22.12.2015 -

Die Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern an Schulungsveranstaltungen ist betriebsverfassungsrechtlich vorgesehen und damit zulässig. Zwischen den Betriebspartnern kommt es aber immer wieder zu Streit über die Kostenübernahmeverpflichtung des Arbeitgebers bei Spezial-Seminaren. Das Bundesarbeitsgericht hatte nun die Frage zu beantworten, ob der Betriebsrat eine Schulung zum Thema Mobbing für erforderlich halten darf (BAG, Beschluss v. 14.01.2015 – 7 ABR 95/12). Das Bundesarbeitsgericht hat die Frage bejaht, obwohl man dies in diesem speziellen Fall durchaus hätte anders entscheiden können. Der Beschluss des 7. Senats macht einmal mehr deutlich, dass Betriebsräte in Zweifelsfällen Schulungen besuchen dürfen und der Arbeitgeber die Kosten zu übernehmen hat.

Der Fall:

Die Beteiligten streiten um die Freistellung von Schulungskosten, die durch die Teilnahme des stellvertretenen Betriebsratsvorsitzenden an einem Seminar zum Thema Mobbing entstanden sind.

Antragsteller ist der elfköpfige Betriebsrat. In dem Betrieb der Arbeitgeberin sind ca. 600 Arbeitnehmer beschäftigt. Der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter sind freigestellt. In dem Betrieb besteht zusätzlich eine Sozialberatung.

Der Betriebsratsvorsitzende hatte bereits im Jahr 2004 ein viertägiges Seminar des Anbieters W zum Thema „So erkennen und verstehen Sie als Betriebsrat Mobbing (Diskriminierung) am Arbeitsplatz“ besucht. Der Betriebsrat beschloss im Juli 2010 und im April 2011 jeweils die Teilnahme seines stellvertretenden Vorsitzenden an einem ähnlichen Seminar eines anderen Anbieters. Zu beiden Seminaren lehnte die Arbeitgeberin eine Freistellung des Betriebsrats von den dadurch entstehenden Kosten ab, so dass eine Teilnahme nicht erfolgte.

Der Betriebsrat fasste dann im November 2011 erneut den Beschluss, den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden nunmehr zu der Veranstaltung des Anbieters W vom 19. März bis 22. März zum Thema „Mobbing Teil 1, So erkennen und verhindern Sie Diskriminierung am Arbeitsplatz“  zu entsenden. Trotz erneuter Weigerung der Arbeitgeberin, die Kosten zu übernehmen, besuchte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende das Seminar. Der Seminarveranstalter stellte dafür 1.188,00 € an Seminargebühren sowie 485,52 € für Übernachtung und Verpflegung in Rechnung. Der Betriebsrat unterbreitete der Arbeitgeberin im August 2012 den Entwurf einer Mobbing-Präventionsvereinbarung.

Der Betriebsrat hat von der Arbeitgeberin die Freistellung von den entstandenen Kosten verlangt und die Auffassung vertreten, die Teilnahme an der Schulung sei erforderlich gewesen, weil es in der Vergangenheit Konfliktfälle im Unternehmen gegeben habe, die Anlass geboten hätten, sich mit dem Thema Mobbing vertieft auseinanderzusetzen. Dabei hat er sich auf den Fall des Mitarbeiters G bezogen, eines „ausgeheilten“ Alkoholikers. Als dieser im Juni 2010 nach krankheitsbedingter Abwesenheit wieder zur Arbeit erschienen sei, habe ein Kollege ihn wiederholt angerempelt, abschätzig behandelt und geäußert: „Wir kennen ja dein Problemchen“. Die Existenz der Sozialberatung mache eigene Kenntnisse des Betriebsrats zum Thema Mobbing nicht überflüssig.

Die Arbeitgeberin hat hingegen vorgetragen, der Betriebsrat habe einen aktuell betriebsbezogenen Anlass darlegen müssen. Daran fehle es. Zudem sei der Betriebsratsvorsitzende bereits im Jahre 2004 geschult worden. Bedarf für weitere Schulungen sei daher nicht vorhanden. Schließlich seien die angefallenen Kosten unverhältnismäßig hoch. Zur sachgerechten Aufgabenwahrnehmung hätte der Besuch einer kostenlosen Veranstaltung des Integrationsamts ausgereicht.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben dem Antrag des Betriebsrats auf Freistellung von den Kosten stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.

I. Kostentragung nur bei Erforderlichkeit

Nach § 40 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber die Kosten zu tragen, die anlässlich der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG entstanden sind, sofern das bei der Schulung vermittelte Wissen für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist. Zu den vom Arbeitgeber zu tragenden Kosten gehören neben den eigentlichen Seminargebühren die notwendigen Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten des Betriebsratsmitglieds.

