22.03.2015 -

Besteht ein Betriebsrat, muss dieser bei Ausspruch einer Kündigung nach § 102 BetrVG bekanntlich angehört werden. Eine ohne Anhörung des Betriebsrates erklärte Kündigung ist, unabhängig von den Kündigungsgründen, unwirksam. Das Arbeitsgericht Berlin hat in einem aktuellen Urteil hohe Anforderungen an die Betriebsratsanhörung bei Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen gestellt (20.12.2013 – 28 Ca 12974/13). Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die betriebliche Praxis und soll daher hier vorgestellt und besprochen werden.

Der Fall (verkürzt):

Der Arbeitgeber betreibt ein Soniorenheim in Berlin. Die Arbeitnehmerin ist dort bereits seit September 1984 als „Altenpflegerin“ beschäftigt. Das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt betrug 2.600,00 €.

In den Jahren 2006 bis 2012 kam es zu insgesamt 616 arbeitsunfähigen Arbeitstagen nach Angaben des Arbeitgebers. Für das Jahr 2010 bezifferte der Arbeitgeber 162 Arbeitstage, für 2011 54 Arbeitstage, für 2012 in Höhe von 123 Arbeitstagen und für 2013 (bis 22. Juli) nochmals 30 Arbeitstage.

Mit Schreiben vom 14. August 2013 wurde der Betriebsrat zu einer krankheitsbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen schriftlich angehört. In der Betriebsratsanhörung wurden die vorgenannten Fehltage mitgeteilt. Weiter wurde dazu ausgeführt:

„Diese Tage der Arbeitsunfähigkeit waren immer verteilt auf (fast) alle Monate des Jahres, es handelte sich also um wiederholte und nicht um zusammenhängende Arbeitsunfähigkeiten.“

Eine Auflistung über die einzelnen Fehltage wurde der Betriebsratsanhörung nicht beigefügt. Gesprächsangebote zur Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) wurden von der Arbeitnehmerin nicht wahrgenommen.

Zur Lohnfortzahlung wurde in der Betriebsratsanhörung wie folgt ausgeführt:

„Von den insgesamt 369 Tagen der Arbeitsunfähigkeit (2010 bis Juli 2013) waren 288 Arbeitstage mit Lohnfortzahlung. Die Kosten hierfür (inklusive Arbeitgeberanteil SV) betrugen insgesamt 42.117,42 €.“

Der Betriebsrat äußerte sich zu der Anhörung nicht. Nach Ablauf der Wochenfrist kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristgerecht. Hiergegen erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage und bestritt insbesondere die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates.

Die Entscheidung:

Das Arbeitsgericht hat der Klage wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung stattgegeben.

I. Inhalt der Betriebsratsanhörung

Nach § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Nach S. 2 hat der Arbeitgeber ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen und nach S. 3 ist eine ohne Anhörung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung unwirksam.

Die Betriebsratsanhörung ist kein vorgezogenes Kündigungsschutzverfahren. Die Mitteilungspflicht an den Betriebsrat ist daher nicht mit den Pflichten im Kündigungsschutzverfahren zum Sachvortrag und zur Darlegungs- und Beweislast identisch. Für die Betriebsratsanhörung muss vielmehr der Arbeitgeber die Kündigungsgründe aus seiner Sicht mitteilen. Man spricht hier vom Grundsatz der sogenannten „subjektiven Determinierung“. Ausgehend von Sinn und Zweck der Betriebsratsanhörung ist daher die Betriebsratsanhörung vollständig, wenn der Arbeitgeber ihm die aus seiner subjektiven Sicht tragenden Umstände in der „Substanz“ unterbreitet hat. Der Betriebsrat muss vor Ausspruch der Kündigung auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss nehmen können.

Hinweis für die Praxis:

Der Umfang der Betriebsratsanhörung hat maßgeblichen Einfluss auf den späteren Kündigungsschutzprozess. Nur das, was dem Betriebsrat mitgeteilt worden ist, kann auch in den Kündigungsschutzprozess als Kündigungsgrund eingeführt werden. Wir empfehlen daher, die Betriebsratsanhörung möglichst ausführlich schriftlich durchzuführen und den Betriebsrat ergänzend immer auch mündlich zu informieren.

II. Anhörung bei häufigen Kurzerkrankungen

Aus den vorgenannten Grundsätzen hat das Arbeitsgericht Berlin, aus unserer Sicht fehlerhaft, die Verpflichtung des Arbeitgebers abgeleitet, die konkreten Ausfallzeigen aufgeschlüsselt auf die einzelnen Jahre dem Betriebsrat mitzuteilen. Der bloße Hinweis auf die aufaddierten Fehlzeiten je Jahr reicht nach Auffassung des Arbeitsgerichts Berlin für eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung nicht aus. Eine Begründung für dieses Erfordernis gibt das Arbeitsgericht Berlin jedoch nicht, sondern behauptet schlicht, dass dies Voraussetzung für die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung sei. Die Mitteilung der jährlichen aufaddierten Fehlzeiten reiche nicht aus und führe daher zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 BetrVG.

Hinweis für die Praxis:

Die Rechtsprechung des Arbeitsgerichts Berlin überzieht die Anforderungen an den notwendigen Inhalt einer Betriebsratsanhörung. Nach den Grundsätzen der subjektiven Determinierung, wie oben angesprochen, reicht die Angabe der jährlichen Fehltage und die Mitteilung, dass die Kündigung auf häufige Kurzerkrankungen gestützt wird, aus. Der Arbeitgeber hatte zusätzlich sogar noch die aufaddierten Lohnfortzahlungskosten mitgeteilt. Die Frage, ob die einzelnen Fehlzeiten für eine krankheitsbedingte Kündigung ausreichen, ist dann im Kündigungsschutzprozess zu klären und keine Frage der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung. Dennoch macht die Entscheidung deutlich, dass die Arbeitsgerichte hohe Anforderungen an den Inhalt der Betriebsratsanhörung stellen. In der Praxis ist daher zu empfehlen, die Fehltage mit entsprechenden Aufstellungen über die einzelnen Ausfallzeiten ebenfalls dem Betriebsrat mitzuteilen. Dies gilt auch für die entsprechende Aufschlüsselung der Lohnfortzahlungskosten.

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