15.06.2016 -

Betriebsratsmitglieder sind immer in einer doppelten Rechtsposition tätig: Einmal kollektivrechtlich als Betriebsratsmitglied und einmal individualrechtlich als Arbeitnehmer. Beide Rechtspositionen können von dem Betriebsratsmitglied verletzt werden. Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Beschluss klargestellt, welche Anforderungen jeweils an eine wirksame Abmahnung zu stellen sind (BAG, Urteil v. 09.09.2015 – 7 ABR 69/13). Der Beschluss des 7. Senats ist von erheblicher praktischer Bedeutung.

Der Fall:

Die beteiligte Arbeitgeberin ist im Land Bremen mit der Müllentsorgung und der Stadtreinigung betreut. In ihrem Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet. Die Arbeitgeberin gehört zu einem Konzern.

Im Mai 2011 schloss die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über den Einsatz von Leiharbeitnehmern (BV Leiharbeit). Der Betriebsratsvorsitzende versandte diese Betriebsvereinbarung im Dateianhang einer E-Mail vom 9. Dezember 2011 an alle Arbeitnehmer des Konzerns. Er schrieb dazu auszugsweise, die angehängte Betriebsvereinbarung solle eine mögliche Hilfestellung für alle Betriebsräte im Konzern sein, er werde auch zukünftig E-Mails mit Anregungen und Anhängen verschicken.

Daraufhin erteilte die Arbeitgeberin dem Betriebsratsvorsitzenden mit Schreiben vom 14. Dezember 2011 eine „Abmahnung als Betriebsrat“ die zu dessen Personalakte genommen wurde. Darin heißt es:

„Sehr geehrter Herr A,

am 09.12.2011 haben Sie sich mit einer E-Mail an alle Mitarbeiter des N-Konzerns gewandt. Hierbei haben Sie die BV Leiharbeit der E versandt.

Ihr Verhalten stellt einen Verstoß gegen die vertrauensvolle Zusammenarbeit dar. Aufgrund Ihrer Position sind Sie lediglich berechtigt, sich an Mitarbeiter der E zu wenden. Ferner sind Sie nicht berechtigt, Betriebsvereinbarungen der E an Mitarbeiter außerhalb der E zu versenden. Hierbei handelt es sich um externe Dritte, selbst wenn sie dem N-Konzern angehören.

Für Ihr Fehlverhalten mahnen wir Sie hiermit ab. Sollten Sie erneut gegen das Prinzip der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßen und sich in entsprechender Art und Weise pflichtwidrig verhalten, müssen Sie damit rechnen, dass wir Ihren Ausschluss als Betriebsratsmitglied beim Arbeitsgericht beantragen werden (§ 23 BetrVG). Gegebenenfalls könnte sogar eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht kommen.

…“

Der Betriebsrat leitete daraufhin beim Arbeitsgericht ein Beschlussverfahren ein. In der 1. Instanz beantragte nur der Betriebsrat die Feststellung, dass die ausgesprochene „Abmahnung als Betriebsrat“ unwirksam sei und ferner sollte die Arbeitgeberin verpflichtet werden, die ausgesprochene „Abmahnung als Betriebsrat“ aus der Personalakte des Betriebsratsvorsitzenden zu entfernen. Im zweitinstanzlichen Beschwerdeverfahren vor dem Landesarbeitsgericht beantragte der Betriebsratsvorsitzende zusätzlich, die Arbeitgeberin zu verpflichten, die ihm mit Schreiben vom 14. Dezember 2011 ausgesprochene „Abmahnung als Betriebsrat“ aus seiner Personalakte zu entfernen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Anträgen des Betriebsrats und des Betriebsratsvorsitzenden stattgegeben.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin lediglich dem Abmahnungsentfernungsantrag des Betriebsratsvorsitzenden stattgegeben und die übrigen Anträge zurückgewiesen.

