10.07.2016

Mit seinem Urteil vom 10.05.2016 – II ZR 342/14 – hat der BGH klargestellt unter welchen Voraussetzungen die verbleibenden Gesellschafter einer GmbH für den Abfindungsanspruch eines durch Einziehung seines Geschäftsanteils ausgeschiedenen Mitgesellschafters haften. Das war nach der insoweit grundlegenden Entscheidung des BGH vom 24.01.2012 streitig.

In diesem Urteil aus 2012 hatte der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat bestätigt, dass ein Einziehungsbeschluss bereits mit der Mitteilung des Beschlusses an den betroffenen Gesellschafter und nicht erst mit Leistung der Abfindung wirksam wird. Dann aber gerät der ausgeschlossene Gesellschafter in das Dilemma, seinen Geschäftsanteil zwar sofort verloren zu haben, seinem gegen die Gesellschaft gerichteten Abfindungsanspruch aber ggf. jahrelang hinterherlaufen zu müssen, wenn es die verbliebenen Mitgesellschafter mit der Erfüllung nicht gerade eilig haben. Um den ausgeschiedenen Gesellschafter zu schützen, hatte der BGH deshalb die persönliche anteilige Haftung der Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss gefasst haben, für den Abfindungsanspruch angeordnet, zumindest dann, wenn sie nicht dafür sorgen, dass die Abfindung aus dem ungebundenen Vermögen der Gesellschaft geleistet werden kann, oder sie die Gesellschaft nicht auflösen.

„Maßgeblich für die Begründung der persönlichen Haftung der Gesellschafter ist der Gedanke, dass es der Billigkeit entspricht, die Gesellschafter, die dem ausgeschiedenen Gesellschafter einerseits eine Abfindung unter der berechtigten Berufung auf die Kapitalbindung der Gesellschaft verweigern, andererseits aber nicht anderweitig dafür sorgen, dass die Abfindung aus dem ungebundenen Vermögen der Gesellschaft geleistet werden kann, oder die Gesellschaft fortsetzen, anstatt sie aufzulösen, weil sie darin einen wirtschaftlichen Vorteil und einen Mehrwert für ihren Anteil erblicken, zum Ausgleich des Mehrwerts für den Abfindungsanspruch persönlich haften zu lassen“

Hierdurch ergab sich in der Praxis die Unsicherheit, ob die übrigen Gesellschafter bei Fortsetzung der Gesellschaft immer und ausnahmslos persönlich für die Abfindung haften müssen, was das persönliche wirtschaftliche Risiko bei einem Ausschließungsbeschluss erheblich erhöhen würde, oder ob diese Haftung an weitere Voraussetzungen geknüpft ist.

Die Entscheidung des BGH

Keine generelle Haftung der verbliebenen Gesellschafter

Der BGH stellt nunmehr klar, dass die persönliche Haftung der Gesellschafter

  • weder bereits mit der Fassung des Einziehungsbeschlusses entsteht
  • noch allein aufgrund des Umstands, dass die Gesellschaft später zum Zeitpunkt der Fälligkeit gemäß § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG an der Zahlung der Abfindung gehindert ist oder sie jedenfalls unter Berufung auf dieses Hindernis verweigert.

Nur treuwidriges Verhalten begründet die Haftung der verbliebenen Gesellschafter

Die persönliche Haftung der Gesellschafter entsteht erst, wenn sie sich treuwidrig verhalten, also erst in dem Zeitpunkt, ab dem die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen ist. Denn Grund der Haftung ist, dass die Gesellschafter weiterwirtschaften und sich dabei den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils einverleiben, ohne dafür zu sorgen, dass der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen worden ist, dafür angemessen entschädigt wird. Das gilt gleichermaßen im Fall der Zwangseinziehung als auch der einvernehmlichen Einziehung.

