Nach dem Tod des Erblassers kann ein Erbe unter bestimmten Bedingungen sein Erbrecht verlieren. Voraussetzung dafür ist, dass einer der gesetzlich geregelten Erbunwürdigkeitsgründe (§ 2339 BGB) vorliegt. Bei den Erbunwürdigkeitsgründen handelt es sich um Verfehlungen des Erben, die nach Einschätzung des Gesetzgebers so schwerwiegend sind, dass sie es erlauben, den Erben vom Erbrecht auszuschließen.

Allerdings kann der Erblasser dem Erbunwürdigen verzeihen. Die Regeln zur Erbunwürdigkeit sind also  dann ausgeschlossen, wenn der Erblasser dem Schuldigen zu erkennen gibt, dass er auf Grund der ihm bekannten Verfehlung keine nachteiligen Folgerungen für den Erben zu ziehen gedenkt.

Der Fall

In dem nun vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatten sich die Eheleute in einem 1991 errichteten Testament gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Im Jahr 1997 erkrankte die Ehefrau an Alzheimer und wurde 2002 nach einem Krankenhausaufenthalt in ein Alten- und Pflegeheim verlegt. In Folge eines epileptischen Anfalls im Jahre 2003 erhielt sie eine PEG-Sonde, über die ihr Nahrung, Flüssigkeit und Medikamente zugeführt wurden. Sie verließ das Krankenzimmer in der Folgezeit nicht mehr und eine verbale Kommunikation mit ihr war nicht mehr möglich.

Ihr Ehemann war als ihr Betreuer eingesetzt und besuchte sie regelmäßig. Er litt an Depressionen und hatte bereits einen Selbstmordversuch unternommen. Am 9. Februar 2012 durchtrennte er mittels einer Schere den Verbindungsschlauch der Magensonde und widersprach einer erneuten Verbindung, nachdem das Pflegepersonal seine Handlung entdeckt hatte. Dem Pflegepersonal gelang es, die Verbindung zu reparieren. Die Erblasserin verstarb einen Monat später an einer Lungenentzündung, die nicht in Zusammenhang mit dem versuchten Behandlungsabbruch stand. Der Ehemann wurde von einem Strafgericht wegen versuchten Totschlags in einem minder schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Die Verstorbene hinterließ drei Kinder. Einer der Söhne klagte auf Feststellung der Erbunwürdigkeit seines Vaters.  Das Oberlandesgericht lehnte dies noch ab. Der Ehemann hatte vorgetragen, die Erblasserin habe früher geäußert, nicht menschenunwürdig dahinvegetieren zu wollen. Daraufhin stellte das Oberlandesgericht fest, die gesundheitliche Situation der Erblasserin sei seit mehreren Jahren denkbar schwer und kaum erträglich ohne Aussicht auf Besserung gewesen. Die Handlung des Ehemannes sei nicht von einer für Tötungsdelikte typischen aggressiven Motivation, sondern eher von Verzweiflung und einer empfundenen Ausweg- und Aussichtslosigkeit geprägt gewesen. Die versuchte Tötung in einem minder schweren Fall sei nicht ohne weiteres dazu geeignet, eine Erbunwürdigkeit zu begründen. § 2339 BGB sei vielmehr als sogenannte Regelvermutung zu verstehen, die eine Prüfung der besonderen Umstände des Einzelfalles zulasse. Zweck der Bestimmung sei der Schutz der Würde des Erblassers in seiner Eigenschaft als Träger von Testierfreiheit. Dieser Schutzzweck werde durch das Verhalten des Beklagten nicht berührt. Angesichts der tragischen Besonderheiten des Falles erscheine es als nicht angemessen, den Beklagten für erbunwürdig zu erklären.

 

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof lehnt eine einschränkende Auslegung von § 2339 BGB – wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hatte – mit der Begründung ab, dass dafür nach Wortlaut,  Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck kein Raum sei. Auf die Motive des Erbunwürdigen komme es selbst dann nicht an, wenn er aus anerkennenswerten Motiven gehandelt hat. Die Erbunwürdigkeit stelle eine spezifisch erbrechtliche Sanktion auf schwerstes vorsätzlich begangenes Unrecht dar, das es als unerträglich erscheinen lasse, wenn der Nachlass des Opfers auf den Täter überginge.

Das Gesetz selbst enthalte typisierende Regelungen, bei denen unabhängig von den Umständen des Einzelfalles von schwerem Handlungsunrecht auszugehen sei, welches die Erbunwürdigkeit des Erben begründet. Auf die Regelung über die Verzeihung könne auch im Sinne einer allgemeinen Abwägung nicht abgestellt werden. Erforderlich für eine Verzeihung sei nämlich, dass der Erblasser selbst noch in der Lage war, auf das Verhalten des Täters zu reagieren, was in Fällen wie dem hier zu beurteilenden nicht der Fall sei. Auf eine gewissermaßen „hypothetische Verzeihung“ komme es nicht an.

Der Bundesgerichtshof ging – wie auch schon das Strafgericht – davon aus, dass ein ausdrückliches oder mutmaßliches Einverständnis der Erblasserin am Durchtrennen der Sonde nicht bestanden hatte. Ein zulässiger Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen fehle, da eine Patientenverfügung nicht vorlag. Wolle der Betreuer den Abbruch der künstlichen Ernährung eines einwilligungsunfähigen Betroffenen herbeiführen, bedürfe er in dieser Lage der Genehmigung des Betreuungsgerichts.

Fazit

Bei der Beurteilung der Erbunwürdigkeit kommt es auf die bisweilen menschlich billigenswerten Motive des Erbunwürdigen bei seiner Tat nicht an.  Auch wenn sich der Erbe in einer für ihn persönlich sehr schweren – und möglicherweise sogar vom Erblasser so nicht gewollten – Situation befindet, gibt ihm das nicht das Recht, einseitig die lebenserhaltenden Maßnahmen für den Erblasser abzubrechen. Setzt er sich darüber hinweg, hat dies auch erbrechtliche Konsequenzen.

Der menschlich tragische Fall zeigt, wie bedeutend die vom Gesetzgeber anerkannte Möglichkeit ist, eine Patientenverfügung zu errichten. Im Interesse der engsten Familienangehörigen sollte hiervon Gebrauch gemacht werden, um einem folgenschweren Geschehen wie dem vorliegenden entgegenzuwirken.

Rechtsanwalt Gordian Felix Oertel, Associate, Büro Bonn.
(oertel@meyer-koering.de)

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sprechblasen

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.

Kontakt aufnehmen