06.05.2003 -

Der Europäische Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht haben in zwei neueren Entscheidungen den Schutz schwangerer Frauen erheblich ausgeweitet. Selbst Fälle, in denen Schwangere ab dem 1. Tag wegen eines bestehenden Beschäftigungsverbotes nicht beschäftigt werden können, berechtigen nicht mehr zu Fragen nach der Schwangerschaft. Die für die betriebliche Praxis wichtigen Entscheidungen wollen wir nachfolgend vorstellen. (Europäischer Gerichtshof, Urt. v. 27. 2. 2003 – C 320/01 -, veröffentlicht in: Betriebs-Berater (BB) 2003, S. 686 ff; Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 6. 2. 2003 – 2 AZR 621/01 -, Pressemitteilung, zur Veröffentlichung vorgesehen. Die Pressemitteilung vom 6. Februar 2003 kann auf der Homepage des Bundesarbeitsgerichts (www.bundesarbeitsgericht.de) abgerufen werden.)

 

Der Fall des EuGH:

Das Arbeitsgericht Lübeck hat dem Europäischen Gerichtshof zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Diese Fragen stellten sich in einem Rechtsstreit zwischen einer Krankenschwester und einem Klinikum aus Neustadt.

 

Die Arbeitnehmerin ging im Anschluss an die Geburt ihres ersten Kindes im Juni 2000 in Elternzeit, die drei Jahre dauern sollte. Im Oktober 2000 wurde sie während der Elternzeit erneut schwanger. Mit Schreiben vom 30. Januar 2001 bat die Krankenschwester ihren Arbeitgeber um die Verkürzung ihrer Elternzeit und die Aufnahme einer vollschichtigen Tätigkeit als Krankenschwester. Dieser Bitte wurde von Seiten des Arbeitgebers auch entsprochen, als im März 2001 eine Stelle im stationären Pflegedienst frei wurde. Sie sollte ihren Dienst auf einer Station mit 39 Betten wieder aufnehmen, da es dort dringenden Personalbedarf gab.

 

Die Arbeitgeberin hatte bei der Verkürzung der Elternzeit nicht nach dem Vorliegen einer Schwangerschaft gefragt. Von sich aus hatte die Arbeitnehmerin ebenfalls nicht darauf hingewiesen. Vielmehr war es erklärtes Motiv der Arbeitnehmerin für die Abkürzung der Elternzeit, das höhere Mutterschaftsgeld und den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld zu erhalten.

 

Nach Wiederaufnahme ihrer Erwerbstätigkeit am 9. April 2001 teilte die Arbeitnehmerin am nächsten Tag ihrer Arbeitgeberin erstmalig mit, dass sie im 7. Monat schwanger war. Die Mutterschutzfrist begann für die Krankenschwester am 23. Mai 2001. Ab dem 11. April 2001 wurde sie beurlaubt. Mit Schreiben vom 19. April 2001 hat die Arbeitgeberin ihre auf Zustimmung zur Rückkehr an den Arbeitsplatz gerichtete Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung und Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft angefochten. Zur Begründung berief sie sich unter anderem darauf, dass die Arbeitnehmerin wegen der Beschäftigungsverbote des § 4 Abs. 2 Mutterschutzgesetz (MuschG) keine vollwertige Arbeitskraft mehr sei.

 

Der Fall des BAG:

In der Entscheidung des BAG, die bislang nur in Form einer Pressemitteilung vorliegt, schlossen die Parteien im Mai 2000 einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Die Arbeitnehmerin versicherte in § 8 des aufgesetzten Vertrages, sie sei nicht schwanger. Tatsächlich hatte ihr Ärztin bereits im April 2000 eine Schwangerschaft festgestellt.

Noch im Mai informierte die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber über die Schwangerschaft. Dieser focht daraufhin den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung mit der Begründung an, die vereinbarte Tätigkeit sei aufgrund gesetzlicher Bestimmungen (Beschäftigungsverbote) nicht geeignet. Einen anderen Arbeitsplatz könne man nicht anbieten.

