29.11.2015 -

Eine betriebsbedingte Kündigung bedarf dringender betrieblicher Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG. Dazu wiederum bedarf es einer unternehmerischen Organisationsentscheidung, die zu einem dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führt. Das Bundesarbeitsgericht hat nun in einem aktuellen Urteil seine Rechtsprechung dazu bekräftigt und weiter präzisiert (BAG, Urteil v. 31.07.2014  – 2 AZR 422/13).

Der Fall (verkürzt):

Die Parteien streiten über eine ordentliche und betriebsbedingte Kündigung ihres Vertragsverhältnisses.

Der im Jahre 2003 gegründete beklagte Arbeitgeber betreibt industriellen Anlagenbau. Der jetzige Kläger war ursprünglich der alleinige Geschäftsführer. Die damaligen Gesellschafter verkauften ihre Anteile an eine GmbH. Im Kaufvertrag wurde vereinbart, dass der Kläger auch weiterhin das operative Geschäft der Beklagten als Geschäftsführer und später als Prokurist leiten sollte.

In der Folgezeit wurde er als Geschäftsführer abberufen. Ihm wurde Einzelprokura erteilt. Die Beklagte entzog dann ca. ein Jahr später wieder die Prokura und kündigte das Vertragsverhältnis mit dem Kläger.

Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die Ansicht vertreten, dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingten, hätten nicht vorgelegen. Die Beklagte habe insbesondere eine einschlägige unternehmerische Entscheidung nicht vor Abgabe der Kündigungserklärung getroffen.

Die Beklagte hat hingegen behauptet, sie habe sich dazu entschlossen, wieder einen alleinigen Geschäftsführer zu bestellen, der vor Ort tätig sei und das operative Geschäft persönlich leite. Die Tätigkeiten des Klägers seien daher auf den neuen Geschäftsführer übertragen worden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bestätigt und die Kündigung für wirksam erachtet.

I. Statusfrage: Arbeitnehmer oder Geschäftsführer?

Das Kündigungsschutzgesetz gilt nur für Arbeitnehmer. Das Bundesarbeitsgericht hat daher, anders als die Vorinstanzen, zunächst die Frage problematisiert, ob der Kläger überhaupt Arbeitnehmer war. Begrifflich wurde der Kläger als Arbeitnehmer bzw. Prokurist in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt. Das Bundesarbeitsgericht hat aber dazu klargestellt, dass sich der jeweilige Vertragstyp nicht aus der Bezeichnung des Vertragsverhältnisses durch die Parteien ergibt, sondern aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Hier war Grundlage der vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien ursprünglich ein „Geschäftsführervertrag“. Nach der Abberufung als Organ und der Weiterbeschäftigung als Prokurist sollte der Kläger aber nach übereinstimmendem Parteiwillen weiterhin die operativen Geschäfte der Beklagten leiten. Es könne daher durchaus sein, so das Bundesarbeitsgericht, dass er als Prokurist gleichsam „organschaftlich“ tätig geworden ist. Dies schließe es daher nicht aus, dass der Kläger nach seiner Abberufung weiterhin auf der Grundlage eines Dienstvertrages als „freier Dienstnehmer“ beschäftigt wurde.

Das Bundesarbeitsgericht hat dann aber diese Fragen nicht abschließend geklärt, da selbst bei Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes die ausgesprochene Kündigung wirksam war.

Hinweis für die Praxis:

Die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts zur Tätigkeit des Klägers als „freier Dienstnehmer“ sind bedeutsam. Sie machen deutlich, dass allein die Bezeichnung eines Vertrages als Arbeitsverhältnis bzw. der Begriff „Arbeitnehmer“ einen Vertragstyp noch nicht verbindlich festlegen können. Maßgeblich sind der wirkliche Geschäftsinhalt und die tatsächlichen Verhältnisse. Gerade bei der Weiterbeschäftigung von früheren Geschäftsführern in einem Arbeitsverhältnis ist hierauf besonders zu achten.

