Der Geschäftsleiter einer Gesellschaft (GmbH & Co. KG, GmbH, AG, Genossenschaft) haftet für Zahlungen der Gesellschaft nach Eintritt der Insolvenzreife. Dem Geschäftsführer war es verwehrt, sich auf einen „korrespondierenden“ Vermögenszufluss in das Vermögen der Gesellschaft zu berufen. Dies war jedenfalls bisherige Lesart der Entscheidungen des BGH.
Der BGH hat nunmehr mit Urteil vom 18. November 2014 – II ZR 231/13 – seine Rechtsprechung zur Haftung von Geschäftsführern nach Insolvenzreife zugunsten der Geschäftsführer „modifiziert“. Tatsächlich handelt es sich um einen Rechtsprechungswandel. Der Fall wird erhebliche Bedeutung für die Auseinandersetzung zwischen Geschäftsleitern und Insolvenzverwaltern haben.
In der konkreten Entscheidung ging es um Zahlungen des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG nach Eintritt der Insolvenzreife. Die Schuldnerin – eine GmbH & Co. KG – war seit dem 16. Juni 2009 zahlungsunfähig. Am 28. August 2009 – nach Eintritt der Insolvenzreife – vereinbarte die Schuldnerin mit ihrer Muttergesellschaft einen Rahmendarlehensvertrag. Danach war die Schuldnerin berechtigt, bis zum 31. Dezember 2009 ein Darlehen bis zu 150.000,00 € vollständig oder in Teilen von der Muttergesellschaft abzurufen. Die Schuldnerin leitete am 29. September 2009 über ein Rechtsanwaltsanderkonto den Darlehensbetrag von 150.000,00 € auf ein kreditorisches Bankkonto weiter. Am 9. Oktober 2009 zahlte die Schuldnerin 150.000,00 € auf das Rechtsanwaltsanderkonto ein. Am 16. Oktober 2009 überwies die Muttergesellschaft über das Rechtsanwaltsanderkonto wieder 150.000,00 € an die Schuldnerin. In 2010 wurde das Insolvenzverfahren über die Schuldnerin eröffnet.
Der Insolvenzverwalter (Kläger) der Schuldnerin nahm den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH (Beklagten) auf Rückzahlung von 150.000,00 € in Anspruch. Die Klage hatte beim Landgericht Erfolg. Auf die Berufung des Geschäftsführers hob das OLG das Urteil auf und wies die Klage ab. Die Revision des Klägers blieb erfolglos.
Die Ersatzpflicht des Geschäftsführers richtet sich nach §§ 130a Abs. 1, 177a S. 1 HGB. Die Vorschrift hat den gleichen Rechtsinhalt wie die (bekanntere) Vorschrift des § 64 GmbHG. Der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH ist verpflichtet, Zahlungen der Gesellschaft nach Eintritt der Insolvenzreife an die Gesellschaft zurück zu gewähren. Die Schuldnerin war nach den Feststellungen jedenfalls seit dem 16. Juli 2009 zahlungsunfähig. Der Beklagte hat als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit eine Zahlung vorgenommen, nämlich die Rückzahlung der „ersten“ Auszahlung des Darlehens am 9. Oktober 2009. Nach bisheriger Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 31. März 2003 – II ZR 150/02) hätte die nachfolgende Auszahlung der „zweiten“ Darlehensvaluta von 150.000,00 € am 16. Oktober 2009 nur dann den Geschäftsführer von einer Ersatzpflicht befreit, wenn dieser Vermögenszufluss noch zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorhanden gewesen wäre. In dieser Eindeutigkeit hat der BGH dies in den vorigen Entscheidungen zwar nicht verlangt. Die hierfür gewählte Formulierung ließ aber für die Praxis keinen anderen Schluss zu („Allenfalls dann, wenn mit den von den Geschäftsführern bewirkten Zahlungen ein Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt und dort verblieben ist, kann erwogen werden, eine Masseverkürzung und damit einen Erstattungsanspruch gegen das Organmitglied zu verneinen (…), weil dann der Sache nach lediglich ein Aktiventausch vorliegt.“ – BGH, Urteil vom 31. März 2003 – II ZR 150/02).
