Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 19. Mai 2015 – II ZR 176/14 – eine für „kleine“ (nicht börsennotierte) Aktiengesellschaften wichtige Entscheidung getroffen. Bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften bedarf es einer notariellen Protokollierung der Niederschrift der Hauptversammlung nur bei Beschlüssen, die nach Gesetz eine ¾-Mehrheit oder eine höhere Mehrheit des bei Beschlussfassung anwesenden Grundkapitals vorsehen. Die übrigen Beschlüsse können in einer vom Aufsichtsratsvorsitzenden unterschriebenen Niederschrift protokolliert werden. Dies gilt auch, wenn in einer Hauptversammlung sowohl notariell zu protokollierende Beschlüsse gefasst werden als auch Beschlüsse, bei denen die Niederschrift des Aufsichtsratsvorsitzenden ausreicht.
Die Hauptversammlung der Beklagten, einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft, sollte über verschiedene Beschlussvorschläge entscheiden. Zu den Beschlussgegenständen gehörten die „üblichen“ Beschlussgegenstände einer jährlichen Hauptversammlung: Verwendung des Bilanzgewinns, Entlastung des Vorstandes sowie des Aufsichtsrates sowie die Wahl des Abschlussprüfers. Zusätzlich sollte die Hauptversammlung über die Änderung der Satzung abstimmen. Für die Änderung zur Satzung war eine notariell beurkundete Niederschrift notwendig, die auch von einem Notar angefertigt wurde. Zusätzlich erstellte der Vorsitzende des Aufsichtsrates über die übrigen Beschlussgegenstände sowie offenbar auch über die Satzungsänderung selbst eine eigene Niederschrift und unterschrieb diese.
Die Klägerin, eine Aktionärin, begehrte Feststellung der Nichtigkeit der Beschlussgegenstände, die ausschließlich in der Niederschrift des Aufsichtsratsvorsitzenden enthalten waren. Die Klägerin hatte mit ihrer Klage beim Landgericht sowie beim Oberlandesgericht Erfolg. Auf die Revision der Aktiengesellschaft hob der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil des OLG auf und wies die Klage im Wesentlichen ab.
Gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 AktG ist sowohl über die Verhandlung über einzelne Beschlussgegenstände als auch über den Beschluss selbst eine notariell zu beurkundende Niederschrift notwendig. Hiervon macht § 130 Abs. 1 S. 3 AktG bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften eine Ausnahme. Danach reicht bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften eine vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats zu unterzeichnende Niederschrift aus, soweit keine Beschlüsse gefasst werden, für die eine Mehrheit von ¾ des Grundkapitals oder eine höhere Mehrheit nach Gesetz notwendig ist.
Der BGH hatte nunmehr zu entscheiden, ob es bei „gemischten“ Hauptversammlungen ausreicht, dass nur die Verhandlung sowie die Beschlussfassung notariell beurkundet werden, für die das Gesetz eine ¾-Mehrheit des Grundkapitals oder eine höhere Mehrheit vorsieht oder ob bei gemischten Beschlussgegenständen insgesamt eine notariell zu beurkundende Niederschrift aufzunehmen ist, demnach notariell zu beurkundende Beschlussgegenstand die übrigen nicht beurkundungsbedürftigen Beschlussgegenstände „infizieren“. Die Rechtsfrage ist seit langem umstritten. Die überwiegende Auffassung im Schrifttum ging davon aus, dass bei gemischten Beschlussgegenständen eine einheitliche notariell zu beurkundende Niederschrift über die Verhandlung sowie die Beschlussfassung notwendig sei. Der BGH lehnte diese herrschende Auffassung im Schrifttum mit der Mindermeinung ab und nimmt Teilbarkeit an. Danach reicht es aus, wenn nur die Verhandlung und die Beschlussfassung notariell beurkundet werden, für die das Gesetz eine Mehrheit von mindestens ¾ des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals vorsieht. Für die übrigen Beschlussgegenstände reicht eine vom Aufsichtsratsvorsitzenden zu unterzeichnende Niederschrift aus.
Der BGH begründet seine Auffassung schulmäßig. Der Wortlaut sei noch nicht eindeutig, da sich das Tatbestandsmerkmal „eine über die Verhandlung“ gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 AktG sowohl auf den einzelnen Beschlussgegenstand als auch auf die Beschlussfassung insgesamt der Hauptversammlung beziehen kann. Der Wortlaut von § 130 Abs. 1 S. 3 AktG legt dagegen nahe, dass nur für bestimmte Beschlussgegenstände eine notarielle Beurkundung notwendig ist. Gemäß § 130 Abs. 1 S. 3 AktG reicht bei einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft eine vom Vorsitzenden des Aufsichtsrates unterschriebene Niederschrift aus, „soweit“ keine Verhandlungen und Beschlüsse protokolliert werden, bei denen das Gesetz eine ¾-Mehrheit vorsieht. Hätte der Gesetzgeber gewünscht, dass die Hauptversammlung insgesamt notariell zu beurkunden ist, wenn auch nur ein Beschlussgegenstand der notariellen Beurkundung unterliegt, hätte der Gesetzgeber das Tatbestandsmerkmal „sofern“ gewählt. Die Teilbarkeit entspricht zudem der Auffassung des historischen Gesetzgebers. Mit Einführung der Ausnahmevorschrift in § 130 Abs. 1 S. 3 AktG wünschte der Gesetzgeber eine Protokollierung nur für bestimmte „Grundlagenbeschlüsse“. Der Gesetzgeber hat das Problem der Teilbarkeit ausweislich der Gesetzesbegründung gesehen und ausdrücklich bestimmt, dass nur für wesentliche Beschlüsse eine notarielle Beurkundung bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften notwendig sei.
Fazit:
Mit dieser Entscheidung dürften bei einigen nicht börsennotierten Aktiengesellschaften Beschlüsse von Hauptversammlungen wirksam werden. Es ist häufiger zu beobachten, dass aus Kostengründen oder in manchen Fällen auch aus Unwissenheit von einer notariellen Beurkundung der Niederschrift der Hauptversammlung abgesehen wird. Nach der Entscheidung des BGH vom 19. Mai 2015 sind die Beschlüsse jedenfalls insoweit wirksam, soweit keine Beschlüsse über Gegenstände gefasst werden, die eine Mehrheit von ¾ des bei der Beschlussfassung anwesenden Grundkapitals verlangen. Sollten daher bei einer Hauptversammlung Beschlüsse sowohl über notariell beurkundungsbedürftige Beschlussgegenstände als auch über nicht beurkundungsbedürftige Beschlussgegenstände gefasst worden sein, sind jedenfalls die Beschlüsse wirksam, bei denen eine qualifizierte Mehrheit nicht notwendig ist. Vorstände und Aufsichtsräte dürften dies mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis nehmen.
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