Ein Arbeitsverhältnis kann nicht nur bei nachgewiesener Pflichtverletzung beendet werden. Vielmehr kommt bei dringenden Verdachtsmomenten ausnahmsweise auch die sogenannte Verdachtskündigung in Betracht. An die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung stellt die Rechtsprechung aber wegen des damit verbundenen Einschätzungsrisikos hohe Anforderungen. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung seine Rechtsprechung zur Wirksamkeit von Verdachtskündigungen, insbesondere zum Nachschieben von erst später bekannt gewordenen Kündigungsgründen, fortentwickelt (BAG, Urteil v. 18.06.2015 – 2 AZR 256/14). Von einer Darstellung des sehr speziellen Sachverhalts nehmen wir hier Abstand und beschränken uns vielmehr auf die Kernaussagen der Entscheidung.
Der Fall (verkürzt):
Der klagende Arbeitnehmer war bereits seit 1967 für das beklagte Unternehmen, das Schienen und anderes für den Gleisbau benötigtes Material vertreibt, beschäftigt. Er war Leiter des Verkaufsbüros. Zu seinen Aufgaben gehörte die Bestellung von Baumaterialien zur Durchführung von Kundenaufträgen. Sein Bruttomonatsverdienst belief sich zuletzt auf rund 15.300,00 €.
Der Arbeitgeber stieß im Rahmen interner Recherchen auf unzulässige Preisabsprachen mit beteiligten Firmen. Er hörte hierzu den Kläger an und beabsichtigte, nach weiterer Anhörung des Betriebsrats, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung. Von dieser Kündigung nahm er im Zuge von Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages zunächst wieder Abstand. Nach Scheitern dieser Bemühungen und erneuter Anhörung des Betriebsrats wurde das Arbeitsverhältnis ordentlich gekündigt. Dagegen erhob der Kläger fristgerecht Kündigungsschutzklage.
Während des laufenden Kündigungsschutzprozesses kam es zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen wettbewerbswidriger Absprachen und kartellrechtswidriger Preisabsprachen. An diesen sollte auch der Kläger beteiligt sein. Die Beklagte führte dann den Sachverhalt – nach Anhörung des Betriebsrats – in den vorliegenden Rechtsstreit ein.
Der Kläger bestritt alle Vorwürfe. Soweit die Kündigung auf Verdachtsmomente gestützt werde, sei er zu diesen nicht wirksam angehört worden. Ebenso wenig sei eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats erfolgt.
Die Vorinstanzen (ArbG und LAG) haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht hat hingegen im Revisionsverfahren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
I. Verdachtskündigung
Der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann ebenfalls eine Kündigung rechtfertigen. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn starke, auf objektive Tatsachen begründende Verdachtsmomente vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.
Der Verdacht muss dabei auf konkrete – vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende – Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus.
Hinweis für die Praxis:
Kann eine Tat nicht sicher und zweifelsfrei nachgewiesen werden, sollte eine Kündigung immer zusätzlich auch als Verdachtskündigung ausgesprochen werden. Es muss gegenüber dem Arbeitnehmer und auch gegenüber dem Betriebsrat deutlich werden, dass der Arbeitgeber sowohl eine Tat- als auch eine Verdachtskündigung aussprechen möchte. Auf die unterschiedlichen Anforderungen an diese beiden Kündigungsarten ist besonderen Wert zu legen. So muss bei einer Verdachtskündigung der Arbeitnehmer zwingend vorher angehört werden. Fehlt es an der Anhörung, ist die Verdachtskündigung schon aus diesem Grunde unwirksam.
II. Nachschieben von Kündigungsgründen
In einem Prozess über den Ausspruch einer Verdachtskündigung können Kündigungsgründe unter bestimmten Voraussetzungen nachgeschoben werden. Dabei ist zwischen der Kündigungsbegründung und der Betriebsratsanhörung zu differenzieren.
