15.12.2014 -

Die Rechte von Gewerkschaften im Zusammenhang mit Streiks werden in der Rechtsprechung meist in weitem Umfang bejaht. So hat sogar das Bundesverfassungsgericht vor kurzem Flashmobs in Supermärkten als rechtmäßige Streikbetätigung anerkannt. Demgegenüber hatte sich das Bundesarbeitsgericht nun mit der Frage zu befassen, ob Betriebsratsmitglieder berechtigt sind, den dienstlichen E-Mail-Account für Streikaufrufe zu nutzen (BAG, Beschluss v. 15.10.2013 – 1 ABR 31/12). Der zuständige 1. Senat hat die Nutzung wegen vorrangiger Eigentumsinteressen des Arbeitgebers abgelehnt.

Der Fall:

Die Beteiligten streiten über die Nutzung dienstlicher E-Mail-Accounts und Telefonanschlüsse zu Streikaufrufen und während Streiks.

Die Arbeitgeberin betreibt ein großes Klinikum. Es besteht ein Betriebsrat. Der Vorsitzende und sein Stellvertreter sind Mitglieder der Gewerkschaft ver.di.

Betriebsratsmitglieder und auch alle Arbeitnehmer verfügen über namensbezogene E-Mailkonten, die nach dem Muster vorname.nachname@arbeitgeber.de aufgebaut sind. Soweit Beschäftigte der Arbeitgeberin über namensbezogene E-Mail-Accounts verfügen, gestattet die Arbeitgeberin nach einer Anordnung aus September 2010 ausschließlich eine dienstliche Nutzung.

Im Rahmen laufender Tarifverhandlungen rief der ver.di Landesverband Berlin-Brandenburg zu einem Warnstreik im Klinikum der Arbeitgeberin auf. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende verbreitete den Streikaufruf im Klinikum über seinen namensbezogenen E-Mail-Account und rief die Mitarbeiter auf, an dem Streik teilzunehmen. Er signierte die E-Mail mit den Worten: „Für die ver.di Betriebsgruppe“. Es folgten dann die Namen des Betriebsratsvorsitzenden und des Stellvertreters sowie deren dienstliche Durchwahlnummern und private Mobilfunknummern.

Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, ihr stehe wegen Verletzung der Neutralitätspflicht des Betriebsrats ein Unterlassungsanspruch gegen die weiteren Beteiligten zu. Die Beteiligten haben hingegen Antragsabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin sei nach Art. 9 Abs. 3 GG verpflichtet, die Nutzung der Telefonanlage und des E-Mail-Accounts für einen Streikaufruf zu dulden. Dieser sei von den Beteiligten nicht als Mitglieder des Betriebsrats, sondern als Gewerkschaftsmitglieder verbreitet worden.

Das Arbeitsgericht hat den Unterlassungsanträgen der Arbeitgeberin entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat in der 2. Instanz die Entscheidung bestätigt und die Beschwerden der Beteiligten zurückgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass den Anträgen der Arbeitgeberin insoweit zu entsprechen war, wie diese vom beteiligten Betriebsratsmitglied verlangt, es zu unterlassen, den ihm zugewiesenen personenbezogenen E-Mail-Account für die Verbreitung eines Streikaufrufs von ver.di zu nutzen.

I. Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Betriebspartnern

Nach § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG sind Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unzulässig. Allerdings begründet die Verletzung dieser Neutralitätspflicht durch Mitglieder des Betriebsrats keinen betriebsverfassungsrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen den Betriebsrat bzw. seine Mitglieder. Ein Unterlassungsgebot lässt sich der Vorschrift des § 74 BetrVG insoweit nicht entnehmen.

Aber: Die Arbeitgeberin kann ihr Unterlassungsbegehren auf den allgemeinen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB stützen. Nach dieser Vorschrift kann der Eigentümer einer Sache, wenn sein Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung beeinträchtigt wird, vom Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen.

II. Streikaufruf über E-Mail-Account

Der Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB steht der Arbeitgeberin unabhängig von der Frage zu, ob es sich bei dem E-Mail-Account um ein Sachmittel nach § 40 Abs. 2 BetrVG oder aber um ein allgemeines Arbeitsmittel handelt, das dem Betriebsratsmitglied unabhängig von seiner Tätigkeit als Betriebsrat zur Verfügung gestellt wurde.

