24.07.2016 -

Vereinbaren die Vertragsparteien das Führen eines Arbeitszeitkontos stellen sich vielfältige Fragen im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. In einem aktuellen Urteil hatte sich das Bundesarbeitsgericht mit verschiedenen Fragen eingehend zu befassen (BAG, Urteil v. 23.09.2015 – 5 AZR 767/13). Die damit verbundenen vielfältigen Fragestellungen möchten wir hier für die betriebliche Praxis aufarbeiten und besprechen.

Der Fall (verkürzt):

Die Vertragsparteien streiten über die Auszahlung eines Arbeitszeitguthabens. Die klagende Arbeitnehmerin wurde von dem beklagten Arbeitgeber, der mehrere Textileinzelhandelsgeschäfte betreibt, zum 1. Juni 2007 als Bürofachkraft eingestellt. Sie erledigte Sekretariats- und Assistenztätigkeiten für die Geschäftsführung. Ihre Hauptaufgaben verrichtete sie im Vorzimmer der Geschäftsführung. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund Eigenkündigung der Klägerin am 31. März 2012.

In dem schriftlichen Arbeitsvertrag war zur Arbeitszeit Folgendes vereinbart:

§ 7 Arbeitszeit

Die Arbeitszeit ist flexibel und richtet sich nach der betrieblichen Zeit. Vereinbart werden monatlich 163 Stunden ohne die Berücksichtigung von Pausen. Mehr- bzw. Minderstunden werden über ein Zeitkonto abgerechnet. Bei Austritt aus dem Unternehmen wird der Saldo mit dem durchschnittlichen Stundenlohn verrechnet.

Im November 2008 händigte der Arbeitgeber der Klägerin für den Zeitraum 1. Juni 2007 bis 25. November 2008 Aufstellungen aus, in denen Beginn und Ende der Arbeitszeit, die Gesamtstunden, die Pausen sowie die bezahlte Arbeitszeit ausgewiesen waren. Die  positive Differenz zwischen geleisteten und vergüteten Stunden belief sich danach auf 414 Stunden. In der Folgezeit erfasste der Arbeitgeber die Arbeitszeit der Klägerin nicht mehr und händigte ihr keine weiteren Berichte aus.

Die Klägerin führte dann ab dem 26. November 2008 eine eigene Arbeitszeitaufstellung. Die Aufstellung legte die Klägerin ihrem Arbeitgeber nicht vor.

Auf die Bitte der Klägerin, man möge ihr eine Abrechnung des Arbeitszeitkontos übersenden, reagierte der Arbeitgeber mit Ablehnung und der Begründung, das Arbeitszeitkonto stehe auf null. Daraufhin reichte die Klägerin Klage ein und verlangte Abgeltung des von ihr für den Zeitraum 1. Juni 2007 bis 31. März 2012 behaupteten Arbeitszeitguthabens über 643 Plusstunden in Höhe von 18.357,28 € brutto.

Sie hat geltend gemacht, der Geschäftsführer der Beklagten habe sich am 26. Januar 2009, als er ihr das nicht vollständige Arbeitszeitkonto für November 2008 übergeben habe, geweigert, ihre Arbeitszeitaufstellungen entgegenzunehmen und auch für die Zukunft die Führung eines Arbeitszeitkontos abgelehnt. Er habe sogar die Anweisung erteilt, ihre Arbeitszeit nicht mehr zu erfassen. Zu den in ihren Arbeitszeitaufstellungen genannten Zeiten habe sie im Betrieb des Arbeitgebers gearbeitet. Durch ihre Tätigkeit im Vorzimmer des Geschäftsführers sei dieser auch jederzeit über ihre Arbeitszeit informiert gewesen. Sie habe Überstunden leisten müssen, weil sämtliche Geschäftsanfälle auf Weisung des Geschäftsführers sofort zu bearbeiten gewesen seien.