1. Kündigungsbegründung
In einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung sind nicht nur die dem Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt bekannten tatsächlichen Umstände von Bedeutung. Vielmehr können ebenso Umstände, die ihm erst später bekannt wurden, in den Prozess eingeführt werden, zumindest dann, wenn sie bei Kündigungszugang objektiv schon gegeben waren. Dies gilt auch für Umstände, die den Verdacht eines eigenständigen – neuen – Kündigungsvorwurfs begründen.
Für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung kommt es daher allein auf die objektive Rechtslage zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an. Es kommt auch nicht darauf an, ob ein sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang mit den schon bekannten Kündigungsgründen besteht.
Hinweis für die Praxis:
Werden nach Ausspruch einer Verdachtskündigung im Zuge weiterer Aufklärungen weitere Kündigungsumstände und/oder -vorwürfe bekannt, darf der Arbeitgeber diese also im Kündigungsprozess ohne weiteres nachschieben, wenn sie objektiv bei Kündigungszugang schon vorgelegen haben. Handelt es sich hingegen um Vorwürfe, die erst nach Kündigungszugang eingetreten sind, muss eine neue Kündigung ausgesprochen werden. In Zweifelsfällen ist Arbeitgebern zu raten, die Gründe sowohl nachzuschieben als auch hilfsweise eine weitere Verdachtskündigung auszusprechen, um so alle denkbaren Risiken auszuschließen.
2. Betriebsratsanhörung
Kündigungsgründe, die dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung bereits bekannt waren, müssen vor Ausspruch der Kündigung dem Betriebsrat umfassend mitgeteilt werden. Gründe, die dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung bereits bekannt waren, von denen er dem Betriebsratsgremium aber keine Mitteilung gemacht hat, können im Prozess nicht verwertet werden!
Aber: Erst nachträglich bekannt gewordene Umstände können im Kündigungsschutzprozess nachgeschoben werden, wenn in analoger Anwendung von § 102 BetrVG der Betriebsrat zu ihnen ergänzend angehört wird. Erfährt also ein Arbeitgeber im laufenden Kündigungsschutzprozess weitere Kündigungsgründe, die objektiv schon vor Ausspruch des Kündigungszugangs vorlagen, kann er diese Gründe im Kündigungsschutzprozess nachschieben, wenn vorher der Betriebsrat hierzu ergänzend angehört wird.
III. Wissensstand des Kündigungsberechtigten maßgeblich
Für die Beurteilung, ob ein nachgeschobener Sachverhalt dem Arbeitgeber schon im Kündigungszeitpunkt bekannt war, kommt es auf den Wissensstand des Kündigungsberechtigten an. Es kommt also auf die entsprechende Kenntnis in der Person des Kündigungsberechtigten an. Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person (e.V., GmbH oder AG), ist grundsätzlich maßgeblich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs, in der Regel also ein Geschäftsführer oder Vorstand.
Sind für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grundsätzlich die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter. Etwas anderes kann allerdings dann gelten, wenn es um die Kenntnis von Handlungen geht, die der Vertreter im kollusiven Zusammenwirken mit dem Arbeitnehmer gegen die Interessen der Gesellschaft vorgenommen hat. Ist der Vertreter seinerseits in die Handlungen gegen die Interessen des Arbeitgebers verstrickt und muss bei Offenlegung des Kündigungssachverhalts Nachteile für sich selbst befürchten, kann es für die Kenntnis des Arbeitgebers nicht auf den Wissensstand dieses „verstrickten“ Vertreters ankommen, sondern maßgeblich ist dann der Wissensstand eines neutralen (undolosen) Organmitglieds.
Fazit:
Bei der Verdachtskündigung sind zahlreiche Fallstricke zu beachten. Nur bei sorgfältiger Überwachung der Fristen und der Abläufe und Berücksichtigung aller Einwände der Arbeitgeberseite, werden formale Mängel vermieden. Hierauf ist in der Praxis zu achten.
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