I. Prozessuale Fragen

Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst mehrere prozessuale Fragen geklärt, die hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden sollen. Für die Praxis ist aber in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass die Arbeitsgerichte nicht für die Klärung abstrakter Rechtsfragen bzw. die Erstellung von Rechtsgutachten zuständig sind. Deshalb kann eine abstrakt begehrte Feststellung, dass eine Abmahnung unwirksam ist, nicht durch die Gerichte festgestellt werden. Ein solcher Antrag ist auf die Feststellung der Unwirksamkeit einer Erklärung gerichtet. Richtigerweise muss in solchen Fällen ein konkreter Anspruch beantragt werden, also die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte.

II. Betriebsrat nicht Anspruchsinhaber

Das Bundesarbeitsgericht hat weiter klargestellt, dass der Betriebsrat als Gremium keine Rechte für seine Mitglieder geltend machen kann. Der Betriebsrat ist zwar als Organ vom Schutz des § 78 S. 1 BetrVG erfasst. Auch ist der dort niedergeschriebene Begriff der Behinderung umfassend zu verstehen. Er betrifft jede unzulässige Erschwerung, Störung oder gar Verhinderung der Betriebsratsarbeit. Dabei ist ein Verschulden oder eine Behinderungsabsicht des Störers (= Arbeitgebers) nicht erforderlich.

Aber: Aus § 78 S. 1 BetrVG folgt kein Anspruch des Betriebsrats auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte eines seiner Mitglieder. Hierbei handelt es sich um ein höchstpersönliches Recht des betroffenen Betriebsratsmitglieds, das diesem und nicht einem dritten Gremium zusteht. Dem Betriebsrat kommt also kein kollektivrechtlich begründetes Recht zu, hinter dem die Individualrechte der Betriebsratsmitglieder zurückzutreten hätten.

III. Abmahnung als Betriebsrat

Der eigenständig gestellte Abmahnungsentfernungsantrag des Betriebsratsvorsitzenden war hingegen erfolgreich. Der Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte folgt aus einer entsprechenden Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB. Arbeitnehmer können nach diesen Vorschriften die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.

Die Abmahnung war hier schon deshalb zu entfernen, weil der Arbeitgeber die Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten mit individualrechtlichen Konsequenzen sanktioniert und vermengt hat. So hat die Arbeitgeberin den Vorwurf einer Amtspflichtverletzung mit der Androhung einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses verbunden. Mit der Amtspflichtverletzung wird aber gerade die Verletzung einer arbeitsvertraglichen Pflicht nicht gerügt. Damit liegt in der Kündigungsandrohung eine unzutreffende rechtliche Bewertung des Verhaltens des Betriebsratsvorsitzenden durch die Arbeitgeberin.

Verletzt ein Betriebsratsmitglied ausschließlich betriebsverfassungsrechtliche Amtspflichten, sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts individualrechtliche Sanktionen wie der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung oder einer individualrechtlichen Abmahnung ausgeschlossen.

Hinweis für die Praxis:

Begehen Betriebsratsmitglieder Pflichtverletzungen, muss bei der Frage einer Abmahnung streng unterschieden werden: Kommen ausschließlich betriebsverfassungsrechtliche Pflichtverstöße in Betracht, darf keine Abmahnung ausgesprochen werden. In einem solchen Fall darf nur ein Verfahren zum Ausschluss aus dem Betriebsrat nach § 23 Abs. 1 BetrVG angedroht werden. Andernfalls wäre eine Abmahnung schon aus diesem Grunde unwirksam. Kommen hingegen Verstöße sowohl gegen arbeitsvertragliche als auch betriebsverfassungsrechtliche Pflichten in Betracht, ist der Praxis zu empfehlen, zwei unterschiedliche Abmahnung auszusprechen. Einmal eine „übliche“ Abmahnung wegen des Verstoßes gegen individualvertragliche Rechte mit der üblichen Kündigungsandrohung. Zum anderen die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung. In dieser darf lediglich das Ausschlussverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG bei wiederholter betriebsverfassungsrechtlicher Pflichtverletzung angedroht werden. Wird diese Differenzierung missachtet, ist die Abmahnung insgesamt unwirksam.

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