Der Arbeitgeber hat geltend gemacht, das Arbeitszeitkonto stehe auf null. Ein Arbeitszeitkonto sei nicht mehr zu führen gewesen, weil die Parteien Vertrauensarbeitszeit vereinbart hätten. Überstunden seien von ihm nicht angeordnet, gebilligt oder geduldet worden. Sie seien auch nicht zur Erledigung der Arbeit notwendig gewesen. Etwaige Ansprüche seien zudem verfallen und verjährt.

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im Berufungsverfahren stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht der Zahlungsklage nur in einem Umfang von 414 Stunden stattgegeben, den weitergehenden Anspruch auf Zahlung für insgesamt 643 Stunden hingegen abgewiesen.

I. Arbeitszeitkonto

Ein Arbeitszeitkonto hält fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 Abs. 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands nicht erbringen musste und deshalb Vergütung beanspruchen kann bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte Vergütung erbringen muss. Begehrt der Arbeitnehmer die Abgeltung eines Zeitguthabens, macht er den Vergütungsanspruch für vorgeleistete Arbeit geltend. Da dieses Zeitguthaben nur in anderer Form den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers ausdrückt, genügt für die Schlüssigkeit einer Klage, die auf Ausgleich des Guthabens auf einem Arbeitszeitkonto gerichtet ist, dass der Kläger die Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos und das Bestehen eines Guthabens zum vereinbarten Auszahlungszeitpunkt darlegt.

Hinweis für die Praxis:

Diesen Anforderungen genügte der Vortrag der Klägerin im Hinblick auf ein Zeitguthaben von 414 Stunden. In diesem Umfange hat der Arbeitgeber im November 2008 das Arbeitszeitkonto streitlos gestellt. Es wäre nun Sache des Arbeitgebers gewesen, diesen Saldo zu entkräften. Dazu hat der Arbeitgeber im Prozess aber nichts vorgetragen bzw. sich nicht substantiiert eingelassen. Damit galt der im Arbeitszeitkonto vorbehaltlos ausgewiesene Saldo als zugestanden.

II. Kein Erlassvertrag

Der Arbeitgeber hatte sich weiter auf einen Erlassvertrag berufen. Dieser sei dadurch zu Stande gekommen, dass die Klägerin die unterlassene Fortführung des Arbeitszeitkontos im November 2008 hingenommen habe. Ein solcher Erlassvertrag (vgl. § 397 Abs. 1 BGB) ist aber nur dann anzunehmen, wenn die Parteien vom Bestehen einer bestimmten Schuld ausgehen, diese aber übereinstimmend als nicht mehr zu erfüllen betrachten. Wenn feststeht, dass eine Forderung entstanden ist, verbietet dieser Umstand im Allgemeinen die Annahme, der Gläubiger (= Arbeitnehmer) habe sein Recht einfach wieder aufgegeben. An die Feststellung eines Verzichtswillens sind hohe Anforderungen zu stellen. Ein Erlass liegt im Zweifel nicht vor. Vorliegend fehlt es an einer auf einen Erlass gerichteten rechtsgeschäftlichen Erklärung der Klägerin. Eine solche kann nicht darin gesehen werden, dass die Klägerin die unterlassene Fortführung des Arbeitszeitkontos durch die Beklagte hingenommen hat. Sonstige Umstände, die einen Erlassvertrag rechtfertigen könnten, lagen hier nicht vor.

III. Vertrauensarbeitszeit

Die Vereinbarung einer Vertrauensarbeitszeit ändert daran ebenfalls nichts. Vertrauensarbeitszeit bedeutet nur, dass der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet und darauf vertraut, der betreffende Arbeitnehmer werde seine Arbeitspflicht in zeitlicher Hinsicht auch ohne Kontrolle erfüllen. Der Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit steht weder die Führung eines Arbeitszeitkontos entgegen noch schließt sie die Abgeltung eines aus Mehrarbeit des Arbeitnehmers resultierenden Zeitguthabens aus.

