28.08.2016 -

Das Bundesarbeitsgericht hat die frühere Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede bekanntlich schon im Jahre 2005 endgültig aufgegeben. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht damals einen Vertrauensschutz für Altverträge, die vor dem 1. Januar 2002 vereinbart wurden, zugestanden. Wie verhält es sich aber, wenn ein solcher Altvertrag später geändert wird? Wird dann aus einem solchen Altvertrag ein „Neuvertrag“ mit der weiteren Folge, dass die Grundsätze zur Gleichstellungsabrede keine Anwendung mehr finden? Mit dieser interessanten Fragestellung hatte sich nun der 4. Senat des Bundesarbeitsgerichts in einer aktuellen Entscheidung zu befassen und dabei wichtige Anhaltspunkte dazu gegeben, worauf die Praxis bei Vertragsänderungen achten muss (BAG, Urteil v. 21.10.2015 – 4 AZR 649/14).

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Arbeitgeber, der Möbelhäuser betreibt, aufgrund eines Arbeitsvertrages aus dem Jahre 1997 als Haustischler beschäftigt. Der Arbeitsvertrag lautete auszugsweise wie folgt:

§ 1 Einstellung

3. Die Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen in ihrer jeweils geltenden Fassung und deren Nachfolgeverträge sind Bestandteil dieses Vertrages.

Der Arbeitgeber war Mitglied des Einzelhandelsverbandes Ostwestfalen-Lippe, der wiederum Mitglied im Einzelhandelsverband Nordrhein-Westfalen e.V. war. Zunächst war der Arbeitgeber Mitglied mit Tarifgebundenheit. Seit dem 1. November 2004 wurde die Mitgliedschaft als sog. OT-Mitgliedschaft (Mitglied ohne Tarifgebundenheit) geführt. Bis zum Wechsel in die OT-Mitgliedschaft wurde der Lohn des Klägers regelmäßig entsprechend den Tarifabschlüssen im Einzelhandel NRW erhöht. Mit der Umstellung auf die OT-Mitgliedschaft gab der Arbeitgeber Tariflohnerhöhungen im Einzelhandel NRW nicht mehr an den Kläger weiter.

Im März 2005 schlossen die Parteien eine „Vereinbarung zur Änderung des Arbeitsvertrages“, die auszugsweise wie folgt lautet:

Die Parteien sind sich darüber einig, dass der zwischen ihnen bestehende Arbeitsvertrag mit Wirkung ab dem 1. April 2005 wie folgt geändert wird. Die dabei nicht genannten Regelungen gelten weiter.

…“

Von März 2013 bis Juli 2014 bezog der Kläger ein gleichbleibendes Monatsentgelt in Höhe von 2.288,52 € brutto. Der im Lohntarifvertrag für diesen Zeitraum geregelte Tariflohn im Einzelhandel NRW erhöhte sich allerdings in dieser Zeit mehrfach auf zuletzt ab 1. Mai 2014 monatlich 2.724,00 € brutto. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Lohntarifvertrag sei in seiner jeweiligen Fassung auf sein Arbeitsverhältnis aufgrund der zeitdynamischen Klausel in § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrages anzuwenden. Diese Klausel sei im Änderungsvertrag von März 2005 erneut vereinbart worden, weshalb sie nicht mehr als Gleichstellungsabrede ausgelegt werden könne. Den Differenzlohn hat er mit seiner Zahlungsklage geltend gemacht.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen voll bestätigt.

I. Gleichstellungsabrede

Nach der alten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die im Jahre 2005 aufgegeben wurde, galt die widerlegliche Vermutung, dass es einem an arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber nur darum ging, durch die Bezugnahme die nicht organisierten Arbeitnehmer (Außenseiter) mit den Organisierten (Gewerkschaftsmitglieder) hinsichtlich der Geltung des in Bezug genommenen Tarifwerks gleichzustellen. Das Bundesarbeitsgericht ging davon aus, mit einer solchen von einem tarifgebundenen Arbeitgeber gestellten Vertragsklausel solle lediglich die möglicherweise fehlende Gebundenheit des Arbeitnehmers an die im Arbeitsvertrag genannten Tarifverträge ersetzt werden. Daraus wurde die sogenannte Gleichstellungsabrede entwickelt. Die Verweisung auf einen Tarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung wurde deshalb einschränkend dahin ausgelegt, die auf diese Weise zum Ausdruck gebrachte Dynamik solle nur so weit reichen, wie sie bei einem tarifgebundenen Arbeitnehmer reicht, also dann enden, wenn der Arbeitgeber wegen Wegfalls der eigenen Tarifgebundenheit nicht mehr an künftige Tarifentwicklungen normativ durch Tarifbindung gebunden war. Mit anderen Worten: Tritt ein zunächst tarifgebundener Arbeitgeber wieder aus dem zuständigen Arbeitgeberverband aus, endet damit seine Tarifgebundenheit, damit endet die Gleichstellungsabrede und künftige Tariflohnentwicklungen müssen an alle Arbeitnehmer nicht mehr weitergegeben werden, selbst wenn im Arbeitsvertrag eine einzelvertragliche dynamische Bezugnahmeklausel auf den Tarifvertrag vereinbart war. Vielmehr gelten ab Wegfall der arbeitgeberseitigen Tarifbindung die in Bezug genommenen Tarifverträge dann nur noch statisch.

