21.12.2014 -

Die Entgeltansprüche von Betriebsratsmitgliedern sind betriebsverfassungsrechtlich mehrfach abgesichert. Damit soll die Bereitschaft der Arbeitnehmer zur Übernahme eines Betriebsratsmandats gefördert werden. Ihnen soll die Befürchtung genommen werden, Einkommenseinbußen durch die Wahrnehmung des Ehrenamtes zu erleiden. Das Landesarbeitsgericht Köln hatte sich nun in einem aktuellen Urteil mit der Frage zu befassen, ob Nachtzuschläge auch dann zum zu zahlenden Entgelt gehören, wenn das Betriebsratsmitglied die Amtstätigkeiten nicht innerhalb des zuschlagspflichtigen Zeitrahmens ausgeübt hat (LAG Köln, Urteil v. 19.12.2013 – 12 Sa 682/13).

Das Landesarbeitsgericht hat die Ansprüche im Grundsatz bejaht. Die Fragestellung führt in der Praxis immer wieder zur Diskussion. Wir möchten die wesentlichen Entscheidungsgründe daher hier besprechen.

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer ist Betriebsrat im Betrieb des beklagten Arbeitgebers. Beide Parteien sind tarifgebunden bezüglich der Tarifverträge für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen. Der Kläger ist in der Abteilung Logistik beschäftigt. Die monatliche Arbeitszeit beträgt 163 Stunden.

Im Manteltarifvertrag für den Einzelhandel (MTV) sind zahlreiche Regelungen für Mehrarbeit, Nachtarbeit und Zuschläge enthalten. Die Nachtarbeit umfasst dabei regelmäßig den Zeitraum von 19.30 Uhr bis 06.00 Uhr morgens.

Der Kläger und Betriebsrat wurde in der Abteilung Logistik regelmäßig zwischen 04.00 Uhr und 12.30 Uhr eingesetzt. Auch die Arbeitszeit sämtlicher anderer Vollzeitkräfte in der Abteilung begann spätestens um 04.00 Uhr morgens.

Im Spätsommer 2011 wurde der Kläger in den im Beschäftigungsbetrieb bestehenden Betriebsrat und zu dessen Vorsitzenden gewählt. Kurz nach der Wahl vereinbarten die Beklagte und der Betriebsrat, dass der Kläger täglich für 3,5 Stunden für Betriebsratsarbeit von der Arbeit befreit wurde. Gleichzeitig wurde der Arbeitsbeginn für den Kläger einvernehmlich auf 06.00 Uhr verschoben, um den Mitarbeitern eine bessere Kontaktaufnahmemöglichkeit während der Arbeitszeit des Klägers zu ermöglichen. Die Arbeitszeit eines Großteils der Belegschaft beginnt täglich erst um 10.00 Uhr. Die Arbeitszeit der übrigen in Vollzeit beschäftigten Mitarbeiter der Abteilung Logistik begann weiterhin ganz überwiegend vor 04.00 Uhr morgens.

Der Kläger verlangt mit seiner Zahlungsklage u.a. weiterhin die Nachtzuschläge für die Zeit von 04.00 Uhr bis 06.00 Uhr morgens. Er hat die Auffassung vertreten, dass sich der Anspruch auf Bezahlung der Nachtzuschläge aus § 37 Abs. 4 BetrVG ergebe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der Kläger auch dann keine Nachtarbeit geleistet hätte, wenn er nicht für Betriebsratstätigkeit von der Arbeitsleistung befreit worden wäre, da seine Arbeitszeit einvernehmlich auf 06.00 Uhr morgens verschoben wurde.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat im Berufungsverfahren die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und den Klageanträgen im Wesentlichen stattgegeben.

I. Lohnausfallprinzip für Betriebsratsmitglieder

Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Art und Umfang des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Die Vorschrift konkretisiert hinsichtlich der Vergütung das allgemeine Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG.

Für die Bemessung des Entgelts gilt das Lohnausfallprinzip. Den Betriebsratsmitgliedern steht während der Arbeitsbefreiung dasjenige Arbeitsentgelt zu, das sie ohne Freistellung verdient hätten. Zum Arbeitsentgelt zählen neben der Grundvergütung alle Zuschläge und Zulagen, die es ansonsten verdient hätte, insbesondere Zuschläge für Mehr-, Über-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeiten sowie Erschwernis- und Sozialzulagen.

