17.01.2016 -

Der übliche Ort der Arbeitsleistung ist regelmäßig die Betriebsstätte des Arbeitgebers. Bei mehreren Standorten kann der Ort der Arbeitsleistung im Wege des Direktionsrechts zugewiesen werden. Der Wohnort ist nur in seltenen Fällen als Arbeitsort anzusehen, z.B. bei Außendienstmitarbeitern, die von ihrem Wohnort aus ihr Verkaufsgebiet bereisen. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat klargestellt, dass sich allein aus der Tatsache, dass der Arbeitnehmer über einen langen Zeitraum seine Arbeitsleistung ganz überwiegend in seinem Home-Office erbracht hat, noch keine Vertragsänderung oder Konkretisierung auf das Home-Office ableiten lässt (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 17.12.2014 – 4 Sa 404/14). Allerdings hat der Arbeitgeber bei der Zuweisung eines neuen Arbeitsortes stets billiges Ermessen zu beachten. Welche Grundsätze hier gelten, soll nachfolgend besprochen werden.

Der Fall:

Der Arbeitnehmer ist bereits seit 1986 auf der Grundlage mehrerer, zeitlich aufeinanderfolgender Arbeitsverträge bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt, zuletzt als Software-Ingenieur und Servicemitarbeiter. In der Zeit von 2002 bis 2012 erfolgte die Beschäftigung des Klägers als Systementwickler.

Der Kläger verrichtete seit 2009 seine Arbeit ganz überwiegend von zu Hause in seinem Home-Office. Soweit er von zu Hause zur 300 km entfernten Betriebsstätte der Beklagten nach C.-Stadt mit seinem Privat-PKW fuhr, wurden die Fahrzeiten von der Beklagten als Arbeitszeit anerkannt. Darüber hinaus wurden ihm hierfür Kilometergeld gezahlt und Spesen erstattet.

Die Beklagte reduzierte im Jahre 2012 das Team Datenbank, welchem der Kläger angehörte. In diesem Zuge erklärte sich der Kläger bereit, in das Team Logistik-Software zu wechseln. Die Parteien unterzeichneten hierzu einen neuen Anstellungsvertrag. Regelungen zum Arbeitsort fanden sich weder in den bisherigen Arbeitsverträgen noch in dem neuen Anstellungsvertrag.

Es kam dann in der Folgezeit zu Unstimmigkeiten über die Frage, ob der Kläger seine Arbeitsleistung am Betriebssitz der Beklagten in C.-Stadt zu erbringen hat oder berechtigt ist, weiter in seinem Home-Office zu arbeiten. Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, er sei vertraglich verpflichtet, seine Arbeitsleistung in C.-Stadt zu erbringen und nicht mehr berechtigt, Fahrten zwischen seinem Wohnort und dem Arbeitsort als Arbeitszeit zu deklarieren und als Dienstreisen abzurechnen.

Der Arbeitnehmer beantragte daraufhin beim Arbeitsgericht festzustellen, weiterhin in Vollzeit im Home-Office an seinem Wohnort arbeiten zu dürfen und weiter festzustellen, dass die Fahrten zur Betriebsstätte als Dienstreisen abzurechnen sind.

Das Arbeitsgericht hat im erstinstanzlichen Verfahren die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hingegen der Klage überwiegend stattgegeben.

I. Bestimmung des Arbeitsortes

Die Parteien hatten in keiner ihrer Arbeitsverträge Regelungen über die Bestimmung des Arbeitsortes getroffen. Hieraus hat das Landesarbeitsgericht zunächst den Schluss gezogen, dass eine vertragliche Konkretisierung des Arbeitsortes nicht bestand. Der Arbeitgeber konnte sich also auf sein generelles Direktionsrecht, den Arbeitsort zu bestimmen, weiterhin berufen (vgl. § 106 GewO). Der Arbeitnehmer konnte sich hingegen nicht darauf berufen, es sei eine vertragliche Vereinbarung darüber entstanden, dauerhaft vom Home-Office aus arbeiten zu dürfen. Anhaltspunkte für eine betriebliche Übung lagen hier nicht vor. Allein daraus, dass der Kläger über einen langen Zeitraum seine Arbeitsleistung ganz überwiegend in seinem Home-Office erbracht hat, kann auf eine örtliche Konkretisierung nicht geschlossen werden. Hier hätten weitere Anhaltspunkte vorliegen müssen, aus denen geschlossen werden konnte, der Arbeitgeber wolle dauerhaft auf sein Direktionsrecht für die Zukunft verzichten. An solchen Umstandsmomenten fehlte es hier.

