Ein schwerbehinderter Bewerber fühlte sich von dem beklagten Landkreis diskriminiert, da der potenzielle Arbeitgeber ihm schon vor einem persönlichen Vorstellungsgespräch signalisiert hat, dass seine Bewerbung keinen Erfolg haben wird. Hiergegen hat sich der Bewerber mit einer Klage zur Wehr gesetzt und ca. 2.500 € Entschädigung verlangt. Sowohl das Arbeitsgericht Pforzheim (Urteil v. 5.6.2014 – 6 Ca 9/14) als auch das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urt. v. 3.11.2014 – 1 Sa 13/14) gaben dem Kläger Recht. Der öffentliche Arbeitgeber genüge seiner Einladungspflicht nach § 82 SGB IX dann nicht, wenn er den schwerbehinderten Bewerber zwar formal zu einem Vorstellungsgespräch einlädt, ihm aber gleichzeitig die Erfolglosigkeit prognostiziert.
Der Fall:
Der Kläger ist zu 100 % schwerbehindert und bewarb sich auf eine vom beklagten Landkreis ausgeschriebene Stelle zum Projektmanager/in. Die Stellenausschreibung lautet auszugsweise wie folgt:
„Wir erwarten von Ihnen:
– ein abgeschlossenes Hochschulstudium mit einem den Augaben entsprechenden Profil, z.B. Politik-, Verwaltungswissenschaften- oder Europa-Studien,
– gute Fremdsprachenkenntnisse, mindestens Englisch in Wort und Schrift“
In dem Bewerbungsschreiben wies der Kläger auf sein abgeschlossenes Studium der Wirtschafts-, Geschichts- und Sozialwissenschaften und seinen Schwerbehindertenstatus hin. Ausführungen zu Fremdsprachenkenntnissen fehlten in der Bewerbung.
Der beklagte Landkreis bestätigte den Eingang der Bewerbung des Klägers mit folgendem Schreiben:
„Sehr geehrter Herr Z,
für Ihre Bewerbung bedanken wir uns nochmals.
Unser Stellenangebot ist auf das Interesse von nahezu 100 Bewerberinnen und Bewerbern gestoßen, darunter eine ganze Reihe, deren Profil unseren Erwartungen an den Stelleninhaber oder die -inhaberin stärker entspricht als das Ihrige.
Als öffentliche Arbeitgeber berücksichtigen wir Bewerbungen von Schwerbehinderten entsprechend den Zielen des Schwerbehindertenrechts, d.h. wir geben Schwerbehinderten auch die Gelegenheit sich persönlich vorzustellen.
Bitte teilen Sie uns mit, ob Sie trotz der geringen Erfolgsaussichten ein Bewerbungsgespräch wünschen und die doch längere Anreise auf sich nehmen.“
Weder auf diese Nachricht noch auf das sich anschließende Einladungsschreiben zum Bewerbungsgespräch reagierte der Kläger. Daraufhin teilte der beklagte Landkreis dem Kläger am 8. Oktober 2013 mit, dass er sich für eine andere Bewerberin entschieden habe.
Die Entscheidung:
Die erste Instanz und das Berufungsgericht haben entschieden, dass der Kläger Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 AGG aufgrund einer Benachteiligung wegen seiner Behinderung hat. Obwohl das Landesarbeitsgericht in seiner Urteilsbegründung vorab klarstellte, dass der Kläger wegen seiner mangelnden Englischkenntnisse einen wesentlichen Teil des Anforderungsprofils objektiv nicht erfüllt habe und damit der beklagte Landkreis berechtigt gewesen wäre, den Kläger trotz seiner Schwerbehinderung von vornherein aus dem Kreis der für die Stelle in Frage kommenden Bewerber auszunehmen, hat es ein diskriminierendes Verhalten des beklagten Landkreises angenommen.
Der Kläger durfte wegen der Erklärung des beklagten Landkreises in dem Schreiben zur Eingangsbestätigung der Bewerbung – so das Berufungsgericht – davon ausgehen, dass er das Anforderungsprofil für die ausgeschriebene Stelle erfülle. Dies ergäbe sich aus der Auslegung des Schreibens. Das Landesarbeitsgericht stellte klar, dass empfangsbedürftige Willenserklärungen so auszulegen seien, wie sie ein objektiver Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte (§ 133 BGB).
Gemessen an diesem von der Rechtsprechung seit Jahrzehnten anerkannten Auslegungsmaßstab durfte der Bewerber in diesem Fall davon ausgehen, dass er das Anforderungsprofil für die ausgeschriebene Stelle grundsätzlich erfülle. Die Aussage im Schreiben „einige Bewerber entsprächen stärker den Erwartungen“ impliziere die objektive Geeignetheit des Klägers. Insofern könne sich der Beklagte nicht auf den Ausnahmetatbestand des § 82 S. 3 SGB IX stützen.
Das Landesarbeitsgericht nahm hingegen einen Verstoß gegen das Einladungsgebot nach § 82 SGB IX an, obwohl der beklagte Landkreis den Kläger formal zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen hat. Die „abschreckende Mitteilung“, in der dem Kläger die Erfolglosigkeit der Teilnahme an dem Bewerbungsgespräch attestiert wurde, stelle ein Indiz für eine Benachteiligung dar. Durch die Nachricht habe sich bei der Auswahlkommission bereits eine negative Meinung gebildet. Dies habe zur Folge, dass der durch § 82 SGB IX gewollte Chancenvorteil für schwerbehinderte Menschen entfallen sei, wenn der Arbeitgeber dem Bewerber die geringe Erfolgsaussicht seiner Bewerbung mitteilt.
Fazit:
Welcher öffentliche Arbeitgeber kennt es nicht: Mit der Stellenausschreibung gehen eine Vielzahl von Bewerbungen ein, in denen der Bewerber im Anschreiben auf seinen Schwerbehindertenstatus hinweist. Nur unter ganz engen Voraussetzungen dürften solche Bewerbungen ohne vorheriges persönliches Bewerbungsgespräch verworfen werden. Die Praxis zeigt, dass die meisten Personalverantwortlichen von öffentlichen Arbeitgebern den Anspruch nach § 82 SGB IX zwar kennen, gleichwohl ein Entschädigungsanspruch des Bewerbers nie ausgeschlossen werden kann.
Die Entscheidung zeigt, wie schnell ein Entschädigungsanspruch ausgelöst werden kann, wenn der Arbeitgeber hier einen Fehler gemacht hat. Das Beispiel zeigt, warum die Kommunikation mit Bewerbern und erst recht mit schwerbehinderten Bewerbern immer neutral zu erfolgen hat. Auch hier gilt: weniger ist mehr! Sollte bei dem schwerbehinderten Bewerber offensichtlich die Eignung für die ausgeschriebene Stelle fehlen, beschränken Sie sich auf ein übliches Standardabsage-Schreiben.
Auszeichnungen
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