Eine Zahlungsverweigerung muss nicht treuwidrig sein

Dass die Gesellschaft nicht zahlt, obwohl sie nach § 34 Abs. 3 , § 30 Abs. 1 GmbHG zahlen dürfte, bedeutet noch nicht, dass die Gesellschafter sich treuwidrig verhalten. Der Streit um die Zahlung der Abfindung kann unterschiedliche Gründe haben. Insoweit liegt das Risiko, dass die Gesellschaft die Abfindung nicht freiwillig zahlt, bei dem Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen worden ist. Er muss seinen Anspruch gegen die Gesellschaft notfalls mit gerichtlicher Hilfe durchsetzen.

Auch die Insolvenz der Gesellschaft führt nicht zwingend zur Haftung

Eine Haftung der verbleibenden Gesellschafter entsteht grundsätzlich auch dann nicht zwingend, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung oder danach über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wird oder die Gesellschaft jedenfalls insolvenzreif wird, so dass gemäß § 15a InsO Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werden muss, und die Antragstellung nicht treuwidrig verzögert wird. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt zur Auflösung der Gesellschaft (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG), so dass schon aus diesem Grund eine treuwidrige Fortsetzung der Gesellschaft durch die übrigen Gesellschafter ausscheidet.

Haftungsbegründend treuwidrig wäre es allerdings, wenn die verbliebenen Gesellschafter die Zahlung der Abfindung durch die Gesellschaft vereitelt hätten, etwa durch treuwidriges Herbeiführen der Voraussetzungen der § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG oder der Insolvenzreife der Gesellschaft.

Eine nicht treuwidrig herbeigeführte Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft, die dazu führt, dass die Abfindung nicht mehr aus freiem Vermögen geleistet werden kann, begründet somit allein keine persönliche Haftung der Gesellschafter, wenn sie die Gesellschaft auflösen und sich damit den Mehrwert gerade nicht einverleiben. Denn in einer möglichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft liegt das Risiko, das ein Gesellschafter generell eingegangen ist – und erst recht mit der Stundung der Abfindungszahlung, bspw. durch Vereinbarung einer ratierlich gestreckten Zahlung, sei es im Gesellschaftsvertrag oder später im Zuge des Ausscheidens.

Fazit

Das aktuelle Urteil ist aus Sicht der Praxis zu begrüßen, denn es beseitigt die Unsicherheit, wann Gesellschafter im Fall einer Einziehung persönlich für die Abfindung des Ausgeschlossenen haften. Sie haften nur im Fall einer zusätzlich hinzutretenden Treuepflichtverletzung.

  • Die Einziehung wird mit Bekanntgabe des im Übrigen rechtsfehlerfrei gefassten Einziehungsbeschlusses wirksam. Auf die Zahlung der Abfindung kommt es nicht an.
  • Die persönliche Haftung der Gesellschafter entsteht erst in dem Zeitpunkt, ab dem die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen ist.
  • Verhalten sich die verbliebenen Gesellschafter treuwidrig, so haften sie auch dann, wenn die Einziehung nicht gegen den Willen des betroffenen Gesellschafters, sondern mit seiner Zustimmung erfolgt.
  • Eine Haftung der verbliebenen Gesellschafter entsteht nicht zwingend, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung oder danach über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wird oder die Gesellschaft jedenfalls insolvenzreif ist, die Antragstellung nicht treuwidrig verzögert wird und die Insolvenz nicht treuwidrig herbeigeführt wurde.

Gerade Gesellschafter, die sich als ultima ratio gezwungen sehen, einen Störenfried (so: BGH, Urteil vom 24.01. 2012 − II ZR 109/11) aus der Gesellschaft zu entfernen, können jetzt sorgenfreier in die Beschlussfassung gehen.

Aber: Das aber ändert nichts an der Notwendigkeit, jeden Ausschließungsbeschluss und jede Einziehung sehr sorgfältig vorzubereiten. Denn die Wirksamkeit eines Einziehungsbeschlusses scheitert nach einer Beschlussanfechtung oft an vermeidbaren formalen Fehlern bei Einberufung und Durchführung der Gesellschafterversammlung. Und bis diese Wirksamkeit oder Nichtigkeit gerichtlich rechtkräftig festgestellt ist, vergehen ggf. Jahre der Rechtsunsicherheit.

Autor

Bild von  Andreas Jahn
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Andreas Jahn
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