II. Unternehmerische Entscheidung

Eine betriebsbedingte Kündigung bedarf zunächst einer unternehmerischen Entscheidung, hier zu einer Umorganisation. Diese Entscheidung muss spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlichen dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führen. Die Prognose muss schon im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv berechtigt sein. Aber: Der Beschäftigungsbedarf muss bei Zugang der Kündigung nicht schon tatsächlich entfallen sein. Für die Wirksamkeit der Kündigung genügt es, dass jedenfalls die Entwicklungen, die für den künftigen Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit maßgeblich sind, zu diesem Zeitpunkt feststehen, also abschließend geplant sind und dass die Erwartung berechtigt ist, sie würden sich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist realisiert haben. In diesem Sinne muss der betreffende Kausalverlauf zwar noch nicht beendet, aber bei Kündigungszugang doch bereits in Gang gesetzt worden sein.

Hinweis für die Praxis:

Der Arbeitgeber muss also schon im Zeitpunkt der Kündigung endgültig und vorbehaltlos zur Vornahme einer Maßnahme entschlossen sein, die, wenn sie tatsächlich durchgeführt wird, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist den Arbeitsplatzverlust zur Folge hat.

III. Kein Formzwang!

Der fragliche Entschluss unterliegt keinem Formzwang. Auch bei einem mehrköpfigen Entscheidungsgremium, das letztlich nur gemeinsam entscheiden kann, bedarf es dazu in der Regel keines förmlichen Beschlusses. Es genügt, dass ein einzelnes Gremiummitglied den betreffenden Entschluss vorbehaltlos gefasst hat und fest damit zu rechnen war, die übrigen Mitglieder würden sich dem anschließen.

Hinweis für die Praxis:

Die Tatsache, dass die Rechtsprechung keinen förmlichen Beschluss fordert, ändert nichts daran, dass ein solcher Beschluss zum Nachweis in einem Gerichtsverfahren zu empfehlen ist. Ein kurzer und einfacher Beschluss der Geschäftsführung oder des zuständigen Entscheidungsgremiums ist prozessual von Vorteil und sollte daher vorgelegt werden können.

IV. Übertragung von Aufgaben auf Geschäftsführung

Die Entscheidung des Arbeitgebers, Tätigkeiten, die bislang ein Arbeitnehmer erbracht hat, künftig von einem Geschäftsführer miterledigen zu lassen, ist zulässig und rechtlich nicht zu beanstanden. Dem Arbeitgeber ist es kündigungsschutzrechtlich nicht verwehrt, Tätigkeiten, die bisher von Arbeitnehmern geleistet wurden, künftig (echten) freien Mitarbeitern oder Mitgliedern seiner Vertretungsorgane, die keine Arbeitnehmer sind, zu übertragen. Eine solche unternehmerisch-organisatorische Entscheidung hat die Vermutung für sich, dass sie aus sachlichen Gründen erfolgt. Die mögliche Motivation, eine solche Entscheidung wegen erkennbarer Unzufriedenheit mit den Leistungen eines Arbeitnehmers zu fällen, stellt diese rechtliche Beurteilung nicht in Frage. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu nochmals klargestellt, dass sachadäquate Erwägungen keine rechtsmissbräuchlichen Motive darstellen können.

Fazit:

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist aus mehreren Gründen praxisrelevant. Zum einen muss eine unternehmerische Entscheidung im Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigung noch nicht umgesetzt sein. Ferner muss der entsprechende Entschluss nicht förmlich gefasst werden. Die unternehmerische Entscheidung unterliegt keinem Formzwang. Schließlich können Tätigkeiten eines Arbeitnehmers uneingeschränkt auf freie Mitarbeiter oder gesetzliche Vertretungsorgane übertragen werden. Eine solche Entscheidung ist regelmäßig nicht rechtsmissbräuchlich und kann zum Wegfall des Arbeitsplatzes und damit zu einer wirksamen betriebsbedingten Kündigung führen.

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