäfte über 13.991.000.000,00 € durch. Wegen Drohverlusten bildete die Beklagte Anfang 2002 bilanziell eine Vorsorgereserve. Trotz unterschiedlicher Sanierungsmaßnahmen wies die Gesellschaft für das Geschäftsjahr 2005 einen Fehlbetrag in Höhe von 1.083.400.000,00 € aus. Das Genussscheinkapital wurde daraufhin im dreistelligen Millionenbereich reduziert. Im Geschäftsjahr 2006 wurde ein weiterer Fehlbetrag von 575.000.000,00 € festgestellt und das Genussscheinkapital um weitere 103.000.000,00 € reduziert. Die Beklagte zahlte daraufhin ab dem Jahr 2005 auf die jeweils fälligen Rückzahlungen der Genussscheine nur noch Teilbeträge aus.
Die Kläger des Verfahrens waren durch Abtretung Inhaber von Genussscheine geworden. Sie machten mit ihrer Klage Zahlung der Differenz zwischen den Nennbeträgen der Genussscheine und den tatsächlichen Rückzahlungsbeträgen geltend. Sie begründeten den Schadensersatzanspruch damit, dass der Vorstand der Beklagten mit den Zinsderivaten Geschäfte durchführte, die außerhalb des Unternehmensgegenstandes lagen und die ein „seriöser“ Kaufmann „schlechterdings“ nicht durchführen würde. Die Klagen und die Berufungen der Kläger hatten keinen Erfolg. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und wies das Verfahren zur weiteren Verhandlung an das Berufungsgericht zurück.
Schadensersatzansprüche von Genussrechtsinhabern gegen die Gesellschaft sind seit der Entscheidung des BGH vom 5. Oktober 1992 – II ZR 172/91 – „Klöckner“ anerkannt. Der BGH hat sich in dieser Entscheidung vom 5. Oktober 1992 gegen die Rechtsprechung des Reichsgerichts ausgesprochen und Schadensersatzansprüche von Genussrechtsinhabern gegen die Gesellschaft anerkannt. Danach haftet die Gesellschaft Genussrechtsinhabern zwar nicht für jede Pflichtverletzung. Ein Schadensersatzanspruch kommt allerdings in Betracht, wenn Organe der Gesellschaft Geschäfte getätigt haben, die erkennbar außerhalb des Unternehmensgegenstandes lagen und mit der Verantwortung eines „seriösen Kaufmannes“ für die Geschicke der Gesellschaft nicht zu vereinbaren seien.
Bei Kreditinstituten war allerdings seit der „Klöckner“-Entscheidung des BGH vom 5. Oktober 1992 unklar, ob die Regelungen zum „Ergänzungskapital bzw. haftenden Eigenkapital“ nach KWG einem Schadensersatzanspruch der Genussrechtsinhaber entgegensteht. Gemäß § 10 Abs. 5 S. 3 KWG a.F. war bestimmt, dass die „Teilnahme“ der Genussrechtsinhaber am Verlust der Gesellschaft nicht zum Nachteil des Kreditinstitutes geändert werden darf. Aus dieser Regelung hat ein gewichtiger Teil der Literatur die Folge gezogen, dass damit auch Schadensersatzansprüche von Genussrechtsinhabern gegen ein Kreditinstitut ausgeschlossen seien. Ansonsten würde „mittelbar“ die nach KWG zwingende Verlustbeteiligung der Genussrechtsinhaber beseitigt werden, da die Schadensersatzansprüche auf die Auszahlung der Genussrechte zu den jeweiligen Nennbeträgen ohne die Verlustbeteiligungen gerichtet seien.
Der BGH folge dieser Auffassung nicht und entschied, dass Schadensersatzansprüche der Genussrechtsinhaber durch die Regelung im KWG über das Ergänzung- bzw. das Haftungskapital nicht ausgeschlossen seien.
Die Regelung im KWG habe „aufsichtsrechtlichen“ Charakter und stellt demnach eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Kreditinstitute dar. Für das zivilrechtliche Verhältnis zwischen den Kreditinstituten als Begeber der Genussrechte und den Erwerber der Genussrechte könne sich aus dieser öffentlich-rechtlichen Verpflichtung keine Sperrwirkung zu Lasten der Inhaber der Genussrechte ergeben. Ansonsten würden die Inhaber der Genussrechte schutzlos gestellt werden, da sie selbst bei groben Pflichtverletzungen des Vorstandes keine Schadensersatzansprüchen geltend machen könnten. Eine unzumutbare Belastung für Kreditinstitute ergebe sich hieraus nicht. Schadensersatzansprüche von Genussrechtsinhabern setzten weiterhin voraus, dass eine besonders grobe Pflichtverletzung der Organe der Gesellschaft festgestellt wird. Nicht jede Pflichtverletzung und jeder wirtschaftliche Verlust könne einen Schadensersatzanspruch der Genussrechtsinhaber begründen. Für den Ausnahmefall einer besonders groben Pflichtverletzung dürften die Anleger allerdings nicht schutzlos gestellt werden.
Der BGH wies die Angelegenheit zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurück. Das Berufungsgericht müsse nunmehr feststellen, ob die Organe der Beklagten durch das Eingehen der Zinsderivate ein Geschäft außerhalb des Unternehmensgegenstandes durchgeführt haben, die mit der Tätigkeit eines „seriösen Kaufmannes“ schlechterdings nicht zu vereinbaren seien. Der BGH gab dem Berufungsgericht als „Wertung“ vor, dass weder ein Micro-Hedging noch ein Makro-Hedging Geschäfte darstellen, die mit der Tätigkeit eines „seriösen Kaufmannes“ nicht zu vereinbaren seien. Zinsderivatgeschäfte wären nach dem Unternehmensgegenstand der Beklagten nur dann „schlechterdings“ mit der Tätigkeit eines „seriösen“ Kaufmannes unvereinbar, wenn diese nicht als Sicherungsgeschäfts eingesetzt worden seien, sondern ausschließlich zur Gewinnerzielung. Das Berufungsgericht habe dies aufzuklären.
Fazit:
Der BGH hat mit dieser Entscheidung geklärt, dass auch Genussrechtsinhaber von Banken Schadensersatzansprüche geltend machen können, ohne dass die aufsichtsrechtlichen Regelungen des KWG dem entgegen stehen. Die „Früchte“ eines Schadensersatzanspruches hängen aber weiterhin hoch. Schadensersatzansprüche von Genussrechtsinhabern bestehen nur bei besonders groben Pflichtverletzungen. Anerkannte sind nach den beiden Entscheidungen vom 15. Oktober 1992 („Klöckner“) sowie vom 29. April 2014 Spekulationsgeschäfte, die sich außerhalb des Unternehmensgegenstandes bewegen und die von einem „seriösen“ Kaufmann „schlechterdings“ nicht durchgeführt werden. Speziell für Hedging-Geschäfte hat der BGH in der Entscheidung vom 29. April 2014 betont, dass diese nur dann grob pflichtwidrig sein können, wenn sie ausschließlich zur Gewinnerzielung eingesetzt werden und nicht – jedenfalls auch – als Sicherungsgeschäfte. Die Anleger müssen daher bei den Schadensersatzklagen nicht nur darlegen und beweisen, dass die einzelnen Verlustgeschäfte betriebswirtschaftlich nicht zu rechtfertigen, sondern mit der „Seriosität“ eines Kaufmannes „schlechterdings“ nicht zu vereinbaren seien.
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