05.08.2014 -

Ärztliche Diagnosen können den Betroffenen sowie seine Angehörigen psychisch schwer belasten. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Arzt für eine hierdurch entstandene Depression eines nahen Angehörigen nicht haftbar gemacht werden kann.

Der Fall (verkürzt):

Die Klägerin beanspruchte von dem beklagten Oberarzt einer Fachabteilung für Psychiatrie und Psychotherapie Ersatz materiellen und immateriellen Schadens wegen der Information über eine bei ihrem geschiedenen Ehemann festgestellte Erbkrankheit.

Der von der Schweigepflicht gegenüber der Klägerin entbundene beklagte Arzt ihres geschiedenen Ehemanns hatte auf dessen Wunsch die Klägerin über dessen Erkrankung „Chorea Huntington“ informiert und sie darauf hingewiesen, dass ihre – zu diesem Zeitpunkt 12 und 16 Jahre alten – gemeinsamen Kinder die genetische Anlage der Erkrankung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % geerbt hätten. Diese Mitteilung hatte bei der Klägerin eine reaktive Depression zur Folge wegen der sie seit Anfang 2011 krankgeschrieben ist.

Mit der Klage begehrte die Klägerin Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 15.000 €. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung hat das Oberlandesgericht den Leistungsantrag dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Die Entscheidung:

Der Bundesgerichtshof hat die Klage abweisende Entscheidung des Landgerichts mit folgender Begründung wiederhergestellt:

Die Erkrankung der Klägerin sei dem Beklagten haftungsrechtlich nicht zuzurechnen. Zwar sei das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass durch die Mitteilung belastender Informationen ausgelöste psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen können. Vorliegend fehle es aber an dem für eine Haftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen der Mitteilung des Beklagten und der von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsverletzung, da sich eine Gefahr realisiert habe, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen sei. Da der geschiedene Ehemann der Klägerin mit seiner – bereits seit einiger Zeit ausgebrochenen und mit deutlichen Symptomen einhergehenden – Erkrankung offen umgehe und sowohl die gemeinsamen Kinder als auch seinen Bekanntenkreis informieren wollte, hätte die Klägerin diese Kenntnis jederzeit anderweitig erlangen können. Es gehöre zu den allgemeinen Lebensrisiken und falle daher nicht in den Bereich der Gefahren, vor denen § 823 Abs. 1 BGB schützen will, so die Richter. Die Bestimmung bezwecke nicht den Schutz eines sorgeberechtigen Elternteils vor den psychischen Belastungen, die damit verbunden seien, dass er von einer genetisch bedingten Erkrankung des anderen Elternteils und dem damit einhergehenden Risiko Kenntnis erlange, dass die gemeinsamen Kinder auch Träger der Krankheit sein könnten.

Nach Auffassung des BGH steht der Klägerin auch kein Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Ausprägung eines „Rechts auf Nichtwissen“ zu. Die Kenntnis von Erbanlagen, insbesondere genetisch bedingten Krankheitsanlagen, könne maßgeblichen Einfluss auf die Lebensplanung und Lebensführung einer Person haben und berühre deshalb unmittelbar das in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Selbstbestimmungsrecht. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse deshalb ein „Recht auf Nichtwissen der eigenen genetischen Veranlagung“, das den Einzelnen davor schützt, Kenntnis über ihn betreffende genetische Informationen mit Aussagekraft für seine persönliche Zukunft zu erlangen, ohne dies zu wollen. In diesem Recht sei die Klägerin allerdings nicht betroffen. Sie stütze die geltend gemachten Schadensersatzansprüche nämlich nicht auf eine Mitteilung ihrer eigenen genetischen Konstitution, sondern darauf, dass der Beklagte sie über eine bei ihrem geschiedenen Mann bestehende Erkrankung informiert habe, deren genetische Anlage ihre Kinder möglicherweise geerbt hätten.

Auch Schadensersatzansprüche der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Gendiagnostikgesetz als „Schutzgesetz“ lehnt der BGH ab. Denn das Gesetz enthalte keine Bestimmung, wonach das Ergebnis einer diagnostischen genetischen Untersuchung trotz ausdrücklicher schriftlicher Einwilligung des von der Untersuchung Betroffenen solchen Personen nicht bekanntgegeben werden dürfte, die – wie die Klägerin – mit dem Betroffenen genetisch nicht verwandt seien.

Hinweis für die Praxis:

Im Rahmen derartiger Dreierkonstellationen ist die Weitergabe von Informationen an möglicherweise betroffene Verwandte problematisch. Die widerstreitenden Interessen versucht § 10 Abs. 3 S. 4 Gendiagnostikgesetz zu lösen:

„Ist anzunehmen, dass genetische Verwandte der betroffenen Person Träger der zu untersuchenden genetischen Eigenschaften mit Bedeutung für eine vermeidbare Erkrankung oder gesundheitliche Störung sind, umfasst die genetische Beratung auch die Empfehlung, diesen Verwandten eine genetische Beratung zu empfehlen.“

Fazit:

Die Anzahl der gendiagnostischen Untersuchungen hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Dementsprechend gewinnen auch die daraus resultierenden Rechtsfragen an Bedeutung. Die Entscheidung des BGH ist zu begrüßen. Das Gericht geht zutreffend davon aus, dass Beeinträchtigungen, die durch die Mitteilung von nahestehende Dritte betreffenden ärztlichen Diagnosen ausgelöst werden, von den Betroffenen grundsätzlich hinzunehmen sind, ohne den Überbringer der Nachricht dafür verantwortlich machen zu können. Die Richter stellen klar, dass es im Rahmen des Gendiagnostikgesetzes bei dem Recht auf Nichtwissen um das Recht von „Betroffenen” hinsichtlich ihrer eigenen genetischen Disposition geht. Der BGH schafft damit – zumindest in derartigen Fällen – sowohl für die beteiligten Patienten als auch für die behandelnden Ärzte Rechtssicherheit.

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