Kündigungen können grundsätzlich nur auf eine nachgewiesene Tat gestützt werden. Das Bundesarbeitsgericht lässt aber auch die Verdachtskündigung unter bestimmten und strengen Voraussetzungen ausnahmsweise zu. Bekanntlich ist die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers Wirksamkeitsvoraussetzung einer Verdachtskündigung. Wie verhält es sich aber, wenn der Arbeitnehmer von sich aus die Anhörungsfristen nicht einhält, sei es vorsätzlich, sei es aber auch, weil er dazu gesundheitlich nicht in der Lage ist? Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechung dazu in einem aktuellen Urteil weiter präzisiert (20.03.2014 – 2 AZR 2037/12). Die Entscheidung ist für die betriebliche Praxis von besonderer Bedeutung.
Der Fall:
Der 1958 geborene Kläger war seit September 1981 bei der beklagten Rundfunkanstalt beschäftigt, zuletzt als Techniker im IT-Service. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Manteltarifvertrag war das Arbeitsverhältnis nur noch außerordentlich kündbar.
Im Juli und November 2010 wurden Räume der Beklagten durchsucht. Nach dem Vorbringen der Beklagten hatte es eine anonyme Anzeige gegeben, der zufolge mehrere ihrer Mitarbeiter, unter anderem der Kläger, bei Ausschreibungen über Telekommunikations- und Datennetzleistungen in Absprache mit einer beauftragen Firma die Leistungsverzeichnisse manipuliert hatten. Am 7. Dezember 2010 lag der Beklagten ein Bericht ihrer Innenrevision über die Leistungsabrufe der betreffenden Firma vor. Danach hatte der Kläger von dieser unter anderem ein Barbetrag in Höhe von 200,00 € erhalten.
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2010 lud die Beklagte den Kläger zu einer Anhörung für den 13. Dezember 2010 in ihre Geschäftsräume ein. Der Kläger war seit dem 26. Juli 2010 durchgehend erkrankt. Er teilte mit E-Mail vom 12. Dezember 2010 mit, er könne den Termin wegen einer Rehabilitationsmaßnahme nicht wahrnehmen. Er bat darum, ihn schriftlich anzuhören und die Fragen seinem Prozessbevollmächtigten zu schicken. Die Beklagte sandte daraufhin am 14. Dezember 2010 sowohl an den Kläger als auch dessen Prozessbevollmächtigten einen zehn Seiten langen Fragenkatalog, der sich auf 13 einzelne Fragenbereich bezog. Sie setzte dem Kläger eine Frist zur Beantwortung bis zum 17. Dezember 2010, 12.00 Uhr.
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2010 teilten die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dieser befinde sich noch bis 11. Januar 2011 in der Rehabilitationsmaßnahme. Es sei deshalb „kaum möglich“ innerhalb der gesetzten Frist zu den Fragen Stellung zu nehmen. Es sei eine zeitaufwendige Besprechung mit dem Kläger erforderlich. Diese könne wegen der noch laufenden Rehabilitationsmaßnahme erst im Laufe des Monats Januar 2011 erfolgen.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Personalrat zu einer beabsichtigten Verdachts- und Tatkündigung an. Der Personalrat widersprach mit der Begründung, der Kläger sei nicht ausreichend angehört worden. Mit Schreiben vom 27. Dezember 2010 kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis fristlos.
Der Kündigungsschutzklage haben das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht stattgegeben.
Die Entscheidung:
In der Revisionsinstanz hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung der Vorinstanzen aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
I. Fristbeginn bei Tatkündigung
Gemäß § 626 Abs. 2 S. 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhaltes verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände darf sie auch überschritten werden.
Hinweis für die Praxis:
Unerheblich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder nicht. Gibt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Stellungnahme, so gereicht ihm dies hinsichtlich des Beginns der zweiwöchigen Ausschlussfrist deshalb auch dann nicht zum Nachteil, wenn der Arbeitnehmer innerhalb angemessener Überlegungszeit eine Erklärung abgibt oder seine Stellungnahme rückblickend zur Feststellung des Sachverhalts nichts beiträgt. Darauf, ob die Anhörung tatsächlich neue Erkenntnisse erbrachte, kommt es nicht an.
II. Anhörungsvoraussetzungen bei Verdachtskündigung
Bei der Verdachtskündigung ist – anders als bei der Tatkündigung – die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers Wirksamkeitsvoraussetzung. Bei der Verdachtskündigung besteht in besonderem Maß die Gefahr, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung Gelegenheit geben, zu den Verdachtsmomenten Stellung zu nehmen, um dessen Einlassungen bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Versäumt er dies, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen. Die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam.
Der Umfang der Anhörung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Einerseits muss sie nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die z.B. an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG gestellt werden. Andererseits reicht es aber auch nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich immer auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen.
Unterbleibt die Anhörung, weil der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit war, sich auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einzulassen und nach seinen Kräften an der Aufklärung mitzuwirken, steht dies der Wirksamkeit der Verdachtskündigung nicht entgegen. In einem solchen Fall wäre eine Anhörung überflüssig und kann auch zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Willensbildung des Arbeitgebers nichts beitragen.
III. Besonderheiten bei Krankheit
Ist der Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht nur an einem persönlichen Gespräch, sondern längerfristig auch an einer schriftlichen Stellungnahme auf ihm übermittelte Fragen verhindert, muss der Arbeitgeber nicht notwendig die Zeit abwarten, zu der sich der Arbeitnehmer wieder äußern kann. Zwar mag die Frist des § 626 Abs. 2 BGB noch nicht zu laufen beginnen, solange der Arbeitgeber entsprechend zuwartet. Wartet der Arbeitgeber diesen Zeitpunkt aber nicht ab, führt das nicht automatisch dazu, dass ihm eine Verletzung seiner Aufklärungsfrist vorzuwerfen wäre. Kann der Arbeitgeber davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer sich in absehbarer Zeit nicht äußern kann, ist ihm eine weitere Verzögerung regelmäßig unzumutbar. Dies gilt vor allem dann, wenn der Arbeitnehmer mehrmals um eine Verlängerung der gesetzten Frist zur Stellungnahme gebeten hat oder sich seine Prognose, wann er sich werde äußern können, wiederholt als unzutreffend erwiesen hat. Mehrfache ergebnislose Fristverlängerungen können überdies die Annahme rechtfertigen, der Arbeitnehmer wolle sich in Wirklichkeit ohnehin nicht äußern. In der hier gegebenen Entscheidung fehlte es dazu an weiteren Feststellungen im Sachverhalt, so dass das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen hat.
Fazit:
Der Arbeitgeber ist berechtigt, vor Ausspruch einer Tat- oder Verdachtskündigung den Arbeitnehmer anzuhören. Eine Anhörung muss grundsätzlich innerhalb einer Woche erfolgen. Bei der Verdachtskündigung ist die Anhörung sogar Wirksamkeitsvoraussetzung. Kann sich der Arbeitnehmer nicht äußern, ist dem Arbeitgeber wochenlanges Zuwarten nicht zuzumuten. Er kann dann in solchen Fällen ausnahmsweise auch ohne Anhörung des Arbeitnehmers eine Verdachtskündigung aussprechen. In solchen Fällen muss aber sehr genau geprüft werden, ob tatsächlich ein Ausnahmefall vorliegt. Das Risiko, den Arbeitnehmer nicht angehört zu haben, trägt dann stets der Arbeitgeber. Im Grundsatz ist daher zu empfehlen, alle Anstrengungen zu unternehmen, um eine Anhörung durchzuführen.
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