15.09.2016

Worum es geht

Unter den in § 15 Abs. 1 UStG genannten Voraussetzungen darf ein Unternehmer aus Eingangsrechnungen die Vorsteuer ziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14 und 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Eine solche Rechnung muss insbesondere alle in § 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 9 UStG aufgezählten Angaben enthalten. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können die Vorsteuerbeträge erst in dem Besteuerungszeitraum abgezogen werden, in dem alle Anspruchsvoraussetzungen im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG vorliegen.

Ungeklärte Fragen bei unvollständiger Rechnung

  • Wie ist aber zu verfahren, wenn einzelne Angaben in der erhaltenen Rechnung fehlen, bspw. die Steuernummer oder die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer?
  • Nach § 31 Abs. 5 UStDV kann eine fehlerhafte Rechnung berichtigt werden. Wirkt dies aber auch zugunsten des Rechnungsempfängers zurück?
  • Darf also der Rechnungsempfänger schon auf den Zeitpunkt des Erhalts der noch fehlerhaften Erstrechnung Vorsteuer abziehen oder erst auf den womöglich viel späteren Zeitpunkt der korrigierten Rechnung?
  • Ist dem Rechnungsempfänger bis dahin der Vorsteuerabzug zu versagen?

Das Problem

Wird der Vorsteuerabzug wegen fehlender oder unzutreffender Rechnungsbestandteile versagt, kann die Abzugsberechtigung nach bisherigem deutschem Umsatzsteuerrecht zwar durch Rechnungskorrektur in dem Zeitpunkt der Berichtigung hergestellt werden. Im Ergebnis bleibt das Umsatzsteueraufkommen für den Fiskus in diesem Fall gleich, jedoch können sich dennoch fiskalische Mehrergebnisse zu Lasten des Unternehmers ergeben. Wird der Vorsteuerabzug nämlich erst Jahre später versagt, z. B. im Rahmen einer Außenprüfung (Betriebsprüfung), führen Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO zu erheblichen finanziellen Belastungen (so zutreffend das FG Niedersachsen im Vorlagebeschluss vom 03.07.2014 – 5 K 40/14).

Die bisherige Rechtsprechung des BFH

Die Rechtsprechung des BFH ging bislang nicht davon aus, dass ein vollständiges Nachreichen von Rechnungen oder Rechnungskorrekturen auf den Besteuerungszeitraum der Leistungserbringung oder den Zeitpunkt der ursprünglichen Rechnungserteilung zurückwirkt. Vielmehr soll der Vorsteuerabzug erst im Besteuerungszeitraum der Nachreichung bzw. Korrektur der Rechnung zulässig sein (z. B. BFH, Urteil vom 24.08.2006 – V R 16/05; Beschluss vom 31.07.2007 – V B 156/06 (NV)). In einer Entscheidung aus 2013 ließ der BFH allerdings ausdrücklich offen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine Rechnungsberichtigung umsatzsteuerrechtlich rückwirkend zu berücksichtigen sein kann (BFH, Urteil vom 19.06.2013 – XI R 41/10, dort Tz. 41).

Die Auffassung der Finanzverwaltung

Die Finanzverwaltung lehnt eine rückwirkende Korrektur ab. So heißt es in § 15.2a Abs. 7 Satz 2 UStAE (Umsatzsteuer-Anwendungserlass – in der Fassung seit dem 15.12.2015):

„Berichtigte Rechnung

(7) … Der Vorsteuerabzug kann … erst zu dem Zeitpunkt in Anspruch genommen werden, in dem der Rechnungsaussteller die Rechnung … berichtigt und die zu berichtigenden Angaben an den Rechnungsempfänger übermittelt hat.“

Das FG Niedersachsen hatte Zweifel, ob die nationale Regelung, wonach eine rückwirkende Rechnungsberichtigung grundsätzlich ausgeschlossen ist, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Diese Zweifel waren berechtigt, wie das an deutlichen Worten reiche Urteil des EuGH vom 15.09.2015 bestätigt (EuGH-Urteil vom 15. September 2016, Rechtssache C-518/14).