IV. Verfall/Verjährung

Die Tatsache, dass der Arbeitgeber im Arbeitszeitkonto der Klägerin im November 2008 Guthabenstunden in einem Umfang von 414 vorbehaltlos ausgewiesen hat, schließt einen Verfall aus. Damit war wie bei der vorbehaltlosen Ausweisung einer Vergütungsforderung in einer Lohnabrechnung der Zweck der Geltendmachung erreicht. Die Klägerin war damit nicht mehr verpflichtet, ihren bereits streitlos gestellten Guthabensanspruch innerhalb einer weiteren Ausschlussfrist geltend zu machen.

Der Abgeltungsanspruch war hier auch nicht verjährt. Nach dem Arbeitsvertrag war der sich aus dem Arbeitszeitkonto ergebende Saldo „bei Austritt aus dem Unternehmen“ mit dem durchschnittlichen Stundenlohn zu verrechnen. Danach ist der Abgeltungsanspruch erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, d.h. mit Ablauf des 31. März 2012, entstanden und fällig geworden. Die von der Beklagten unterlassene Fortführung des Arbeitszeitkontos führte nicht zu einer früheren Fälligkeit.

V. Darlegungslast bei selbstgefertigten Arbeitszeitaufstellungen

Die Klägerin machte aber nicht nur die streitlos gestellten 414 Plusstunden geltend, sondern insgesamt Plusstunden in einem Umfang von 643 Stunden. Das Bundesarbeitsgericht hat aber die Differenz in Höhe von 229 Stunden nicht anerkannt und den entsprechenden Zahlungsanspruch insoweit abgewiesen. Die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast, die gelten, wenn der Arbeitgeber in einem von ihm geführten Arbeitszeitkonto ein Zeitguthaben vorbehaltlos ausgewiesen hat (hier 414 Stunden), sind nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht anzuwenden, wenn sich der Arbeitnehmer zur Begründung seines Anspruchs auf selbstgefertigte Arbeitszeitaufstellungen beruft, die sich der Arbeitgeber nicht zu Eigen gemacht hat. In diesem Fall sind zunächst vom Arbeitnehmer die den behaupteten Saldo begründenden Tatsachen im Einzelnen darzulegen. Der Arbeitnehmer hat dann wie in einem Überstundenprozess darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat und geleistete Überstunden vom Arbeitgeber veranlasst wurden oder diesem zumindest zuzurechnen sind. Der Arbeitgeber muss sich Leistung und Vergütung von Überstunden nicht aufdrängen lassen und der Arbeitnehmer kann nicht durch überobligatorische Mehrarbeit seinen Vergütungsanspruch selbst bestimmen.

Der Arbeitnehmer hat dann also darzulegen, dass Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sind. Diesem erhöhten Begründungserfordernis genügte der Vortrag im vorliegenden Fall nicht. So ergab sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht, dass bestimmte ausgewiesene Arbeiten innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu leisten waren. Allein die Anwesenheit im Betrieb begründet keine Vermutung dafür, Überstunden seien zur Erbringung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen. Die weitergehenden 229 Überstunden waren damit dem Arbeitgeber nicht zuzurechnen.

Fazit:

Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist uneingeschränkt zuzustimmen. Stellt der Arbeitgeber in einem Arbeitszeitkonto Guthabenstunden vorbehaltlos unstreitig, kann er sich später nicht mehr wirksam davon distanzieren. Umgekehrt muss sich kein Arbeitgeber Überstunden aufdrängen lassen. Will der Arbeitnehmer seine Überstunden später geltend machen, muss er die hohen Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts zur Darlegungs- und Beweislast erfüllen. Arbeitnehmer müssen sich dabei darauf einstellen, dass diese Anforderungen im Normalfall nicht erfüllt werden können, da sie im laufenden Arbeitsverhältnis regelmäßig keine Aufzeichnungen vornehmen werden, die diese strengen Vorgaben einhalten. Streit entsteht meist erst im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn die notwendigen Informationen für einen wirksamen Anspruch bereits nicht mehr vorliegen. In diesem Zusammenhang sei nochmals darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber wirksam in einem Arbeitsvertrag vereinbaren kann, dass 20 Überstunden monatlich mit dem Grundgehalt als abgegolten angesehen werden.

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