06.03.2016 -

Arbeitgeber setzen immer wieder Detektive ein, um Arbeitnehmer heimlich zu überwachen und ein etwaiges Fehlverhalten festzustellen, z.B. unerlaubte Nebentätigkeiten, Wettbewerb oder auch eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit. Das Bundesarbeitsgericht hat nun zu entscheiden, ob heimliche Videoaufnahmen die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beinhalten können und zu einem Geldentschädigungsanspruch führen (BAG, Urteil v. 19.02.2015 – 8 AZR 1007/13). Die Entscheidung ist von hoher Bedeutung für die betriebliche Praxis und soll daher hier besprochen und vorgestellt werden.

Der Fall:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung des beklagten Arbeitgebers, der klagenden Arbeitnehmerin wegen einer heimlichen Observation durch einen Detektiv eine Geldentschädigung zu zahlen.

Die Arbeitnehmerin war als Sekretärin der Geschäftsleitung seit Mai 2011 beschäftigt. Ab dem 27. Dezember 2011 war sie arbeitsunfähig erkrankt, zunächst mit Bronchialerkrankungen und später mit einem Bandscheibenvorfall. Für die Zeit bis zum 28. Februar 2012 legte sie nacheinander sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, zuerst vier eines Facharztes für Allgemeinmedizin, dann ab 31. Januar 2012 zwei einer Fachärztin für Orthopädie.

Der Geschäftsführer bezweifelte das Vorliegen eines Bandscheibenvorfalls und beauftragte zwecks Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit eine Detektei mit der Observation der Klägerin. Diese erfolgte von Mitte bis Ende Februar 2012 an vier Tagen. Beobachtet wurden u.a. ihr Wohnhaus, sie und ihr Mann mit Hund vor dem Haus und der Besuch der Klägerin in einem Waschsalon. Dabei wurden auch Videoaufnahmen erstellt. Der abschließende Observationsbericht, der dem Arbeitgeber übergeben worden ist, enthält elf Bilder, neun davon aus Videosequenzen.

Die Parteien führten zunächst ein Kündigungsschutzverfahren, das vor dem Arbeitsgericht zugunsten der Klägerin erfolgreich endete. Der Arbeitgeber verlangte die Erstattung der Detektivkosten. Dieser Anspruch wurde jedoch vom Arbeitsgericht zurückgewiesen.

Offen und hier noch zu entscheiden war der Anspruch der Klägerin gerichtet auf eine Geldentschädigung wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe eine Entschädigung zu, da die durch die Beklagte beauftragte Observation einschließlich der Videoaufnahmen rechtswidrig gewesen sei und ihr Persönlichkeitsrecht verletzt habe. Das habe bei ihr zu erheblichen psychischen Beeinträchtigungen geführt. Der Höhe nach stelle sie die Entschädigung in das Ermessen des Gerichts, wobei ein dreifaches Bruttomonatsgehalt, also 10.500,00 €, angemessen sei.

Der Arbeitgeber hat Klageabweisung beantragt. Die Überwachung sei berechtigt gewesen. Man habe erfahren wollen, ob die Klägerin eine Arbeitsunfähigkeit vortäusche oder sich zumindest genesungswidrig verhalte. Dahingehende Anhaltspunkte hätten vorgelegen, insbesondere weil der Bandscheibenvorfall zunächst nur durch eine Folgebescheinigung eines Hausarztes attestiert worden sei. Erst bei Auslaufen des Entgeltfortzahlungszeitraums habe die Klägerin eine Erstbescheinigung einer Orthopädin vorgelegt. Schmerzensgeld sei hier nicht erforderlich. Es seien ausschließlich Bewegungen der Klägerin im öffentlichen Raum beobachtet worden. Die Videoaufnahmen seien nicht in der Öffentlichkeit verbreitet und von der Detektei nicht an den Arbeitgeber herausgegeben worden.

Das Arbeitsgericht hat in 1. Instanz die Entschädigungsklage voll abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht eine Entschädigung in Höhe von 1.000,00 € zugesprochen. Hiergegen haben beide Parteien Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts und die zugesprochene Geldentschädigung in Höhe von 1.000,00 € bestätigt.