1. Unterscheide Grundkenntnisse und Sonderschulungen

Bei erstmals gewählten Betriebsratsmitgliedern braucht die Schulungsbedürftigkeit nicht näher dargelegt zu werden, wenn Grundkenntnisse im Betriebsverfassungsrecht, im allgemeinen Arbeitsrecht oder im Bereich der Arbeitssicherheit und Unfallverhütung vermittelt werden. Das Bundesarbeitsgericht unterscheidet zwischen der Vermittlung sogenannter Grundkenntnisse und anderen Schulungsveranstaltungen. Für andere Schulungsveranstaltungen (Sonderschulungen) muss ein aktueller, betriebsbezogener Anlass für vorliegen.

2. Keine Schulung bei vorhandenen Kenntnissen

Die Schulung eines Betriebsratsmitglieds ist nicht notwendig, wenn die auf der Schulungsveranstaltung vermittelnden Kenntnisse im Betriebsrat bereits vorhanden sind. Aber: Auch wenn ein Mitglied die erforderlichen Kenntnisse bereits besitzt, kann die sinnvolle Organisation der Betriebsratsarbeit es gebieten, auch andere Mitglieder mit der Aufgabenwahrnehmung zu betrauen. Es hängt daher nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts maßgeblich von der Größe und personellen Zusammensetzung sowie von der Geschäftsverteilung des Betriebsrats ab, ob und inwieweit eines oder mehrere Mitglieder über Spezialkenntnisse verfügen müssen.

3. Betriebliche Situation und finanzielle Belastungen beachten

Bei der Prüfung der Erforderlichkeit hat der Betriebsrat die betriebliche Situation und die mit dem Besuch der Schulungsveranstaltung verbundenen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung ist nicht erforderlich, wenn sich der Betriebsrat vergleichbare Kenntnisse zumutbar und kostengünstiger auf andere Weise verschaffen kann. Aber: Der Betriebsrat muss nicht die kostengünstigste Schulungsveranstaltung auswählen, wenn er eine andere Schulung für qualitativ besser hält.

II. Mobbing-Schulung erforderlich?

Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass Kenntnisse zum Thema Mobbing für die Arbeit des Betriebsrats im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG erforderlich sein können. Der Betriebsrat hat im Zusammenhang mit Mobbing im Betrieb betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben wahrzunehmen. Diese folgen u.a. aus § 75 BetrVG (Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen), § 85 BetrVG (Beschwerderechte der Arbeitnehmer), § 104 BetrVG (Entfernung betriebsstörender Arbeitnehmer) und auch aus § 17 AGG (soziale Verantwortung der Beteiligten). Zudem stehen dem Betriebsrat Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 BetrVG zu, die ihn berechtigen können, mit dem Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung zur Prävention und zur Vorgehensweise bei eventuell auftretenden Mobbingsachverhalten im Betrieb abzuschließen.

III. Betriebsbezogener Anlass

Das Bundesarbeitsgericht hat ausgehend von diesen Grundsätzen den Besuch der Schulungsveranstaltung des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden bejaht. Für den betriebsbezogenen Anlass hat es dazu bereits den einen Vorfall, den der Betriebsrat dargelegt hat, ausreichen lassen. Der konkrete erforderliche betriebsbezogene Anlass sei nicht im Sinne eines akuten Ereignisses, sondern im Sinne eines gegenwärtigen Bedürfnisses zu verstehen. Er könne schon dann gegeben sein, wenn der Betriebsrat aufgrund ihm bekanntgewordener Konflikte initiativ werden will, etwa um durch Verhandlungen mit dem Arbeitgeber über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung der Entstehung von Mobbing oder weiteren Mobbingfällen entgegenzuwirken.

Fazit:

Das Bundesarbeitsgericht hat einen einzigen Vorfall aus der Vergangenheit für die Teilnahme an der Sonderschulung Mobbing ausreichen lassen. Damit besteht faktisch für den Besuch von Sonderschulungen keine Begrenzung mehr. Der Betriebsrat kann mit einem einzelnen Fall immer ein „gegenwärtiges Bedürfnis“ darlegen. Auch wenn es keinerlei Mobbing im Betrieb gibt, der Betriebsrat aber ein Bedürfnis sehen möchte und den Abschluss einer Präventionsbetriebsvereinbarung vorsieht, können offenbar Schulungskosten nicht abgelehnt werden. Ausgehend von den abstrakten Vorgaben hätte man diesen Fall also durchaus anders entscheiden können. Die Entscheidung macht daher deutlich, dass es sich nicht lohnt, mit dem Betriebsrat über Schulungskosten zu streiten. Die Prozesskosten über drei Instanzen übersteigen bei weitem die eingeklagten Kosten (hier in Höhe von 1.673,22 €). Den zeitlichen und wirtschaftlichen Aufwand sollte man daher bei der Ablehnung von Schulungen bedenken.

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