Die Entscheidung des EuGH

Selbst wenn der Leitsatz auch in dieser Entscheidung des EuGH sprachlich einmal mehr einem „Leidsatz“ gleichkommt, so erfreulich ist seine Bedeutung für den Steuerpflichtigen:

„Art. 167, Art. 178 Buchst. a, Art. 179 und Art. 226 Nr. 3 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach der Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe, nämlich die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, keine Rückwirkung zukommt, so dass das Recht auf Vorsteuerabzug in Bezug auf die berichtigte Rechnung nicht für das Jahr ausgeübt werden kann, in dem diese Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde, sondern für das Jahr, in dem sie berichtigt wurde.“

Der EuGH nutzt die Gelegenheit, die essentielle Bedeutung des Vorsteuerabzugs für das Funktionieren des Mehrwertsteuersystems und den Grundsatz der Wettbewerbsneutralität der Umsatzsteuer herauszuheben und gleichzeitig klarzustellen, wie hoch die Hürden für eine Versagung des Vorsteuerabzugs anzulegen sind.

[Die nachfolgenden Zitate aus den Urteilsgründen habe ich mir erlaubt, der besseren Lesbarkeit halber zu raffen, hervorzuheben und unter Beibehaltung der Teilziffern zu untergliedern]

„36       Nach Ansicht der deutschen Regierung ist bei der Berichtigung einer Rechnung durch Hinzufügung einer in der ursprünglich ausgestellten Rechnung fehlenden Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer die Voraussetzung einer Rechnung mit Angabe der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erst zum Zeitpunkt dieser Berichtigung erfüllt, so dass … das Recht auf Vorsteuerabzug erst zum Berichtigungszeitpunkt ausgeübt werden könne.

37        Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, dass das … Recht auf Vorsteuerabzug integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann und dass dieses Recht für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden kann

Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll … der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden.

Eine nationale Regelung, … nach der Nachzahlungszinsen auf die vor einer Berichtigung der ursprünglich ausgestellten Rechnung als geschuldet angesehenen Mehrwertsteuerbeträge zu entrichten sind, belegt diese wirtschaftlichen Tätigkeiten jedoch mit einer aus der Mehrwertsteuer resultierenden steuerlichen Belastung, obwohl das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Neutralität dieser Steuer garantiert.

38        Zweitens hat der Gerichtshof entschieden, dass das Grundprinzip der Mehrwertsteuerneutralität verlangt, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt hat

40        Viertens hat die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass unter bestimmten Umständen die spätere Berichtigung einer Rechnung, beispielsweise um einen Fehler bei der darin angegebenen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer zu korrigieren, der Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts im Jahr der Rechnungsausstellung nicht entgegenstehe. Sie hat hingegen keine überzeugenden Gründe für eine Differenzierung zwischen solchen Umständen und denen des Ausgangsverfahrens genannt.

41        Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten befugt sind, Sanktionen für den Fall der Nichterfüllung der formellen Bedingungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts vorzusehen. Nach Art. 273 der Richtlinie 2006/112 dürfen sie Maßnahmen erlassen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Maßnahmen nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen und die Neutralität der Mehrwertsteuer nicht in Frage stellen …

42        In der mündlichen Verhandlung hat die deutsche Regierung vorgebracht, es sei als Sanktion einzustufen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug erst im Jahr der Rechnungsberichtigung ausgeübt werden dürfe. Um die Nichtbefolgung formeller Anforderungen zu ahnden, kommen jedoch andere Sanktionen als die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts für das Jahr der Rechnungsausstellung in Betracht, etwa die Auferlegung einer Geldbuße oder einer finanziellen Sanktion, die in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Verstoßes steht …

Darüber hinaus tritt nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung die mit der Anwendung von Nachzahlungszinsen verbundene spätere Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts in jedem Fall ein, ohne Berücksichtigung der Umstände, die eine Berichtigung der ursprünglich ausgestellten Rechnung erforderlich machen; dies geht über das hinaus, was zur Erreichung der in Rn. 41 des vorliegenden Urteils genannten Ziele erforderlich ist.“

Danach verstößt die bisherige deutsche Rechtspraxis, wonach der Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe, (hier der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer) keine Rückwirkung zukommt, gegen Unionsrecht.

Fazit:

Das Recht auf Vorsteuerabzug in Bezug auf die berichtigte Rechnung darf folglich für das Jahr ausgeübt werden kann, in dem diese Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde, und nicht erst für das Jahr, in dem sie berichtigt wurde.

Alle noch schwebenden Fälle sollten durch Einsprüche und Verweis auf das aktuelle EuGH-Urteil offengehalten werden, um Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO zu vermeiden.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2022/2023)

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2017-2021)

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