Einem 74-jährigen Augenarzt darf nicht allein deshalb die Zulassung als Vertragsarzt verwehrt werden, weil ein zehn Jahre jüngerer Konkurrent mutmaßlich länger vertragsärztlich tätig sein kann. Dies hat das Sozialgericht Mainz mit einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 11.05.2016 entschieden und den Berufungsausschuss verpflichtet, erneut über die Zulassung zu entscheiden.
Der Fall (verkürzt):
Auf einen Vertragsarztsitz im Fachgebiet Augenheilkunde bewarben sich ein 64-jähriger und ein 74-jähriger Arzt. Der für die Zulassung eines Augenarztes zuständige Ausschuss, der sich aus Vertretern der Ärzteschaft und Vertretern der gesetzlichen Krankenkassen zusammensetzt, ging von einer gleichen Qualifikation der Bewerber aus. Da der ältere Bewerber jedoch länger in die Warteliste aufgenommen sei, wurde dieser zunächst zugelassen. Hiermit gab sich der unterlegene 64-jährige Arzt nicht zufrieden und legte erfolgreich Widerspruch gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses ein. Der Berufungsausschuss für Ärzte in Rheinland-Pfalz befand zwar, dass sein Konkurrent unter Versorgungsgesichtspunkten sogar besser geeignet sei, stellte jedoch entscheidend darauf ab, dass ein zehn Jahre jüngerer Arzt noch deutlich länger vertragsärztlich tätig sein könne und damit eine bessere Gewähr für eine kontinuierliche Patientenversorgung biete.
Die Entscheidung:
Die als offensive Konkurrentenklage zulässige Klage war begründet. Denn:
Der Beklagte stützte seine Prognose der Versorgungskontinuität ausschließlich auf den Altersunterschied zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1). Weitere Erwägungen stelle er hierbei nicht erkennbar in seine Abwägung ein. Soweit er sich hierbei auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 20.03.2013 (B 6 KA 19/12 R) stützte, überzeuge dies nicht. Das Bundessozialgericht führe in dieser Entscheidung aus, bei einer Bewerberkonkurrenz zwischen einem 65-jährigen und einem 55-jährigen Bewerber bestehe „Anlass zur Prüfung (…), ob ein schon 65 Jahre alter Arzt tatsächlich noch langfristig an der Versorgung teilnehmen wolle“. Allein ausschlaggebend dürfe dieser Aspekt aber nicht sein, weil das auf eine – unter Diskriminierungsgesichtspunkten problematische -strukturelle Bevorzugung des jüngeren vor dem älteren Bewerber hinauslaufen könnte und weil auch der an sich für eine Kontinuität einstehende Bewerber rechtlich nicht gehindert sei, nach kürzerer oder längerer Zeit die übernommene Praxis zu verlegen. Danach könne ein fortgeschrittenes Alter eines Bewerbers zwar Anlass für eine weitere Prüfung sein. Allein die Feststellung eines Altersunterschiedes oder eines fortgeschrittenen Alters könne diese Prüfung jedoch nicht ersetzen. Weitere Feststellungen dazu, ob und aus welchen Gründen der Kläger nicht mehr langfristig an der Versorgung der Versicherten teilnehmen wolle oder könne, habe der Beklagte nicht getroffen. Vielmehr beschränke er sich ausschließlich auf die Feststellung eines Altersunterschiedes von 10 Jahren und die daraus gezogene Folgerung, dass der 10 Jahre jüngere Bewerber deutlich länger vertragsärztlich tätig sein könne als der Kläger und damit eine Gewähr für eine längere kontinuierliche Patientenversorgung biete.
Beschränke man sich hinsichtlich des Kriteriums der Versorgungskontinuität somit allein auf die Feststellung eines Altersunterschiedes ggf. in Verbindung mit einem fortgeschrittenen Alter, führe dies zu einer grundsätzlichen und strukturellen Bevorzugung des jüngeren vor dem älteren Bewerber.
Somit stelle der Gesichtspunkt der Versorgungskontinuität kein legitimes Auswahlkriterium dar, sofern hierbei lediglich auf das Alter des Bewerbers und nicht auch auf weitere Anhaltspunkte für den Willen oder die Möglichkeit einer längeren kontinuierlichen Patientenversorgung abgestellt werde.
Praxishinweis:
Der Zulassungsausschuss entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung folgender Kriterien: berufliche Eignung, Dauer der bisherigen ärztlichen Tätigkeit, Approbationsalter, Dauer der Eintragung in die Warteliste gemäß § 103 Abs. 5 S. 1 SGB V, bestmögliche Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes sowie Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten (s. z.B. Fachgebietsschwerpunkt, Barrierefreiheit).
Die für das Praxisnachfolgeverfahren maßgeblichen Normen wurden durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz erneut geändert. Der Gesetzgeber hat zum einen den für die Auswahlentscheidung relevanten Kriterienkatalog ergänzt, zum anderen die Möglichkeit des Zulassungsausschusses gestärkt, Anträge auf Nachbesetzungsverfahren abzulehnen.
Fazit:
Im Rahmen der Zulassungsentscheidung darf schon aus Diskriminierungsgesichtspunkten nicht ausschließlich auf den Altersunterschied abgestellt werden. Ein bloßes Abstellen auf den Altersunterschied würde etwa bei einem 35-jährigen und einem 45-jährigen Bewerber zu einer grundsätzlichen Benachteiligung des älteren Bewerbers führen und dabei vernachlässigen, dass der jüngere Bewerber seine Praxis nach einigen Jahren aus persönlichen Gründen einfach verlegen könnte. Nur aufgrund eines Altersunterschieds kann daher nicht ohne Weiteres auf eine bessere oder schlechtere Versorgungskontinuität geschlossen werden.
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