Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 7. Oktober 2014 – II ZR 361/13 – eine für die Praxis bedeutsame Entscheidung zur „Nachhaftung“ des herrschenden Unternehmens bei einem Vertragskonzern getroffen.
Nach der gesetzlichen Regelung in § 303 AktG haben Gläubiger der beherrschten Gesellschaft gegenüber dem herrschenden Unternehmen einen Anspruch auf Sicherheitsleistung, wenn der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag endet und Ansprüche von Gläubigern der beherrschten Gesellschaft entstanden sind. Eine Begrenzung dieses Anspruchs auf Sicherheitsleistung zugunsten von Gläubigern des beherrschenden Unternehmens besteht nach der gesetzlichen Regelung nicht. Die Regelungen des Aktiengesetzes gelten auch für die in der Praxis sehr viel häufiger vorkommenden GmbH-Vertragskonzerne. Die gesetzliche Regelung war immer dann misslich, wenn das beherrschte Unternehmen Dauerschuldverhältnisse eingegangen ist. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die „Entstehung“ von Ansprüchen von Gläubigern der beherrschten Gesellschaft nicht auf die Fälligkeit einzelner Ansprüche an, sondern auf den Zeitpunkt, in dem der Anspruch selbst entstanden ist. Bei einem Mietverhältnis kommt es daher nicht auf die zukünftigen Mietzahlungszeiträume an, sondern lediglich darauf, ob der Mietvertag in den Zeitraum der Beherrschung abgeschlossen wurde oder nicht. Vergleichbares gilt für Pensionsverpflichtungen. Da eine gesetzliche Regelung zu der Begrenzung der Haftung des herrschenden Unternehmens fehlt, konnten Gläubiger der beherrschten Gesellschaft ihre Ansprüche bis zur erstmaligen ordentlichen Kündigung ihrer Verträge aufsummieren und von der herrschenden Gesellschaft Sicherheit verlangen. Solche Ansprüche können ohne Weiteres im sechsstelligen, siebenstelligen – oder etwa bei „großen“ Mietverträgen – im mehrstelligen Millionenbereich liegen.
Das Schrifttum hat seit langem Lösungsvorschläge erarbeitet, um den Anspruch von Gläubigern der beherrschten Gesellschaft auf (exorbitante) Sicherheit zu begegnen. Es verblieb in der Praxis Rechtsunsicherheit, ob die Rechtsprechung dem folgt.
Der II. Senat des BGH hat nun erfreulicherweise über diese Fälle entschieden. Der Entscheidung lag ein (idealtypischer) Sachverhalt zugrunde. Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertag zwischen der Beklagten als dem herrschenden Unternehmen sowie einer Tochtergesellschaft wurde beendet. Die Tochtergesellschaft schloss in dem Zeitraum der Beherrschung einen Mietvertrag mit der Klägerin ab. Nach Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages verlangte die Klägerin von der Beklagten, dem vormals herrschenden Unternehmen, Sicherheit bis zu dem Zeitpunkt der ersten ordentlichen Kündigung des Mietvertrages.
Die Beklagte war bereit, der Klägerin ein Bürgschaftsversprechen für einen Zeitraum von fünf Jahren nach Eintragung der Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages abzugeben. Die Klägerin lehnte ab und verlangte Sicherheit für einen längeren Zeitraum. Hierüber stritten die Parteien vor Gericht. Die Klage der Klägerin auf Sicherheit für einen längeren Zeitraum als fünf Jahre nach Eintragung nach Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages hatte in keiner der drei Instanzen Erfolg.
Der BGH stellte zunächst fest, dass die gesetzliche Regelung in § 303 AktG eine Lücke enthalte. Das Gesetz sehe zwar einen Anspruch von Gläubigern der beherrschten Gesellschaft gegenüber der herrschenden Gesellschaft auf Sicherheitsleistung vor. Es fehle aber an einer zeitlichen Befristung für dieses Sicherheitsverlangen, wenn Ansprüche in dem Zeitraum der Beherrschung entstanden, nach Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages aber noch fällig werden.
Diese Lücke müsse im Interesse der vormals herrschenden Gesellschaft geschlossen werden.
Verschiedene gesellschaftsrechtliche Regelungen sehen im unterschiedlichen Zusammenhang eine zeitliche Begrenzung der Haftung von Gesellschaftern oder Unternehmen vor. Der BGH nannte als Beispiele die zeitliche Begrenzung der Haftung des herrschenden Unternehmens bei der Eingliederung einer Gesellschaft in eine andere Gesellschaft gemäß §§ 319 ff. AktG sowie die Begrenzung der Haftung von Gesellschaftern bei Ausscheiden aus einer Personenhandelsgesellschaft gemäß §§ 159, 160 HGB. Diesen Regelungen sei eine Befristung der Haftung auf fünf Jahren nach Beendigung der „haftungsbegründenden“ Umstände gemeinsam. Bei der Beendigung eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages könne nichts anderes gelten. Gläubiger der beherrschten Gesellschaft sollen davor geschützt werden, dass die beherrschte Gesellschaft wegen der Einbindung in einen Vertragskonzern nicht mehr dem eigenen Interesse verpflichtet war, sondern dem übergeordneten Interesse der herrschenden Gesellschaft. Dies gelte aber nicht mehr, wenn der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag beendet ist. Danach stehe die beherrschte Gesellschaft wieder für sich dar und verfolge nur noch ihr eigenes Interesse. Die „Nachwirkungen“ der vormaligen Beherrschung rechtfertigen es nicht, dass die beherrschte Gesellschaft im Extremfall für Jahrzehnte Sicherheit zu leisten hat. Nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums, den der Gesetzgeber in verschiedenen anderen Gesetzen mit fünf Jahren bemessen habe, sei davon auszugehen, dass die beherrschte Gesellschaft wieder über genügend eigene finanzielle Kraft verfüge, dass eine Sicherheitsleistung des vormals herrschenden Unternehmens nicht mehr notwendig sei.
Fazit:
Der Entscheidung des II. Senates ist zuzustimmen. In der Praxis führte die bisherige Rechtsunsicherheit über die „Nachhaftung“ des herrschenden Unternehmens durch Sicherheitsleistung häufig dazu, dass Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge nicht beendet wurden, wenn die beherrschte Gesellschaft langfristige Verpflichtungen eingegangen ist.
In Anbetracht des ansonsten im Gesellschaftsrecht geltenden 5-Jahres-Prinzips zur Nachhaftung war die zeitlich unbefristete Sicherheitsleistung kaum begründbar und Mandanten auch nicht erläuterbar. Die Rechtsprechung hat nun eine Lücke geschlossen, die an sich der Gesetzgeber hätte schließen müssen.
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