 

Die Entscheidungen:

Sowohl der Europäische Gerichtshof als auch das Bundesarbeitsgericht haben die Anfechtungserklärungen der Arbeitgeber für unwirksam erklärt, weil sie eine sowohl nach nationalem als auch nach europäischen Recht verbotene Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellen.

 

I. Grundsatz: Schwangerschaft ist nicht zu berücksichtigen !

Der Europäische Gerichtshof hat nun klargestellt, dass Arbeitnehmerinnen nicht verpflichtet sind, dem Arbeitgeber mitzuteilen, dass sie schwanger sind. Der Arbeitgeber darf nämlich bei der Anwendung der Arbeitsbedingungen die Schwangerschaft nicht berücksichtigen.

 

Mit anderen Worten: Die Schwangerschaft muss bei der personellen Entscheidung, ein Arbeitsverhältnis zu begründen, zu kündigen, zu verlängern oder zu verkürzen, unberücksichtigt bleiben.

 

II. Finanzielle Belastung des Arbeitgebers rechtfertigen kein anderes Ergebnis

Die Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin kann für den Arbeitgeber gravierende finanzielle Nachteile haben. Wird nämlich ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen, ist der Arbeitgeber für die gesamte Dauer des Beschäftigungsverbotes zur Entgeltzahlung verpflichtet. Anders als bei einer Arbeitsunfähigkeit ist diese Entgeltfortzahlungspflicht nicht auf 6 Wochen beschränkt.

 

Das Bundesarbeitsgericht hat nun ausdrücklich klargestellt, dass in der Frage nach der Schwangerschaft auch dann eine unzulässige Diskriminierung liegt, wenn eine unbefristet eingestellte Arbeitnehmerin die vereinbarte Tätigkeit während der Schwangerschaft wegen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots zunächst nicht ausüben kann. Das Beschäftigungshindernis ist in diesen Fällen, so das BAG, lediglich vorübergehender Natur und führt nicht zu einer dauerhaften Störung des Vertragsverhältnisses.

 

III. Kein Recht zur Anfechtung mehr!

Darf ein Arbeitgeber damit die Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin grundsätzlich nicht berücksichtigen, ist er konsequent auch nicht zur Anfechtung seiner Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB berechtigt, weil er sich über das Bestehen einer Schwangerschaft bei der Betroffenen geirrt hat. Die Arbeitnehmerin hat damit ein Recht zur Lüge.

 

Dies gilt in dem Fall des EuGH sogar dann, wenn eine Arbeitnehmerin ihre Elternzeit allein mit dem Ziel einvernehmlich mit dem Arbeitgeber verkürzt, das gegenüber dem Erziehungsgeld höhere Mutterschaftsgeld in Anspruch nehmen zu können. Sogar ein unmittelbar an die Aufhebung der Elternzeit verhängtes Beschäftigungsverbot ändert nach Auffassung des EuGH hieran nichts.

 

Hinweis für die Praxis:

Die Rechtsprechung des BAG, wonach die Frage nach der Schwangerschaft jedenfalls dann gerechtfertigt war, wenn sie dem gesundheitlichen Schutz der Bewerberin und des ungeborenen Kindes diente, gilt nicht mehr! Auf diese Kehrtwendung der Rechtsprechung muss sich die betriebliche Praxis künftig einstellen.

 

Die Belange der Arbeitgeber werden in dieser Rechtsprechung insgesamt ignoriert. Finanzielle Belastungen des Arbeitgebers werden hingenommen.

 

Das Bundesarbeitsgericht hat allerdings offen gelassen, ob diese strenge Rechtsprechung auch für befristete Arbeitsverhältnisse gilt. Der EuGH hat jedoch bereits im Jahre 2001 klargestellt, dass auch die Nichterneuerung eines befristeten Arbeitsvertrages wegen einer Schwangerschaft eine unmittelbare Diskriminierung darstellt. (EuGH, Urt. v. 4. 10. 2001 – C 438/99 -, veröffentlicht in: NZA 2001, S. 1243 ff.) Es spricht deshalb vieles dafür, dass die neue Rechtsprechung auch auf befristete Arbeitsverhältnisse Anwendung finden wird.

 

Fazit damit: Lügen haben keine Konsequenzen!

 

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen 

 

 

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