II. Beruflicher Entwicklungsschutz

Gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG darf das Arbeitsentgelt von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Mitglieder des Betriebsrats weder in wirtschaftlicher noch in beruflicher Hinsicht gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung Nachteile erleiden. Das Betriebsratsmitglied soll so gestellt werden, als ob es im Betrieb weitergearbeitet und keine Amtstätigkeit ausgeübt hätte. Die Regelung des § 37 Abs. 4 BetrVG ist in erster Linie für freigestellte Betriebsratsmitglieder von Bedeutung, kann allerdings auch für nicht-freigestellte Betriebsratsmitglieder bedeutsam werden, wenn sie sich ihrer beruflichen Entwicklung nicht in gleicher Weise widmen können wie ihnen vergleichbare Arbeitnehmer.

III. Hypothetische Betrachtung erforderlich

Das Landesarbeitsgericht Köln stellt klar, dass eine hypothetische Betrachtung der Situation des Betriebsratsmitglieds erforderlich ist, um sicherzustellen, dass es trotz seiner Amtsausübung mit Blick auf die Vergütung genauso gestellt ist, wie es ohne diese stünde. Zur Objektivierung der hypothetischen Betrachtungsweise stellt das Gesetz auf den Kreis vergleichbarer Arbeitnehmer ab. Die Hypothese beschränkt sich dabei nicht darauf, nur die ausgefallene Arbeit hinzuzudenken. Vielmehr führt sie zu einer Entgeltbemessung, die auch etwa ausgebliebene Beförderungen, Gehaltserhöhungen, Weiterqualifizierungen sowie Schichtwechsel und eine andere Lage der Arbeitszeit berücksichtigt, wenn dies gemessen an der Stellung der Vergleichsgruppe der hypothetischen Situation des Betriebsratsmitglieds entspricht.

Mit anderen Worten: Hiernach ist entscheidend, ob der Arbeitnehmer ohne die Übernahme des Betriebsratsamts eine entsprechende Vergütung erhalten hätte oder nicht.

Hier erfolgte die Änderung der Arbeitszeit und der Lage der Arbeitszeit des Klägers unstreitig allein aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung der Betriebsparteien und der Überlegung, seine Arbeitszeit so zu legen, dass der Betriebsrat als Ansprechpartner auch für diejenigen Mitarbeiter zur Verfügung stünde, die täglich ihre Arbeit erst ab 10.00 Uhr aufnehmen. Diese Änderung der Arbeitszeiten erfolgte zwar auch im Einvernehmen mit dem Kläger. Doch ändert der Umstand einer einvernehmlichen Direktionsausübung nichts daran, dass er bei hypothetischer Betrachtung weiterhin wie die vergleichbaren Kollegen seiner Abteilung überwiegend in der Nachtschicht eingesetzt worden wäre, hätten nicht die Betriebsparteien eine Verschiebung seiner Arbeitszeiten als Betriebsratsvorsitzender auf die Tagschicht für notwendig erachtet. Dass dagegen ein von seiner Amtsausübung unabhängiger Wunsch des Klägers hinter der Änderung seiner Einsatzzeit bestand, ist nicht erkennbar geworden.

Fazit:

Der Kläger und Betriebsrat hat damit Ansprüche auf Nachtzuschläge für Zeiten ab 04.00 Uhr morgens, auch wenn seine Arbeitszeit einvernehmlich auf 06.00 Uhr morgens verschoben worden ist. Die Entscheidung macht deutlich, dass der berufliche Entwicklungsschutz und auch das Verbot der Entgeltminderung von den Arbeitsgerichten sehr weit ausgelegt werden. Dies ist bei entsprechenden Vereinbarungen zu beachten. Widersprechen diese den Vorgaben des § 37 BetrVG sind entsprechende Vereinbarungen unwirksam bzw. können die Ansprüche der betroffenen Betriebsratsmitglieder nicht ausschließen. Hierauf ist bei der Vertragsgestaltung zu achten.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • TOP-Wirtschafts­kanzlei für Arbeits­recht
    (FOCUS SPEZIAL 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen
    (WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwalt für Arbeitsrecht: Prof. Dr. Nicolai Besgen
    (WirtschaftsWoche 2023, 2020)

Autor

Bild von Prof. Dr. Nicolai Besgen
Partner
Prof. Dr. Nicolai Besgen
  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Arbeitsrecht

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sprechblasen

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.

Kontakt aufnehmen