09.10.2014 -

In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist die dauerhafte und beharrliche Arbeitsverweigerung als fristloser Kündigungsgrund an sich anerkannt. Wie ist aber eine solche Arbeitsverweigerung zu werten, wenn der Arbeitnehmer sich auf einen anderen Rechtsstandpunkt stellt, insoweit aber einem Rechtsirrtum unterliegt? Welche Grundsätze gelten und was Arbeitnehmer zu beachten haben, hatte nun das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden (BAG, Urteil vom 29.08.2013 – 2 AZR 273/12).  

Der Fall (verkürzt):

Die klagende Arbeitnehmerin war als außertarifliche Mitarbeiterin zu einem Jahresgehalt von ca. 95.000,00 € brutto als Referentin bei dem beklagten Arbeitgeber am Standort Essen beschäftigt. Eine konkrete Arbeitszeit war zwischen den Parteien nicht vereinbart. Nach Ziffer 2 Abs. 5 des Vertrages war sie aber verpflichtet, „auch außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit tätig zu werden“.

Im Betrieb besteht zusätzlich eine Betriebsvereinbarung zur Erfassung und Regelung der Arbeitszeit. Dort ist u.a. Folgendes geregelt:

§ 2 Arbeitszeit/Arbeitszeitrahmen/Servicezeit

1. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für Tarifangestellte bestimmt sich nach dem jeweils geltenden Tarifvertrag (zurzeit: Manteltarifvertrag Tarifgruppe RWE) und beträgt derzeit 38 Stunden für Vollzeitmitarbeiter.“

Der Arbeitgeber forderte die Arbeitnehmerin im Oktober 2010 auf, mindestens 7,6 Stunden täglich zu arbeiten. Die Aufforderung wurde, nachdem die Klägerin nicht reagierte, wiederholt. Die Klägerin wurde zusätzlich gebeten, ihr Arbeitsdefizit auszugleichen. Dieses Defizit betrug am 8. November 2010, berechnet auf der Basis einer 38-Stunden-Woche, 686,44 Stunden. Mit weiterem Schreiben aus November 2010 verlangte die Arbeitgeberin von der Klägerin, eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden einzuhalten.

Die Klägerin lehnte es auch in der Folgezeit ab, sich auf die Arbeitszeitvorgaben einzulassen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte beschäftige außertarifliche Mitarbeiter nicht nach Maßgabe einer konkreten Wochenarbeitszeit, sondern erwarte von ihnen, im Rahmen einer Vertrauensarbeitszeit ohne Anwesenheitsverpflichtung, lediglich bestimmte Arbeitsergebnisse. Erst recht bestehe keine Verpflichtung, täglich mindestens 7,6 Stunden zu arbeiten. Die im Anschlussvertrag getroffenen Regelungen seien unklar. Sie erfüllte daher auch weiterhin nicht die Vorgaben von 38 Stunden wöchentlich bzw. 7,6 Stunden täglich.

Der Arbeitgeber sprach daraufhin die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung aus.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen in vollem Umfange bestätigt.

I. Beharrliche Arbeitsverweigerung

Arbeitsverhältnisse können aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Fristlose Kündigungen werden von der Rechtsprechung in zwei Stufen geprüft: (1) Zunächst ist zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es (2) der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht.

Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellt u.a. die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers dar, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Das Verhalten der Arbeitnehmerin war damit an sich für eine fristlose Kündigung geeignet.

II. Einschätzungsrisiko trägt Arbeitnehmer!

Die Klägerin war hier der Auffassung, das Direktionsrecht des Arbeitgebers bezüglich Lage und Umfang der Arbeitszeit nicht beachten zu müssen. Diese Rechtsauffassung konnte sie aber nicht entlasten! Maßgebend für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine beharrliche Arbeitsverweigerung und damit eine erhebliche Vertragspflichtverletzung darstellt, ist die objektive Rechtslage. Der Arbeitnehmer kann sich einem vertragsgemäßen Verlangen des Arbeitgebers nicht dadurch – vorläufig – entziehen, dass er ein gerichtliches Verfahren zur Klärung der umstrittenen Frage einleitet. Andernfalls würde das Weisungsrecht des Arbeitgebers – ggf. über Jahre – in nichtgerechtfertigter Weise eingeschränkt. Verweigert der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als fehlerhaft erweist.

Hinweis für die Praxis:

In speziellen Fällen kann ein sogenannter unverschuldeter Rechtsirrtum des Arbeitnehmers vorliegen. Die Rechtsprechung ist hier aber äußerst streng. Unverschuldet in diesem Sinne ist ein Rechtsirrtum nur dann, wenn man mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte. An die insoweit zu beachtenden Sorgfaltspflichten sind hohe Maßstäbe anzulegen. Es reicht keinesfalls aus, dass sich die betreffende Partei ihre eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat. Der Ausnahmefall eines unverschuldeten Rechtsirrtums wird daher regelmäßig nicht vorliegen.

Fazit:

Die Arbeitnehmerin war hier an die Vorgaben des Arbeitgebers zu Umfang und Lage der Arbeitszeit gebunden. Sie konnte objektiv nicht davon ausgehen, für sie gelte keine bestimmte Arbeitszeit. Im Gegenteil: Sie war nicht bereit, ihre Arbeitskraft dem Umfang nach in vertragskonformer Weise anzubieten. Darin hat das Bundesarbeitsgericht zutreffend eine schwerwiegende Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten gesehen und damit die fristlose Kündigung sowohl auf der ersten Stufe („an sich“ Prüfung) als auch auf der zweiten Stufe (Interessenabwägung) bejaht.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung kann Arbeitnehmern nur dringend empfohlen werden, dem Direktionsrecht des Arbeitgebers auch dann umfassend Folge zu leisten, wenn hinsichtlich der Berechtigung Zweifel bestehen. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts macht deutlich, dass hier das Einschätzungsrisiko allein der Arbeitnehmer trägt und der Arbeitgeber bei beharrlicher Arbeitsverweigerung zur fristlosen Kündigung berechtigt ist.

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