II. Aufgabe Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede

Das Bundesarbeitsgericht hat dann im Jahre 2005 diese Rechtsprechung aufgegeben. Selbst bei Wegfall der Tarifbindung des Arbeitgebers bleiben einzelvertragliche dynamische Bezugnahmeklauseln bestehen. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht dies nur für solche Arbeitsverträge entschieden, die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 vereinbart worden sind. Für die Altfälle, also Vertragsschlüsse vor diesem Zeitpunkt, wendet das Bundesarbeitsgericht die Auslegungsregel zur zuvor dargestellten Gleichstellungsabrede aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin an.

Hinweis für die Praxis:

Damit kann es durchaus zu einer zweigeteilten Belegschaft kommen. Einerseits Mitarbeiter, die aufgrund von Altverträgen durch die alte Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede keine dynamischen Ansprüche auf Tariflohnerhöhungen mehr geltend machen können und andererseits neu eingestellte Mitarbeiter, bei denen sich der Arbeitgeber auf diesen Vertrauensschutz nicht mehr berufen kann. Diesen neuen Mitarbeitern müssen etwaige Lohnerhöhungen weitergegeben werden.

III. Sonderfall: Altvertrag und spätere Vertragsänderung

Die Besonderheit des vorliegenden Falles lag nun darin, dass der Mitarbeiter zwar einen Altvertrag hatte und damit grundsätzlich die alte Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede weiterhin Anwendung fand. Danach hätte er dann keine dynamischen Ansprüche geltend machen können. Allerdings gab es im Jahre 2005, also nach dem 1. Februar 2002 und dem Stichtag des Vertrauensschutzes eine Vertragsänderung. Die Vertragsänderung bezog sich allerdings nicht auf Lohnfragen, sondern nur auf Änderungen zur Arbeitszeit und zu Urlaubsfragen. Ausdrücklich vereinbarten die Parteien in dieser Änderungsvereinbarung, dass die nichtgenannten Regelungen aus dem alten Arbeitsvertrag weitergelten sollten.

Die konkrete Frage war also, ob durch diese Vertragsänderung aus dem Altvertrag ein Neuvertrag geworden ist. Das Bundesarbeitsgericht hat dies bejaht. Gerade in der vorgenannten Formulierung hätten die Vertragsparteien deutlich gemacht, dass sie den Arbeitsvertrag insgesamt erneut zum Gegenstand ihrer rechtsgeschäftlichen Willensbildung machen wollten. Damit seien zugleich alle vertraglichen Regelungen des ursprünglichen Arbeitsvertrages erneut vereinbart bzw. bestätigt worden. Die Vereinbarung, dass alle übrigen Vereinbarungen aus einem Anstellungsvertrag unberührt bleiben sollen, hindert damit die Annahme eines Altvertrages!

Das Bundesarbeitsgericht weist im Übrigen darauf hin, dass eine Vertragsänderung allein noch nicht notwendig dazu führt, dass zugleich stets alle vertraglichen Regelungen des ursprünglichen Arbeitsvertrages erneut vereinbart oder bestätigt würden. Dies sei stets anhand der konkreten Vertragsänderung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen.

Hinweis für die Praxis:

Diese Rechtsprechung und Auslegung ist durchaus angreifbar. Mit dem Hinweis der Vertragsparteien, dass die übrigen Regelungen unverändert weitergelten sollen, könnte man auch ohne weiteres genau das Gegenteil vertreten. Damit hätten die Parteien gerade zum Ausdruck bringen wollen, dass sie die Altregelungen nicht erneuern und bestätigen wollten. In der Literatur wird daher diese Rechtsprechung durchaus kritisch betrachtet.

Fazit:

Bei Altverträgen und dynamischen Verweisungen auf Tarifverträge ist bei Vertragsänderungen genau darauf zu achten, ob damit ggf. aus einem Altvertrag ein „Neuvertrag“ nach den dargestellten Grundsätzen wird. Schädlich ist in jedem Fall, wenn die übliche Klausel aufgenommen wird, wonach im Übrigen alle sonstigen arbeitsvertraglichen Regelungen weitergelten. Will man die Rechtsfolgen vermeiden, sollte man solche Klauseln daher schlicht weglassen und sich auf die reine Änderung von Einzelklauseln beschränken. Damit wird nicht der Vertrag insgesamt erneuert und bestätigt, sondern nur die jeweilige Klausel geändert und als Neuvertrag angesehen, nicht aber der gesamte Vertrag.

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