Der Betriebsrat hat bei Regelungsgegenständen, die das sogenannte Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffen, ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Dieses mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten ist vom mitbestimmungsfreien Arbeitsverhalten abzugrenzen. Das Landesarbeitsgericht München hatte nun zu entscheiden, ob sogenannte welcome-back-Gespräche“ unter dieses Ordnungsverhalten zu fassen sind (13.02.2014 – 3 TaBV 84/13). Die Entscheidung bestätigt und vertieft die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Frage und soll daher hier näher besprochen werden.
Der Fall:
Der beteiligte Arbeitgeber führt ein bundesweites Unternehmen des Modeeinzelhandels mit zahlreichen Filialen. Der beteiligte Betriebsrat ist in einer dieser Filialen gebildet.
Der Arbeitgeber führt in dieser Filiale für jeden Arbeitnehmer sogenannte An- und Abwesenheitslisten in Form von formularmäßigen Jahresübersichten, in denen handschriftlich für jeden einzelnen Arbeitstag eingetragen wird, ob der betreffende Arbeitnehmer mit welchen Arbeitszeiten gearbeitet hat, ihm Urlaub gewährt worden ist, er krankheitsbedingt gefehlt hat oder er wegen der Betreuung erkrankter Kinder abwesend war. Darüber hinaus führt der Arbeitgeber aus verschiedenen Anlässen sogenannte „welcome-back-Gespräche“, u.a. bei krankheitsbedingter Abwesenheit. Dies betrifft sowohl Arbeitnehmer mit auffälligen und hohen Ausfallzeiten als auch solche, die eine geringe Fehlquote haben. Nach den Angaben des Arbeitgebers dienen diese Gespräche u.a. dazu herauszufinden, ob ein Mitarbeiter eventuell Probleme hat und wie der Arbeitgeber hierbei helfen kann, zur Vorbereitung eventueller individualrechtlicher Bewertungen, um eine Information über die Fehlzeiten zu bekommen, um eventuelle Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit zu beseitigen oder um bei besonders langen Fehlzeiten individualrechtliche Folgemaßnahmen in Gestalt einer Versetzung oder – ggf. – personenbedingten Kündigung zu erwägen.
Der Betriebsrat hat im Wege des Beschlussverfahrens Unterlassung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen.
Die Entscheidung:
Das Landesarbeitsgericht München hat im Beschwerdeverfahren dem Arbeitgeber aufgegeben, es zu unterlassen, Gespräche mit den Beschäftigten über deren krankheitsbedingte Fehlzeiten zu führen, ohne dass der Betriebsrat seine Zustimmung hierzu erteilt hat oder die Einigung wirksam durch Spruch einer Einigungsstelle ersetzt worden ist.
I. Abgrenzung Ordnungs- und Arbeitsverhalten
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat in Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer, das ein aufeinander abgestimmtes Verhalten erfordert. Neben verbindlichen Verhaltensregeln dienen unterschiedliche Maßnahmen des Arbeitgebers dazu, das Verhalten der Arbeitnehmer zu beeinflussen und zu koordinieren. An ihrer Gestaltung sollen die Arbeitnehmer über das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beteiligt werden. Demgegenüber besteht kein Mitbestimmungsrecht, wenn das Arbeitsverhalten eines Arbeitnehmers durch Anordnungen, mit denen seine Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert wird, die also bestimmen, welche Arbeiten in welcher Weise auszuführen sind, betroffen ist.
Hinweis für die Praxis:
Das Ordnungsverhalten ist also immer dann betroffen, wenn das betriebliche Zusammenleben der Arbeitnehmer berührt wird. Dies betrifft u.a. den Ausspruch von Verboten, z.B. Alkoholverbot, Rauchverbote etc. Nur wenn die Arbeitsleistung lediglich inhaltlich konkretisiert wird, ist das unmittelbare Arbeitsverhalten berührt. Dazu kann der Betriebsrat nicht mitbestimmen.
II. Krankengespräche
Das Bundesarbeitsgericht hat bereits im Jahre 1994 klargestellt, dass Krankengespräche unter das Ordnungsverhalten nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu fassen sind. Voraussetzung ist das Vorliegen formalisierter Krankengespräche. Diese sind zu bejahen, wenn die Auswahl der zu Krankengesprächen herangezogenen Arbeitnehmer nach einer abstrakten Regel erfolgt und das Verfahren durch den gleichförmigen Ablauf formalisiert ist. Dann geht es um die Frage, wie sich die Arbeitnehmer während des Gesprächs verhalten sollten. Die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer ergibt sich aus der Frage nach ihren Krankheiten und deren Ursachen, die die Privatsphäre der Arbeitnehmer berühren und dem faktischen Zwang, dem sich die Arbeitnehmer häufig nicht entziehen können.
So lag der Fall hier. Die Voraussetzungen waren erfüllt. Krankengespräche wurden nicht nur in Einzelfällen durchgeführt. Es existierten sogar Formulare zu solchen Gesprächen.
Hinweis für die Praxis:
Keinem Arbeitgeber ist es verwehrt, mit einem Arbeitnehmer im Einzelfall ein Gespräch zu führen. Folgen aber solche Gespräche nach formalisierten Regeln und abstrakten Grundsätzen, handelt es sich um einen kollektiven Tatbestand, der im Fall von Krankenrückkehrgesprächen die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auslöst. Der Arbeitgeber löst also die Mitbestimmung faktisch selbst aus, wenn er abstrakte Regeln für eine Vielzahl von Arbeitnehmern aufstellt.
III. Mitbestimmung bei An- und Abwesenheitslisten
Das Landesarbeitsgericht München hat ein Mitbestimmungsrecht in Bezug auf das Führen von An- und Abwesenheitslisten jedoch verneint. Das Ordnungsverhalten nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG wird durch solche Listen nicht betroffen. Ein Arbeitgeber verfügt ohnehin über entsprechende Informationen und kann sie sich jederzeit ad hoc in Bezug auf einzelne Arbeitnehmer zusammenstellen. Solche Listen stehen auch nicht im Kontext zu Krankenrückkehrgesprächen. Die Gefahr, zu einem Krankenrückkehrgespräch wegen Fehlzeiten herangezogen zu werden, besteht unabhängig von dem Führen von An- und Abwesenheitslisten.
Fazit:
Führt ein Arbeitgeber Krankenrückkehrgespräche mit mehreren Arbeitnehmern nach bestimmten Grundsätzen durch, ist unmittelbar das Ordnungsverhalten nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG betroffen. Der Betriebsrat hat mitzubestimmen. Ohne ausdrückliche Zustimmung des Betriebsrats dürfen solche Gespräche nicht durchgeführt werden. Der Betriebsrat kann seine Mitbestimmung kurzfristig im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen. Vor der Einführung solcher Gespräche sollte daher in jedem Fall der Betriebsrat einbezogen und seine Zustimmung eingeholt werden.
Auszeichnungen
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