22.10.2015 -

Abfindungszahlungen und sonstige Leistungen in Sozialplänen dürfen nicht vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden. Dies schließt es aber nicht aus, dass die Betriebspartner für die Arbeitnehmer einen finanziellen Anreiz vorsehen, die eine Kündigung akzeptieren. Welche Voraussetzungen dazu notwendig sind und wie eine solche Vereinbarung rechtssicher gestaltet werden kann, hatte nun das Bundesarbeitsgericht zu beurteilen (BAG, Urt. v. 09.12.2014 – 1 AZR 146/13).

Der Fall (verkürzt):

Die beteiligten Arbeitsvertragsparteien streiten über Ansprüche aus einer freiwilligen Betriebsvereinbarung. Die Klägerin war als Sachbearbeiterin bei dem beklagten Arbeitgeber im Vertriebsinnendienst beschäftigt. Anlässlich von Rationalisierungsentscheidungen und einer Betriebsschließung und einem damit verbundenen Wegfalls von Arbeitsplätzen vereinbarten die Betriebspartner einen Interessenausgleich, einen Sozialplan und eine freiwillige Betriebsvereinbarung. Der Sozialplan enthielt eine Abfindungsregelung. Die freiwillige Betriebsvereinbarung bestimmte einen zusätzlichen finanziellen Anreiz und bestimmte u.a. Folgendes:

Die Betriebsparteien haben am 09.06.2010 einen Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen.

I. Durch diese freiwillige Betriebsvereinbarung sagt die Gesellschaft zur Erlangung alsbaldiger Planungssicherheit denjenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die von den im Interessenausgleich vom 09.06.2010 aufgeführten Maßnahmen betroffen sind und die unter den Geltungsbereich des Sozialplanes vom 09.06.2010 fallen, zusätzlich zu den Leistungen des Sozialplanes vom 09.06.2010 nachfolgende weitere Leistungen zu:

1. Mitarbeiter/-innen, die von den im Interessenausgleich vom 09.06.2010 beschriebenen Maßnahmen mittelbar oder unmittelbar betroffen sind, haben nach Erhalt einer betriebsbedingten Kündigung Anspruch auf eine Erhöhung der Gesamtabfindung nach dem Sozialplan vom 09.06.2010, sofern sie keine Kündigungsschutzklage erheben:

Die Klägerin erhielt keine Beendigungskündigung, sondern eine ordentliche Änderungskündigung. Sie nahm die Änderungskündigung unter Vorbehalt an und erhob gleichzeitig Änderungsschutzklage. In dem Rechtsstreit schlossen die Vertragsparteien dann einen Vergleich mit u.a. folgendem Inhalt:

1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen durch eine ordentliche, fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 15.07.2010 mit Ablauf des 31.01.2011 wegen Schließung eines Betriebsteils aufgelöst wird.

2. Als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und des damit verbundenen sozialen Besitzstandes zahlt die Beklagte an die Klägerin eine Abfindung gem. §§ 9, 10 KSchG i.H.v. 62.000,00 €. … Die Zahlung der Abfindung erfolgt unter Anrechnung auf die Sozialplanabfindung des Sozialplans vom 09.06.2010.

Im Anschluss an den bestandskräftigen Vergleich forderte die Klägerin unter Fristsetzung eine Erhöhung der Gesamtabfindung nach der freiwilligen Betriebsvereinbarung in Höhe von insgesamt 12.767,00 €. Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung. Die Voraussetzungen nach der freiwilligen Betriebsvereinbarung lägen nicht vor.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Zahlungsklage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.

I. Finanzieller Anreiz zulässig

Leistungen in Sozialplänen dürfen nicht vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden. Dies folgt aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Aber: Den Betriebsparteien ist nicht jegliche Regelung verboten, durch die im Falle einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer ein finanzieller Anreiz geschaffen werden soll, eine Kündigung zu akzeptieren oder einen Aufhebungsvertrag zu schließen. Jedenfalls dann, wenn die Betriebsparteien ihrer Pflicht zur Aufstellung eines Sozialplanes nachgekommen sind, können sie freiwillig eine kollektivrechtliche Regelung treffen, die im Interesse des Arbeitgebers an alsbaldiger Planungssicherheit finanzielle Leistungen für den Fall vorsieht, dass der Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch macht oder freiwillig aus dem Arbeitsverhältnis im Wege einer Aufhebungsvereinbarung ausscheidet. Das Verbot, Sozialplanabfindungen von einem Verzicht auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage abhängig zu machen, darf dadurch aber nicht umgangen werden.

Hinweis für die Praxis:

Bei der Vertragsgestaltung sollte dies sprachlich eindeutig zum Ausdruck gebracht werden. Es empfiehlt sich, die zusätzlichen finanziellen Anreize in einer gesonderten freiwilligen Betriebsvereinbarung aufzuführen und vom bereits abgeschlossenen Sozialplan abzugrenzen. Die oben im Sachverhalt wiedergegebenen Formulierungen berücksichtigen diese Vorgaben. Daran kann man sich orientieren.

II. Gerichtlicher Vergleich nicht ausreichend

Die zusätzlichen finanziellen Anreize wurden im vorliegenden Fall für den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung oder einer Aufhebungsvereinbarung zugesagt. Die Klägerin erhielt hier aber eine betriebsbedingte Änderungskündigung, die sie sogar unter Vorbehalt annahm. Erst im sich anschließenden Änderungsschutzprozess vereinbarte sie eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs. Schon die Änderungskündigung erfüllte nicht die nötigen Voraussetzungen. Bei einer Änderungskündigung handelt es sich gerade nicht um eine betriebsbedingte Beendigungskündigung und erst recht nicht um eine Aufhebungsvereinbarung. Der gerichtliche Vergleich sah zwar eine Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Kündigung vor. Der Vergleich selbst ist aber keine Kündigungserklärung. Die Voraussetzungen für eine Erhöhung der Abfindung nach der freiwilligen Betriebsvereinbarung lagen daher hier nicht vor.

Fazit:

Die Betriebspartner können in einer zusätzlichen freiwilligen Betriebsvereinbarung finanzielle Anreize für den Fall vorsehen, dass der Arbeitnehmer von der Möglichkeit zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch macht. Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechung dazu bekräftigt und fortgeführt. Mit solchen Anreizen können Klagen also vermieden werden. Dies führt zu alsbaldiger Planungssicherheit. Der Entscheidung ist zuzustimmen.

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