I. Persönlichkeitsrechtsverletzung

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist grundgesetzlich abgesichert und durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet. Die Zubilligung einer Geldentschädigung im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. Bei dieser Entschädigung steht – anders als beim Schmerzensgeld – regelmäßig der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem soll sie der Prävention dienen. Voraussetzung ist aber eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts.

Hinweis für die Praxis:

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt uneingeschränkt im Arbeitsrecht. Es umfasst neben dem Recht am gesprochenen Wort auch das Recht am eigenen Bild. Es gehört zum Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht oder möglicherweise verwendet werden dürfen. Diese Verwertung von solchen personenbezogenen Daten greift in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden.

II. Datenschutzrecht

Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch Videoaufnahmen ist an § 32 Abs. 1 BDSG zu messen (Datenerhebung-, -verarbeitung und -nutzung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses). Danach dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten zur Aufdeckung von Straftaten nur dann erhoben werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat. Dabei müssen die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich sein und die schutzwürdigen Interessen des Beschäftigten dürfen nicht überwiegen, insbesondere nicht unverhältnismäßig sein.

Durch Privatdetektive erhobene Daten sind solche personenbezogene Daten.

III. Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit

Im Hinblick auf das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit als überwachungsrechtfertigende Straftat müssen angesichts des hohen Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zumindest begründete Zweifel an der Richtigkeit dieser ärztlichen Bescheinigung aufgezeigt werden, um den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern. Solche begründeten Zweifel konnten hier von dem Arbeitgeber aber nicht dargelegt werden. Weder hat die Klägerin bspw. im Rahmen einer Auseinandersetzung am Arbeitsplatz eine nachfolgende Arbeitsunfähigkeit angekündigt, noch war der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dadurch erschüttert, dass sie von unterschiedlichen Ärzten stammten, noch durch eine Änderung im Krankheitsbild oder weil ein Bandscheibenvorfall zunächst hausärztlich behandelt worden ist. Auch sonstige begründete Zweifel lagen nicht vor.

Hinweis für die Praxis:

Das Bundesarbeitsgericht hat sich hier nur negativ mit diesen Fragen befasst. Die Frage, wie Videoaufnahmen in einem Fall zu beurteilen wären, in dem ein berechtigter Anlass zur Überwachung vorgelegen hätte, hat das Bundesarbeitsgericht nicht entschieden. Die Ausführungen machen aber deutlich, dass hohe Anforderungen an die Zulässigkeit von Videoaufnahmen gestellt werden. Nur bei berechtigten und begründeten Zweifeln und damit einem dringenden Tatverdacht kommen Videoaufnahmen in Betracht. Zweifelsfälle gehen zu Lasten des Arbeitgebers.

IV. Höhe der Geldentschädigung?

Die Bemessung der Höhe der Geldentschädigung obliegt nicht dem Bundesarbeitsgericht, sondern den Instanzgerichten (ArbG und LAG). Das Landesarbeitsgericht hat die Geldentschädigung mit 1.000,00 € bemessen. Einer der wichtigen Bemessungsfaktoren ist dabei die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung. Kriterien sind hier etwa der betroffene private Lebensbereich, die Intimsphäre oder die Weitergabe an Dritte. Auch die Notwendigkeit einer therapeutischen Behandlung wegen der Persönlichkeitsverletzung kann in die Bemessung einbezogen werden. Das Bundesarbeitsgericht weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei der Entschädigung nicht um ein Schmerzensgeld handelt, sondern um eine Zahlung, die auf den Schutzauftrag aus dem Grundgesetz, Art. 1 und Art. 2 GG, zurückgeht.

Fazit:

Heimliche Videoaufnahmen bleiben weiterhin zulässig, unterliegen aber strengen Anforderungen. Es müssen konkrete Tatsachen für einen konkreten Verdacht, z.B. einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit, vorliegen, um eine heimliche Observation zu rechtfertigen. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kommt dabei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein hoher Beweiswert zu. Nur bei begründeten Zweifeln, die diesen Beweiswert nachhaltig erschüttern können, kann eine Videoüberwachung in Frage kommen. Überwachungen „ins Blaue hinein“ sind unzulässig und können sogar zu Entschädigungsansprüchen führen.

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