24.02.2016 -

In üblichen Arbeitsverträgen wird die zu erbringende Arbeitszeit konkret vereinbart. Wie verhält es sich aber, wenn der konkrete Stundenumfang nicht vereinbart wird, sondern der Arbeitnehmer „in Vollzeit“ beschäftigt ist? Mit der Auslegung einer solchen Klausel hatte sich nun das Bundesarbeitsgericht detailliert zu befassen und dabei auch zu entscheiden, in welchem Umfange über die vereinbarte Arbeitszeit hinausgehende Überstunden geschätzt werden können und dürfen (BAG, Urteil v. 25.03.2015 – 5 AZR 602/13).

Der Fall (verkürzt):

Die Parteien streiten über die Vergütung von Überstunden. Der beklagte Arbeitgeber betreibt ein Unternehmen des privaten Omnibusgewerbes. Der klagende Arbeitnehmer war als Busfahrer im Linienverkehr vom 1. Mai 2011 bis zum 31. März 2012 gegen ein Bruttomonatsgehalt von 1.800,00 € beschäftigt.

In dem vereinbarten Arbeitsvertrag heißt es u.a. in § 1 (Inhalt, Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses):

Der AN wird ab 01.05.2011 bis 01.05.2012 im Rahmen eines gewerblichen befristeten Arbeitsverhältnisses als Busfahrer in Vollzeit beschäftigt.

Der Kläger wurde auf verschiedenen Bustouren im Linienverkehr eingesetzt. Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat der Kläger mit der am 15. Mai 2012 eingereichten Klage für den gesamten Beschäftigungszeitraum, ausgehend von einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden, die Vergütung von 649,65 Überstunden verlangt. Er hat dazu für jeden Arbeitstag des Zeitraums Juni 2011 bis März 2012 unter Angabe des benutzten Fahrzeugs der gefahrenen Linie Anfang und Ende der Arbeit dargelegt und bei seiner Berechnung arbeitstäglich eine Stunde Pause berücksichtigt. Darüber hinausgehende Wartezeiten seien keine Pausen im Rechtssinne gewesen. In diesem Sinne hat der Kläger beantragt, an ihn 6.644,14 € brutto nebst Zinsen zu zahlen.

Der Arbeitgeber hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, Überstunden könnten nicht angefallen sein, weil der Kläger als Arbeitszeit die Zeit geschuldet habe, die er für die Erledigung der ihm zugewiesenen Arbeiten benötigte. Im Übrigen seien von einer überschlägigen Berechnung im Durchschnitt allenfalls rund 8,5 Stunden pro Arbeitstag angefallen. Hinzu komme eine Rüstzeit von 10 Minuten arbeitstäglich. Die im Linienverkehr anfallenden Wartezeiten seien sämtlich als Pausen zu werten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger im Rahmen einer Schätzung für 108 geleistete Überstunden 1.103,76 € brutto nebst Zinsen zugesprochen.

Gegen dieses Urteil hat der Arbeitgeber Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bestätigt.

I. Umfang der vereinbarten Arbeitszeit?

Die genaue Wochenstundenanzahl war im Arbeitsvertrag nicht vereinbart. Die Regelung, der Arbeitnehmer werde in Vollzeit beschäftigt, bedurfte daher der Auslegung. Die Bestimmungen des Arbeitsvertrages zur Tätigkeit und Arbeitszeit sind wie Allgemeine Geschäftsbedingungen zu beurteilen. Nach diesen Grundsätzen ist die Vereinbarung, der Kläger werde als Busfahrer „in Vollzeit“ beschäftigt, mit einer 40-Stunden-Woche gleichzusetzen. Der durchschnittliche Arbeitnehmer darf „in Vollzeit“ so verstehen, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit – unter Zugrundelegung einer 5-Tage-Woche und der in § 3 S. 1 ArbZG vorgesehenen acht Stunden arbeitstäglich – 40 Wochenstunden nicht übersteigt. Soll hingegen mit der Formulierung „in Vollzeit“ die nach geltendem Recht zulässige Höchstgrenze der Arbeitszeit ganz oder teilweise ausgeschöpft werden, müsste dies durch eine konkrete Stundenangabe oder zumindest eine hinreichend bestimmte Bezugnahme auf den arbeitsschutzrechtlich eröffneten Arbeitszeitrahmen klar und deutlich zum Ausdruck gebracht werden (vgl. auch § 307 Abs. 1 S. 2 BGB).

Hinweis für die Praxis:

Im Arbeitsvertrag war weiter vereinbart, dass dem Arbeitnehmer die Arbeitszeit bekannt sei. Der Arbeitgeber hatte sich hierauf berufen. Das Bundesarbeitsgericht hat aber zutreffend klargestellt, dass diese Regelung keine Vereinbarung sei, sondern vielmehr eine Vereinbarung voraussetze. Der Arbeitgeber ist auch nicht berechtigt, durch einseitige Anordnung eine betriebsübliche Arbeitszeit zu begründen. Damit war Ausgangspunkt für die Überstundenbetrachtung eine wöchentlich vereinbarte Arbeitszeit von 40 Wochenstunden.

II. Vergütung von Überstunden und Schätzung?

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt eine Vergütung von Überstunden als stillschweigend vereinbart, wenn die Arbeitsleistung nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Dies war hier der Fall. Im betreffenden Wirtschaftszweig ist die Vergütung von Überstunden sogar mit einem Mehrarbeitszuschlag von 25 % tariflich vorgesehen (§ 13 MTV für die Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes des Landes NRW).

Die Vergütung von Überstunden setzt aber weiter voraus, dass der Arbeitnehmer solche tatsächlich geleistet hat und die Überstundenleistung vom Arbeitgeber veranlasst war oder zuzurechnen ist. Für beide Voraussetzungen – einschließlich der Anzahl geleisteter Überstunden – trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast. Steht allerdings fest, dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet worden sind, kann aber der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für jede einzelne Überstunde nicht in jeder Hinsicht genügen, darf das Gericht den Umfang geleisteter Überstunden nach § 287 ZPO schätzen. Hierauf hat sich vorliegend das Landesarbeitsgericht gestützt und dem Arbeitnehmer dabei von den geltend gemachten 649,65 Überstunden 108 geleistete Überstunden zugesprochen.

Fazit:

Klare arbeitsvertragliche Regelungen vermeiden späteren Streit. Auf die Vertragsgestaltung und die Formulierung der einzelnen vertraglichen Klauseln in einem Arbeitsvertrag sollte daher großer Wert gelegt werden.

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