Würde es sich um ein Sachmittel im Sinne von § 40 Abs. 2 BetrVG handeln, konnte das Betriebsratsmitglied den E-Mail-Account der Arbeitgeberin nur für Betriebsratsarbeit nutzen. Hierzu zählt nicht die Versendung von Streikaufrufen einer Gewerkschaft. Da hiermit die Mitarbeiter zur Arbeitsniederlegung mobilisiert werden sollen, handelt es sich um Maßnahmen des Arbeitskampfes. Solche sind jedoch nach § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG gegenüber dem Arbeitgeber unzulässig.

Aber auch außerhalb der Betriebsratsarbeit beeinträchtigt eine derartige Nutzung der bereitgestellten Kommunikationstechnik das Eigentumsrecht der Arbeitgeberin. Das Internet sowie das E-Mailsystem sollten nach der ausdrücklichen Dienstanweisung ausschließlich für dienstliche Zwecke genutzt werden dürfen. Da das Betriebsratsmitglied mit der Versendung oder Verbreitung von Streikaufrufen an Mitarbeiter keine im Arbeitgeberinteresse liegenden dienstlichen Zwecke, sondern persönliche koalitionspolitische Ziele verfolgt, nutzt er in diesen Fällen den bereitgestellten E-Mail-Account bestimmungswidrig und beeinträchtigt dadurch das Eigentumsrecht der Arbeitgeberin aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB.

III. Keine Rechtfertigung nach Art. 9 Abs. 3 GG

Eine etwaige Duldungspflicht der Arbeitgeberin ergibt sich auch nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG. Mit der Versendung und Verbreitung von Streikaufrufen nimmt zwar ein einzelnes Betriebsratsmitglied als gleichzeitiges Mitglied von ver.di seine individuelle Koalitionsfreiheit wahr. Da es hierbei jedoch das Eigentum der Arbeitgeberin in Anspruch nimmt, kollidiert sein Handeln mit deren Rechtspositionen aus Art. 14 Abs. 1 GG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die individuelle Koalitionsfreiheit des Einzelnen im Zusammenhang mit der Mobilisierung der Belegschaft zur Teilnahme an einem Streik in vielfältiger Weise wahrgenommen werden kann. Ein gewerkschaftszugehöriger Arbeitnehmer kann in persönlichen Gesprächen, in Pausen und außerhalb des Betriebs mündlich oder schriftlich auf Arbeitskollegen einwirken. Die Nutzung der Kommunikationsmittel des Arbeitgebers einschließlich der von ihm erstellten und gepflegten elektronischen Adresslisten für gewerkschaftliche Anliegen stellt für ihn in diesem Zusammenhang zwar eine höchst effektive, aber keineswegs die einzige Möglichkeit koalitionsspezifischer Betätigung dar. Zur Wahrnehmung dieses Freiheitsrechts ist er nicht auf die Nutzung der arbeitgeberseitig zur Verfügung gestellten betrieblichen Kommunikationsinfrastruktur angewiesen. Auch wenn auf diese Weise Streikaufrufe einer Gewerkschaft schneller und zielgerichteter verbreitet und so deren Kampfkraft gestärkt werden kann, bedarf es keines Rückgriffs auf Betriebsmittel der Arbeitgeberin. Die Mobilisierung von Arbeitnehmern zur Streikteilnahme ist Aufgabe der jeweiligen Koalition und ihrer Mitglieder. Diese haben dazu ihre personellen und sächlichen Mittel einzusetzen. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, hieran durch Bereitstellung eigener Betriebsmittel mitzuwirken.

Fazit:

Der Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers war damit erfolgreich. Dies lag aber daran, dass die E-Mail-Accounts ausschließlich für dienstliche Zwecke genutzt werden durften. Demgegenüber konnte sich der Arbeitgeber nicht mit Erfolg darauf berufen, auch die Nutzung der Telefonanlage in allen Angelegenheiten zu unterlassen, die mit einem Streik im Zusammenhang stehen. Dieser Antrag war zu weitgehend und wurde daher als unzulässiger Globalantrag angesehen.

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