01.09.2016 -

Seit fast 7 Jahren beschäftigen sich die (Arbeits-)Gerichte mit dem Fall der Wiederheirat eines katholischen Chefarztes.

Der Kläger wird seit dem Jahr 2000 als Chefarzt in dem Krankenhaus eines katholischen Trägers beschäftigt. Arbeitsvertraglich wurde die Geltung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 23. September 1993 (GrO 1993) vereinbart.

Artikel 5 der GrO 1993 sieht in seinem Abs. 2 vor, dass es sich bei einer nach Kirchenrecht ungültigen Ehe um einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß handelt, der eine Kündigung rechtfertigen kann. Eine Weiterbeschäftigung soll grundsätzlich ausgeschlossen sein, sofern der Loyalitätsverstoß von einem Leitenden Mitarbeiter begangen wurde (Art. 5 Abs. 3 GrO 1993). Chefärzte sind als Leitende Angestellte in diesem Sinne anzusehen.

Der Kläger heiratete nach seiner Scheidung ein zweites Mal standesamtlich und erhielt daraufhin die streitgegenständliche Kündigung vom 30. März 2009, die das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. September 2009 beenden sollte.

Im Rahmen seiner Kündigungsschutzklage verwies der Kläger darauf, dass eine erneute Eheschließung eines beim gleichen Arbeitgeber beschäftigten evangelischen Chefarztes nach der GrO 1993 unproblematisch sei und er daher unangemessen benachteiligt werde.

In den Vorinstanzen wurde der Klage stattgegeben und die Revision der Beklagten durch das Bundesarbeitsgericht zurückgewiesen. Jedoch hob das Bundesverfassungsgericht das Urteil des Bundesarbeitsgerichts mit Beschluss vom 22. Oktober 2014 (2 BvR 661/12) auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Bundesarbeitsgericht zurück. Das Bundesverfassungsgericht erklärte, das Urteil des Bundesarbeitsgerichts verstoße gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 S. 1 Weimarer Reichsverfassung, weil es das kirchliche Selbstbestimmungsrecht bei der Interessenabwägung im Rahmen des § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nicht ausreichend berücksichtigt habe.

Das Bundesverfassungsgericht bekräftigte, dass die staatlichen Gerichte bei der Prüfung, ob die Kündigung eines kirchlichen Arbeitnehmers wegen Verstoßes gegen vertraglich vereinbarte Loyalitätsobliegenheiten rechtmäßig sei, in zwei Schritten vorgehen müssten:

  1. Stufe: Plausibilitätskontrolle der Loyalitätsverpflichtung auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der verfassten Kirche.
  2. Stufe: Gesamtabwägung mit den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer. Dabei sei dem Selbstverständnis der Kirche ein besonderes Gewicht beizumessen.

Aktueller Beschluss des BAG

Das aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts erneut mit der Sache betraute Bundesarbeitsgericht beschloss nun am 28. Juli 2016, dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob Kirchen nach Auslegung des Unionsrechts bei einem an Arbeitnehmer in leitender Stellung gerichteten Verlangen nach loyalem und aufrichtigem Verhalten zwischen Arbeitnehmern, die der Kirche angehören und solchen, die einer anderen Kirche oder keiner Kirche angehören, unterscheiden dürfen. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bleibt nun abzuwarten.

Das Kündigungsrecht der Kirchen

Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten:

  • Kirchliche Arbeitgeber sind an das staatliche Arbeitsrecht gebunden.
  • Über die Wirksamkeit von Kündigungen entscheiden die staatlichen Arbeitsgerichte.
  • Es gelten die Formvorschriften des Kündigungsrechts, etwa das Schriftformerfordernis des § 623 BGB und die Bindung an vereinbarte Kündigungsfristen.
  • Das Kündigungsschutzgesetz findet grundsätzlich Anwendung, so dass Kündigungen nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt sein müssen.
  • Bei der Bewertung der sozialen Rechtfertigung und der zugrundeliegenden Kündigungsgründe ist eine Abwägung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen vorzunehmen, in der das besondere Gewicht des Selbstverständnisses der Kirche beachtet wird. Kirchliche Arbeitgeber sind berechtigt, glaubensbezogene Pflichten ihrer Arbeitnehmer verbindlich zu bestimmen.
  • Anstelle des Betriebsverfassungsgesetzes (Bereichsausnahme nach § 118 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz) gelten die kirchlichen Mitbestimmungsgesetze (Grundlagen: das evangelische MVG-EKD und die katholische MAVO) mit den dort jeweils geregelten Beteiligungsrechten der Mitarbeitervertretungen.

