Einführung

Der Pflichtteilsberechtigte hat nach § 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB einen Geldanspruch in Höhe der Hälfte des Werts seines gesetzlichen Erbteils. Eine bestimmte Wertberechnungsmethode für die Ermittlung des Nachlasswerts sieht das Gesetz nicht vor. Das BGB kennt keinen allgemeinen verbindlichen Wertbegriff und keine allgemein verbindliche Wertdefinition. Für die Bemessung des Anspruchs stellt § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Bestand und den Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalles ab. Der Pflichtteilsberechtigte ist danach wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden. Bei der Berechnung des Pflichtteils ist also zu ermitteln, welchen Verkaufserlös der Nachlass am Tag des Erbfalles tatsächlich erbracht hätte.

Hat ein Verkauf nicht stattgefunden und fehlt es für den konkreten Nachlassgegenstand an einem gängigen Marktpreis, muss der Wert geschätzt werden (§ 2311 Abs. 2 Satz 1 BGB).

Problemstellung

Schwierigkeiten ergeben sich bei der Ermittlung des maßgeblichen Wertes eines Nachlassgegenstandes immer dann, wenn der Gegenstand dem Erblasser nicht allein gehörte, sondern er nur Miteigentümer war. Dann stellt sich die Frage, ob der zu bestimmende Wert des in den Nachlass fallenden hälftigen Miteigentumsanteils dem hälftigen Wert des Gesamtobjekts entspricht. In der erbrechtlichen Praxis wird ganz überwiegend davon ausgegangen, dass dann, wenn ein halber Miteigentumsanteil einer Immobilie in den Nachlass gefallen ist, bei der Verkehrswertbestimmung des hälftigen Miteigentumsanteils gegenüber der rechnerischen Hälfte des gesamten Grundstückwertes ein deutlicher Abschlag vorzunehmen ist. Der halbe Verkehrswert des gesamten Grundstücks sei nicht  anzusetzen, weil die Chance, den halben Miteigentumsanteil unter marktwirtschaftlichen Bedingungen zu veräußern, sehr gering sei.

Die nun vom Bundesgerichtshof entschiedene Frage betrifft den Sonderfall, dass der bisherige Eigentümer der einen ideellen Hälfte mit dem Erbfall auch die andere Hälfte des Eigentums erlangt. Diese Konstellation liegt insbesondere immer dann vor, wenn Ehegatten eine Immobilie gemeinsam gehörte und der zuerst Verstorbene seinen Ehegatten zu seinem Alleinerben eingesetzt hat.

Kein Abschlag bei Vereinigung der Miteigentumsanteile in der Hand des Erben

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sind in einem solchen Fall keine Gründe ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, einen Abschlag vorzunehmen. Eine Verwertung des Miteigentums an einer Immobilie ist mit dem Erbfall bei dieser Sachlage problemlos möglich. Wie bereits in der Vorinstanz das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht ausgeführt hatte, ging der Bundesgerichtshof davon aus, dass anderenfalls dem Erben zwar im Moment des Erbfalles der volle Wert der ideellen Miteigentumshälfte im Sinne des hälftigen Verkehrswerts zufließt, weil er nun als Alleineigentümer den vollen Verkehrswert realisieren kann, der Pflichtteilsberechtigte aber deutlich weniger als den seinem Pflichtteil entsprechenden Anteil am hälftigen Verkehrswert der Immobilie erhielte.

Ein Abschlag vom hälftigen Wert sei auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Erbe zur Befriedigung des Anspruchs des Pflichtteilsberechtigten gezwungen sein könnte, die gesamte Immobilie zu verkaufen. Dies sei ein regelmäßig mit Erbschaften verbundenes Risiko.

Fazit

Im Pflichtteilsrecht muss im Rahmen der Nachlassbewertung für jeden einzelnen in den Nachlass gefallenen Gegenstand jeweils ein Geldbetrag gefunden werden, der seinem wirtschaftlichen  Wert entspricht. Sinn und Zweck des Pflichtteilsrechts geben dabei  das Bewertungsziel vor: Der Berechtigte soll durch den Pflichtteil so gestellt werden, als wenn er zu dem seinem Pflichtteil entsprechenden Bruchteil Erbe geworden wäre. Zu ermitteln ist also der „wirkliche Wert“ des Nachlasses.

Der Bundesgerichtshof stärkt mit dieser Entscheidung das Recht des Pflichtteilsberechtigten auf Teilhabe an dem, was der Erbe wirtschaftlich erhalten hat.

Rechtsanwalt Gordian Felix Oertel, Associate, Büro Bonn.
(oertel@meyer-koering.de)

 

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