08.06.2015

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat einer 83-Jährigen Frau den Anspruch auf Grundsicherung im Alter mit der Begründung versagt, sie habe ihr eigenes Vermögen zu schnell verbraucht.

Der Fall

Die Klägerin hatte gemeinsam mit ihrem Ehegatten ein Reformhaus betrieben. Nach der Trennung der Eheleute verzichtete die Klägerin auf Unterhalt und lebte fortan von einer gesetzlichen Rente in Höhe von 250 €, sowie ihren Ersparnissen, die sich Anfang 2006 auf etwa 105.000 € beliefen. Als diese Ersparnisse Ende 2009 aufgebraucht waren, stellte sie beim zuständigen Sozialamt einen Antrag nach § 41 Abs. 1 SGB XII, wonach älteren Personen, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen bestreiten  können, eine staatliche Grundsicherung zusteht. Den Antrag lehnte die Behörde jedoch mit Hinweise auf § 41 Abs. 4 SGB XII, der eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Leistung verhindern soll, ab. Danach besteht ein Anspruch auf diese Leistung nicht, wenn in den letzten zehn Jahren die Bedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Dies sei hier aufgrund der unangemessen kostspieligen Lebensführung der Antragstellerin, die monatlich bis zu 2500,- verbraucht hatte, der Fall. Die Rentnerin reichte Klage ein, diese wurde jedoch in erster Instanz abgewiesen. Daraufhin legte sie Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg ein. Auch in dieser Instanz blieb die Klägerin jedoch ohne Erfolg.

Die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg

Das LSG Baden-Württemberg bestätigte mit seiner Entscheidung den Ausschluss eines Anspruchs der Klägerin auf Grundsicherung im Alter gem. § 41 Abs. 4 SGB XII. Der Vermögensverbrauch der Klägerin stelle keinen verantwortungsvollen Umgang mit ihrem Vermögen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes dar und sei somit als sozialwidrig einzustufen. Sie habe ihr Ausgabeverhalten an ihre finanzielle Situation anpassen müssen. Die Solidargemeinschaft könne erwarten, dass ein Betroffener versuche, eine Inanspruchnahme der Sozialhilfe und damit der Solidargemeinschaft möglichst zu vermeiden, zumindest aber hinauszuzögern. Eine Reduzierung ihrer Lebenshaltungskosten sei der Klägerin durchaus möglich gewesen – etwa durch Umzug in eine günstigere Wohnung. Des Weiteren hätte sie schon frühzeitig erkennen können und müssen, dass sie in absehbarer Zeit auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sein würde. Dennoch verzichtete sie auf die ihr zustehenden Unterhaltszahlungen des geschiedenen Ehegatten.  Durch ihr Verhalten habe die Klägerin zumindest grob fahrlässig ihre Hilfebedürftigkeit herbeigeführt.  

Fazit

Legitim ist sicherlich das gesetzgeberische Ziel, eine finanzielle Belastung der Solidargemeinschaft zu verhindern, wenn der Einzelne in der Lage ist, seine Lebenshaltungskosten eigenständig zu tragen und er seine Bedürftigkeit in rechtsmissbräuchlicher Weise selbst herbeiführt.

Die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg begegnet jedoch grundlegenden Bedenken: Denn die Verweigerung der „Grundsicherung im Alter“ führt hier letztlich ohnehin nicht zu einer Entlastung der Solidargemeinschaft, da die Klägerin statt dessen vom Sozialamt „Hilfe zum Lebensunterhalt“ enthält, die der Höhe nach der Grundsicherung gleichkommt.

Zwar muss „Hilfe zum Lebensunterhalt“ im Gegensatz zur „Grundsicherung im Alter“ zurückgezahlt werden. Allerdings ist nicht ohne weiteres zu erwarten, dass potenzielle Erben eine mit derartigen Rückzahlungsverpflichtungen belastete Erbschaft annehmen – vor allem dann nicht, wenn wie hier das Vermögen im Wesentlichen verbraucht wurde.  

Die von der Entscheidung ausgehende Botschaft ist indes im Ergebnis höchst fraglich.

So dürfte bereits zweifelhaft sein, ob man der Klägerin wirklich vorwerfen konnte, ein Vermögen von knapp 105.000 € in vier Jahren zu verbrauchen. Ein monatlicher Verbrauch von bis zu 2.500,00 € dürfte unter Berücksichtigung normaler Ausgaben für Lebenshaltung, Miete, PKW etc. sicher kein Leben „in Saus und Braus“ ermöglichen, sondern lediglich einen gehobenen Lebensstandard – für den man das Vermögen in der Regel aber auch sein Leben lang gebildet hat.

Im Ergebnis postuliert das Gericht, ein Rentner möge sich bitte möglichst früh auf kargem Niveau einleben, damit die eigenen Ersparnisse möglichst lang reichen. Die Schwierigkeit liegt nur darin, dass man in der Regel nicht genau planen kann, wie lange man lebt und sich folglich auch nicht planen lässt, wie lange das eigene Vermögen zu reichen hat.

Anders gesagt: Wer im Alter von 83 Jahren seinen Lebensstandard senkt, damit die eigenen Mittel noch bis zum 90. Geburtstag oder länger reichen, dann aber z.B. mit 85 Jahren verstirbt, hätte seine letzten Lebensjahre deutlich schöner verbringen können.

Hinterher ist man immer klüger.

Dieser Artikel entstand unter Mitwirkung von Frau Judy Valbert, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bonner Büro unserer Sozietät.

Autor

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