11.08.2014 -

Das deutsche Arbeitsrecht kennt kein grundsätzliches Beweisverwertungsverbot im Prozess. Maßgeblich sind immer die konkreten Umstände im Einzelfall. In einem ausführlichen Urteil hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zu Beweisverwertungsverboten weiter präzisiert (BAG, Urteil v. 20.06.2013 – 2 AZR 546/12). Die Entscheidung ist nicht nur im Hinblick auf das prozessuale Beweisverwertungsverbot, sondern auch im Kontext einer Verdachtskündigung und der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG von Bedeutung.

Der Fall (verkürzt):

Der beklagte Arbeitgeber betreibt sogenannte Cash and Carry Märkte. Der 1971 geborene Arbeitnehmer war in einem der Großhandelsmärkte seit August 1994 als Verkaufsmitarbeiter in der Getränkeabteilung tätig.

Am 4. März 2011 war der Kläger in der Spätschicht von 15.00 Uhr bis 22.00 Uhr eingesetzt. Wegen eines lautgewordenen Diebstahlverdachts öffnete der zuständige Geschäftsleiter im Beisein eines Betriebsratsmitglieds während der Arbeitszeit den privaten und verschlossenen Spind des Klägers und durchsuchte ihn. Nach Behauptung des Arbeitgebers wurde dabei vom Kläger entwendete Damenunterwäsche entdeckt. Der Geschäftsleiter äußerte daraufhin seine Absicht, gegen Ende der Schicht unter Hinzuziehung zweier Betriebsratsmitglieder eine Taschen-/Personenkontrolle durchzuführen. Dem Kläger gelang es jedoch, den Markt schon vorher unkontrolliert zu verlassen.

Der Kläger meldete sich am nächsten Tag für eine Woche arbeitsunfähig. Der Arbeitgeber teilte ihm schriftlich mit, er stehe im Verdacht, bestimmte Damenunterwäsche zum Verkauf aus dem Markt entwendet zu haben. Er lud ihn zu einem Gespräch am 11. März 2011, alternativ gab er ihm Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme bis zum 14. März 2011. Der Kläger ließ den Gesprächstermin verstreichen und gab binnen der Frist auch keine schriftliche Erklärung ab. Auf Befragen durch den Geschäftsführer äußerte er, er werde zu dem Vorwurf keine Angaben machen.

Im Anschluss hörte der Arbeitgeber den Betriebsrat zur fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung an. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung zu, die Kündigung wurde sodann ausgesprochen.

Der Arbeitgeber hat im Prozess u.a. die Auffassung vertreten, die heimliche Untersuchung des privaten Spindes verletze sein Persönlichkeitsrecht. Daraus gewonnene Erkenntnisse seien prozessual nicht verwertbar.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Kündigungsschutzklage stattgeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

I. Tatkündigung und Beweiswertungsverbot

Der Arbeitgeber hat die Kündigung vorrangig auf eine nachgewiesene Tat, nämlich die Entwendung der Damenunterwäsche, gestützt. Als Beweismittel stand ihm hier die Durchsuchung des privaten Spindes zur Seite. Das Bundesarbeitsgericht hat dieses Beweismittel abgelehnt und ein Beweisverwertungsverbot angenommen.

Arbeitnehmer müssen darauf vertrauen können, dass ihnen zugeordnete persönliche Schränke nicht ohne ihr Einverständnis geöffnet und durchsucht werden. Geschieht dies dennoch, liegt regelmäßig ein schwerwiegender Eingriff in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht vor, dessen Schutz Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet. Der Eingriff kann nur bei Vorliegen zwingender Gründe gerechtfertigt sein. Hinzu kommt, dass die Heimlichkeit einer in Grundrechte eingreifenden Maßnahme das Gewicht der Rechtsbeeinträchtigung typischerweise erhöht. Schon deswegen ist die prozessuale Verwertung von Ergebnissen einer Schrankdurchsuchung ausgeschlossen, die in Abwesenheit des Arbeitnehmers durchgeführt wurde und in seinem Beisein ebenso effektiv gewesen wäre.

Hinweis für die Praxis:

Das Beweisverwertungsverbot gilt in einem solchen Fall umfassend. Es dürfen nicht nur die gewonnenen Erkenntnisse nicht im Prozess berücksichtigt werden. Ein Erhebungsverbot schließt es auch aus, Personen, die die Schrankkontrolle selbst durchgeführt haben oder zu ihr hinzugezogen wurden, als Zeugen zu vernehmen. Der Nachweis einer Tatkündigung schied damit von vornherein aus.

II. Verdachtskündigung

Anders als im Strafrecht kann im Arbeitsrecht auch wegen eines dringenden Verdachts fristlos bzw. ordentlich gekündigt werden. Die kündigungsrechtliche Beurteilung hängt nicht von der strafrechtlichen Bewertung des mitgeteilten Kündigungssachverhalts ab. Entscheidend ist der mit dem Verhalten oder mit dem Verdacht einhergehende Vertrauensverlust.

Der Verdacht muss auf konkrete, vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende, Tatsachen gestützt sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er in der Sache zutrifft, der Verdacht muss also dringend sein. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen möchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus.

Hinweis für die Praxis:

Ist der Nachweis einer Tat unsicher oder unklar, sollte die Kündigung immer auch ergänzend als Verdachtskündigung ausgesprochen werden. So kann sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren alle Optionen offen halten und die Kündigung „zweigleisig“ begründen. Voraussetzung für den Ausspruch einer Verdachtskündigung ist aber immer die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers. Ohne Anhörung ist die Verdachtskündigung bereits formal unwirksam.

III. Inhalt der Betriebsratsanhörung

Der Betriebsrat muss zum Sachverhalt vor Ausspruch der Kündigung angehört werden. Soll die Kündigung nicht nur auf die Tat, sondern auch auf den Verdacht gestützt werden, muss der Betriebsrat auch hierzu angehört werden. Der Betriebsrat muss erkennen, wenn er zu einer Verdachtskündigung angehört werden soll. Es muss klargestellt werden, dass das Arbeitsverhältnis auch deshalb gekündigt werden soll, weil der Arbeitnehmer eines bestimmten rechtswidrigen Verhaltens dringend verdächtigt sei.

Hinweis für die Praxis:

Der Arbeitgeber muss also im Fall eines dringenden Tatverdachts sowohl den Mitarbeiter vor Ausspruch der Kündigung zu dem Verdacht anhören und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben, als auch den Betriebsrat in vollem Umfange über diesen Verdacht und das Ergebnis der Anhörung informieren. Nur dann ist der Arbeitgeber berechtigt, im Prozess die Kündigung ergänzend auch auf den dringenden Verdacht zu stützen.

Fazit:

Das Zusammenspiel von Verdachts- und Tatkündigung ist nicht nur kündigungsschutzrechtlich, sondern auch betriebsverfassungsrechtlich genau zu beachten. Der Arbeitgeber ist zur umfassenden Sachaufklärung verpflichtet. Heimliche Erkenntnisse, die aufgrund von erheblichen Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht gewonnen wurden, können im Prozess dabei nicht berücksichtigt werden.

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