Hinweis für die Praxis:

Bei der Gestaltung des Arbeitsvertrages ist auch das Direktionsrecht zu regeln. Hier empfiehlt es sich, den Wortlaut des gesetzlich niedergeschriebenen Direktionsrechts aus § 106 GewO in den Vertrag aufzunehmen. Mit einer solchen Klausel besteht dann ein umfassendes Direktionsrecht. Dieses Direktionsrecht bezieht sich sowohl auf den Inhalt der Tätigkeit, den Ort wie auch die Lage der Arbeitszeit.

II. Einschränkung: Billiges Ermessen

Das generelle Recht, einem Mitarbeiter örtlich einen anderen Arbeitsplatz zuzuweisen, ist aber beschränkt. Das Weisungsrecht darf nur im Rahmen billigen Ermessens ausgeübt werden. Dieses billige Ermessen sah hier das Landesarbeitsgericht nicht als ausreichend beachtet an. Daher war die Weisung, künftig an der Betriebsstätte in C.-Stadt zu arbeiten dennoch unwirksam.

Eine Leistungsbestimmung entspricht immer dann billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Dies unterliegt der vollen arbeitsgerichtlichen Kontrolle. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach den allgemeinen Wertgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit. Dies gebietet eine Berücksichtigung und Bewertung der Interessen unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles. Hierzu gehören im Arbeitsrecht die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen.

Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht ausreichend vorgetragen, dass berechtigte eigene Interessen daran bestehen, dass der Kläger künftig ausschließlich am Betriebssitz arbeitet. Der Kläger hatte auch zuvor schon seine Tätigkeit als Systementwickler ganz überwiegend von zu Hause aus erledigt. Weshalb sich hier die Anforderungen geändert haben sollten, konnte der Arbeitgeber nicht beweisen. Die Versetzung war daher unwirksam.

Hinweis für die Praxis:

Im Prozess ist im Einzelnen vorzutragen und zu beweisen, welche Gründe für eine Versetzung sprechen, und dass billiges Ermessen beachtet wurde. Betriebsbedingte, organisatorische und unternehmerische Bedürfnisse überwiegen dabei regelmäßig individuelle und persönliche Befindlichkeiten des Arbeitnehmers. Dennoch müssen die Interessen wechselseitig abgewogen werden. Je weiter eine örtliche Versetzung in den persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers eingreift, desto höher sind die Anforderungen an die Begründung auf Arbeitgeberseite. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren sind alle Gründe plausibel und beweisbar vorzutragen.

III. Betriebliche Übung

Der Kläger hatte weiterhin Anspruch darauf, dass die Fahrten von seinem Wohnort zur Betriebsstätte der Beklagten als Dienstreisen behandelt und abgerechnet werden. Zwar verhält es sich regelmäßig so, dass Fahrten vom Wohnort zum Dienstort nicht als Arbeitszeit und abrechenbare Reisezeit gelten. Jeder Arbeitnehmer ist verpflichtet, selbst dafür Sorge zu tragen, pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen. Hier verhielt es sich aber so, dass der Arbeitnehmer jahrelang im Home-Office tätig war und sich für die Abrechnung der Dienstreisezeiten eine betriebliche Übung entwickelt hatte. Der Arbeitgeber hatte die Fahrzeiten des Klägers von zu Hause zur Betriebsstätte durchweg als Arbeitszeit anerkannt und ihm diesbezüglich auch unstreitig alle Fahrtkosten erstattet. Aus dieser langjährigen Handhabung (betriebliche Übung!) ist eine individualrechtliche Abrede über die Erstattung, jedenfalls konkludent, zu Stande gekommen. Einseitig konnte sich der Arbeitgeber hiervon nicht mehr lösen.

Hinweis für die Praxis:

Der Fall zeigt einmal mehr, dass eine betriebliche Übung sich nicht nur auf Sonderzahlungen und Geldansprüche beziehen kann, sondern auch zu allen anderen vertraglichen Ansprüchen denkbar ist. Jedem Arbeitgeber ist es daher zu empfehlen, bei freiwilligen Zusatzleistungen stets auf diese Freiwilligkeit hinzuweisen und deutlich zu machen, dass damit keine Rechtsansprüche für die Zukunft verbunden sind.

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