Abschließender Hinweis

Artikel 5 der Grundordnung wurde zwischenzeitlich geändert. Er hat in der Fassung des Beschlusses der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands vom 27. April 2015 den nachfolgenden Wortlaut. Die Entscheidung über die Anwendung obliegt den jeweils zuständigen Bischöfen.

Artikel 5 Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten

(1) Erfüllt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter die Beschäftigungsanforderungen nicht mehr, so muss der Dienstgeber durch Beratung versuchen, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter diesen Mangel auf Dauer beseitigt. Im konkreten Fall ist zu prüfen, ob schon ein solches klärendes Gespräch oder eine Abmahnung, ein formeller Verweis oder eine andere Maßnahme (z.B. Versetzung, Änderungskündigung) geeignet sind, dem Obliegenheitsverstoß zu begegnen. Als letzte Maßnahme kommt eine Kündigung in Betracht.

(2) Für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen sieht die Kirche insbesondere folgende Verstöße gegen die Loyalitätsobliegenheiten im Sinn des Art. 4 als schwerwiegend an:

1. Bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern:

a) das öffentliche Eintreten gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche (z. B. die Propagierung der Abtreibung oder von Fremdenhass),

b) schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen, die nach den konkreten Umständen objektiv geeignet sind, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen,

c) das Verunglimpfen oder Verhöhnen von katholischen Glaubensinhalten, Riten oder Gebräuchen; öffentliche Gotteslästerung und Hervorrufen von Hass und Verachtung gegen Religion und Kirche (vgl. c. 1369 CIC); Straftaten gegen die kirchlichen Autoritäten und die Freiheit der Kirche (vgl. cc. 1373, 1374 CIC),

d) die Propagierung von religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen, die im Widerspruch zu katholischen Glaubensinhalten stehen, während der Arbeitszeit oder im dienstlichen Zusammenhang, insbesondere die Werbung für andere Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften.

2. Bei katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern:

a) den Austritt aus der katholischen Kirche,

b) Handlungen, die kirchenrechtlich als eindeutige Distanzierung von der katholischen Kirche anzusehen sind, vor allem Abfall vom Glauben (Apostasie oder Häresie gemäß c. 1364 § 1 i.V. m. c. 751 CIC),

c) den kirchenrechtlich unzulässigen Abschluss einer Zivilehe, wenn diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen; eine solche Eignung wird bei pastoral oder katechetisch tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, unwiderlegbar vermutet,

d) das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft; bei diesem Loyalitätsverstoß findet Ziff. 2c) entsprechende Anwendung.

(3) Liegt ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß nach Abs. 2 vor, so hängt die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung von der Abwägung der Einzelfallumstände ab. Dem Selbstverständnis der Kirche ist dabei ein besonderes Gewicht beizumessen, ohne dass die Interessen der Kirche die Belange des Arbeitnehmers dabei prinzipiell überwiegen. Angemessen zu berücksichtigen sind unter anderem das Bewusstsein der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters für die begangene Loyalitätspflichtverletzung, das Interesse an der Wahrung des Arbeitsplatzes, das Alter, die Beschäftigungsdauer und die Aussichten auf eine neue Beschäftigung. Bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die pastoral, katechetisch, aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, schließt das Vorliegen eines schwerwiegenden Loyalitätsverstoßes nach Abs. 2 die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung in der Regel aus. Von einer Kündigung kann in diesen Fällen ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen. Gleiches gilt für den Austritt einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters aus der katholischen Kirche.

(4) Zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung hinsichtlich dieser Ordnung wird in jeder (Erz-)Diözese oder (wahlweise) von mehreren (Erz-)Diözesen gemeinsam eine zentrale Stelle gebildet. Deren Aufgabe ist von einer Person wahrzunehmen, die der katholischen Kirche angehört, die Befähigung zum Richteramt besitzt und über fundierte Erfahrungen im kirchlichen und weltlichen Arbeitsrecht verfügt. Beabsichtigt ein kirchlicher Dienstgeber eine Kündigung wegen eines schwerwiegenden Verstoßes gegen eine Loyalitätsobliegenheit auszusprechen, soll er bei der zentralen Stelle eine Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung einholen. Die Einholung der Stellungnahme der zentralen Stelle ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung.

(5) Der Verband der Diözesen Deutschlands wird fünf Jahre nach Inkrafttreten dieser Ordnung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der zentralen Stellen nach Abs. 4 die Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit der vorstehenden Regelungen einer Überprüfung unterziehen. Er erstattet dem Ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz Bericht und unterbreitet Vorschläge für mögliche Änderungen.

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    (WirtschaftsWoche 2023, 2020)

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