30.03.2003 -

Arbeitsunfähige Arbeitnehmer haben Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bis zur Dauer von 6 Wochen. Der Anspruch beginnt allerdings nicht schon am 1. Tag eines neu begründeten Arbeitsverhältnisses, sondern erst nach 4-wöchiger ununterbrochener Dauer. Mit der Frage, ob diese Wartezeit von 4 Wochen auch dann erbracht werden muss, wenn das Arbeitsverhältnis unmittelbar im Anschluss an eine Berufsausbildung bei demselben Arbeitgeber abgeschlossen wird, hatte sich nun das Landesarbeitsgericht Sachsen zu befassen und die Frage verneint (Urt. v. 12. 6. 2002 – 9 Sa 170/02 -, veröffentlicht in: NZA-RR 2003, 127.

 

Der Sachverhalt der Entscheidung (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Arbeitgeber als Auszubildender für das Dachdeckerhandwerk beschäftigt. Nach Bestehen der Gesellenprüfung wurde er von dem früheren Ausbilder unmittelbar im Anschluss an die Berufsausbildung übernommen. Beginn des Arbeitsverhältnisses war der 21. August 2001.

 

In dem Zeitraum vom 21. August bis 10. September 2001 war der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt und hatte dies dem Arbeitgeber durch entsprechende Bescheinigungen auch nachgewiesen. Der Arbeitgeber leistete keine Entgeltfortzahlung. Krankengeld von der Krankenkasse wurde ebenfalls nicht gewährt.

 

Die Parteien stritten nun um die Vergütung für diesen Krankheitszeitraum. Der Arbeitgeber berief sich dabei auf die 4-wöchige Wartezeit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz.

 

Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage des Arbeitnehmers stattgegeben.

 

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Die Berufung des Arbeitgebers blieb erfolglos.

 

I. Wartezeit

 

Der Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nach 4-wöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses, § 3 Abs. 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Zweck der Wartezeit ist es, die Kostenbelastung der Arbeitgeber zu reduzieren. Sind die 4 Wochen abgelaufen, entsteht hingegen der Anspruch für volle 6 Wochen. Selbst wenn also ein Arbeitnehmer am 1. Tage seiner Beschäftigung für 10 Wochen krank wird, hat er nach Ablauf der 4-wöchigen Wartezeit Anspruch für weitere 6 Wochen Entgeltfortzahlung.

 

II. Wartezeit und vorangegangene Berufsausbildung

Wird ein Arbeitsverhältnis allerdings unmittelbar an ein Ausbildungsverhältnis angeschlossen, wird der Lauf der Wartefrist nach § 3 Abs. 3 EFZG hingegen nicht erneut ausgelöst. Das Landesarbeitsgericht Sachsen führt folgende Argumente für diese Rechtsposition an:

 

1. Zwischen beiden Vertragsverhältnissen (Ausbildungsverhältnis und Arbeitsverhältnis) besteht ein enger sachlicher Zusammenhang. Hätte das Ausbildungsverhältnis nicht bestanden, so wäre nicht im unmittelbaren Anschluss ein Arbeitsverhältnis begründet worden. Der Abschluss eines Arbeitsverhältnisses beruht nach allgemeiner Lebenserfahrung darauf, dass der Arbeitgeber die Person und die Fähigkeiten des jetzigen Arbeitnehmers schon einschätzen kann. Dies unterscheidet das Arbeitsverhältnis eines übernommenen Auszubildenden von einer Neueinstellung.

 

2. Bei der Berechnung der 6-monatigen Wartezeit nach § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ist ebenfalls anerkannt, dass Zeiten beruflicher Ausbildung zu berücksichtigen sind (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 2. 12. 1999 – 2 AZR 139/99 -, NZA 2000, 720). Die für das Kündigungsschutzgesetz entwickelten Grundsätze sind nach Auffassung des LAG Sachsen auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen.

 

3. Schließlich spricht auch die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Berufsbildungsgesetz (BBiG) für dieses Ergebnis. Danach sind auf den Berufsausbildungsvertrag, soweit sich aus seinem Wesen und Zweck nichts anderes ergibt, die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden. Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, dass Berufsaus­bildungsverhältnisse und Arbeitsverhältnisse gleichgestellt sind.

 

4. Schließlich folgt aus § 12 Abs. 1 Satz 2 BBiG, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch im Berufsausbildungsverhältnis erst nach 4-wöchiger ununterbrochener Dauer entsteht. Hat der Auszubildende aber die Wartezeit bereits einmal bei demselben (späteren) Arbeitgeber erbracht, ist für die nochmalige Erbringung der Wartezeit kein Raum.

 

Fazit damit:

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Arbeitnehmer, die unmittelbar nach Abschluss ihrer Berufsausbildung vom bisherigen Ausbilder übernommen werden, müssen die 4-wöchige Wartezeit nach § 3 Abs. 3 EFZG nicht erneut erfüllen. Derartige Arbeitsverhältnisse stehen vielmehr in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem vorangegangenen Berufsausbildungsverhältnis.

 

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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