Der BGH hat in dieser Entscheidung vom 18. November 2014 von diesem Verständnis seiner vorherigen Entscheidungen Abstand genommen. Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen führen nur dann zur Haftung des Geschäftsführers, wenn dem keine adäquate Gegenleistung in das Gesellschaftsvermögen gegenübersteht. Der BGH formuliert dies positiv: Wenn der Vermögensabfluss durch einen Vermögenszufluss kompensiert wird, der im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Vermögensabfluss steht, kommt ein Vermögensschaden der insolvenzreifen Gesellschaft nicht in Betracht. Es komme auch nicht mehr auf den Zeitpunkt des Insolvenzantrages oder der Insolvenzeröffnung an. Es reiche aus, wenn vor Insolvenzantrag dem Vermögensabfluss ein entsprechender Vermögenszufluss gegenüberstehe. Dies soll nach Auffassung des BGH schon ein „Aktiventausch“ sein, der eine Haftung des Geschäftsführers ausschließe.
Der Geschäftsführer ist nach Auffassung des BGH auch dann von einer Haftung befreit, wenn der Vermögensgegenstand, der als Gegenleistung für die Zahlungen der Gesellschaft in das Vermögen der insolventen Gesellschaft gelangt ist, bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens untergegangen ist, soweit dies von dem Geschäftsführer nicht zu vertreten ist. Dies betrifft insbesondere Fälle des Kaufes von Gegenständen, die zufällig untergegangen sind. Das zufällige Verlustrisiko trägt daher nicht mehr der Geschäftsführer, sondern die Insolvenzgläubiger über die Schmälerung der Insolvenzmasse. Ebenso liegt keine Vermögensverschlechterung der Schuldnerin vor, wenn die Gesellschaft das erworbene Vermögensgut umgearbeitet oder sonst wie verbraucht hat, solange dadurch ein „neuer“ Wert geschaffen wird.
In der konkreten Entscheidung lag daher kein einseitiger Vermögensabfluss der Schuldnerin vor. Die Schuldnerin hat zwar am 9. Oktober 2009 die erste Darlehensvaluta von 150.000,00 € über das Rechtsanwaltsanderkonto an die Muttergesellschaft zurückgeführt. Im Anschluss hat die Schuldnerin am 16. Oktober 2009 erneut eine Auszahlung der Darlehenssumme an sich veranlasst. Der zeitliche und inhaltliche Zusammenhang zwischen der Zahlung der Schuldnerin am 9. Oktober 2009 an die Muttergesellschaft sowie der erneuten „Abrufung“ der Darlehenssumme durch die Schuldnerin am 16. Oktober 2009 reichte dem BGH für einen unmittelbaren Zusammenhang aus.
Fazit:
Der BGH hat in einem wesentlichen Punkt seine bisherige Rechtsprechung zugunsten der Geschäftsführer gelockert. Die Entscheidung hat erhebliche Bedeutung. Die Haftung des „Geschäftsleiters“ ist bei einer GmbH & Co. KG, einer GmbH, einer Aktiengesellschaft sowie einer Genossenschaft identisch. Nach bisherigem Verständnis wäre der Geschäftsführer in dem konkreten Fall in Haftung genommen worden. Dies wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Der Geschäftsführer muss „lediglich“ darlegen und beweisen, dass den Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen eine angemessene Gegenleistung gegenübersteht.
Die zukünftigen Auseinandersetzungen werden sich um den „unmittelbaren“ Zusammenhang zwischen der Leistung der Gesellschaft und dem Zufluss in das Gesellschaftsvermögen drehen. Die Geschäftsleiter insolvenzreifer Gesellschaften tun daher gut daran, Nachweise für den Zusammenhang zwischen Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen und dem Zufluss in das Gesellschaftsvermögen zu schaffen.
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