18.09.2016 -

Die Vergütungspflicht für das An- und Ablegen vorgeschriebener Dienstkleidung sowie die Wege von und zu der Zeiterfassung ist von erheblicher praktischer Bedeutung. In den vergangenen Jahren hatte das Bundesarbeitsgericht bereits mehrfach diese Fragen klären müssen. In vielen Unternehmen gab es dazu bislang keine Regelungen und Mitarbeiter wurden für diese zusätzlichen Zeiten auch nicht bezahlt. Aufgrund der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat sich diese Praxis ganz erheblich gewandelt. Zahlreich Mitarbeiter machen nun Ansprüche geltend und in vielen Betrieben kommt es zu Verhandlungen mit den Betriebsräten oder auch den Tarifvertragsparteien, um die Thematik neu zu regeln. In diesem Sinne hatte sich nun auch das Landesarbeitsgericht Hamm in einer aktuellen Entscheidung mit diesen Fragen zu befassen (LAG Hamm, Urteil v. 13.01.2016 – 3 Sa 1252/15). Wir möchten die interessante Entscheidung, die im Übrigen beim Bundesarbeitsgericht anhängig ist und dort am 26. Oktober 2016 verhandelt wird (5 AZR 127/16), im Einzelnen vorstellen.

Der Fall:

Der Kläger war in der Zeit vom 1. Dezember 1989 bis zum 31. August 2014 bei dem beklagten Arbeitgeber in der Produktion beschäftigt. Er erzielte zuletzt eine Vergütung in Höhe von 12,53 € brutto in der Stunde.

Grundlage der Beschäftigung war ein schriftlicher Arbeitsvertrag, in dessen § 1 in den beiden letzten Absätzen Folgendes geregelt war:

Aufgrund der bei der Produktion von Lebensmitteln geltenden Hygieneverordnung ist jeder Arbeitnehmer verpflichtet, den Dienst täglich mit sauberer und vollständiger Dienstkleidung anzutreten und zu erfüllen. Die Bedienung der Zeiterfassungsanlage, d.h. das An- und Abstempeln hat ausschließlich persönlich und zwar immer in einwandfreier Dienstkleidung zu erfolgen.

Die Wegezeiten zu bzw. von den Stempeluhren oder Pausenräumen sind leistungsentgeltfrei.

Die Arbeitskleidung wurde dem Kläger von dem Beklagten gestellt und für das Umkleiden standen auf dem Betriebsgelände Kabinen und Räumlichkeiten zur Verfügung, wo auch die Arbeitskleidung aufbewahrt wird.

In der Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 31. August 2014 arbeitete der Kläger an insgesamt 683 Tagen. Er machte nunmehr für diese 683 Tage mit seiner Klage einen Anspruch in Höhe von 4.279,00 € brutto geltend. Dabei setzte er für jeden Arbeitstag 30 Minuten Zeitspanne für das An- und Ablegen der Dienstkleidung einschließlich der Wegezeiten an.

Der Arbeitgeber hat den Anspruch abgelehnt. Schon im Arbeitsvertrag sei festgelegt, dass solche Ansprüche ausgeschlossen seien. Zudem beantrage die Wege- und Umkleidezeit täglich maximal 15 Minuten.

Das Arbeitsgericht hat auf Basis dieser 15 Minuten den Arbeitgeber zur Zahlung von 2.139,50 € brutto nebst Zinsen verurteilt.

Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts sind beide Seiten in Berufung gegangen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht beide Berufungen zurückgewiesen und die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Dienstkleidung und vergütungspflichtige Arbeitszeit

Zunächst war festzustellen, ob Zeiten des An- und Ablegens der Dienstkleidung einschließlich der Wegezeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit überhaupt angesehen werden können. Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpft dabei nach § 611 Abs. 1 BGB allein an die Leistung der versprochenen Dienste an. Zu diesen „versprochenen Diensten“ zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht regelmäßig die Vergütung für alle Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Direktionsrechts abverlangt. „Arbeit“ als Leistung der versprochenen Dienste im Sinne des § 611 Abs. 1 BGB ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts).

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist das An- und Ablegen der Kleidung, das der Arbeitgeber dem Kläger aufgrund von Hygieneregelungen als Vorgaben gemacht hat, vergütungspflichtig. Der Arbeitgeber hat dem Kläger im Arbeitsvertrag ausdrücklich vorgegeben, den täglichen Dienst mit sauberer und vollständiger Dienstkleidung anzutreten und zu erfüllen. Dieser Vorgang hängt damit mit der eigentlichen Tätigkeit des Klägers unmittelbar zusammen und dient ausschließlich den Interessen des Arbeitgebers. Unstreitig hat zudem der Arbeitgeber dem Kläger vorgegeben, die Arbeitskleidung an einem bestimmten Ort im Betrieb erst anzulegen und dort wieder abzulegen. Es handelt sich somit um einen Vorgang, der der Befriedigung eines (fremden) Bedürfnisses des beklagten Arbeitgebers dient.

II. Ausschluss durch arbeitsvertragliche Regelung?

Ein Anspruch des Klägers auf Vergütung von Umkleidezeiten einschließlich hierzu erforderlicher innerbetrieblicher Wegezeiten ist nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch nicht durch die Regelung der Parteien in dem Arbeitsvertrag ausgeschlossen. Nach dieser Regelung sind nur die Wegezeiten zu bzw. von den Stempeluhren oder Pausenräumen leistungsentgeltfrei. Nicht erfasst werden hingegen Zeiten für das Umziehen und das An- und Ablegen der Dienstkleidung. Insoweit war die Klausel nicht vollständig und klar formuliert, wenn denn auch alle weitergehenden Zeiten des An- und Ablegens der Dienstkleidung und der hierzu notwendigen Wegezeiten ausgeschlossen werden sollten.

III. Keine Verwirkung

Der Arbeitnehmer hatte seine Ansprüche erst mit seinem Ausscheiden geltend gemacht und dann rückwirkend für insgesamt 683 Tage. Die Ansprüche waren zwar noch nicht verjährt. Der Arbeitgeber berief sich aber darauf, dass er nach so langer Zeit nicht mehr damit rechnen musste, dass noch Ansprüche geltend gemacht werden. Dies kann den Ausschlusstatbestand der sogenannten Verwirkung begründen.

Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Dabei reicht allein der lange Zeitablauf nicht aus, um eine Verwirkung zu begründen. Es müssen zu dem Zeitmoment viel mehr noch besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und unzumutbar anzusehen.

Nach diesen Kriterien war hier von einer Verwirkung des Anspruchs nicht auszugehen. Zwar hat der Kläger mit der Geltendmachung eines Anspruchs auf Bezahlung von Umkleidezeiten längere Zeit zugewartet und während des bestehenden Arbeitsverhältnisses solche Ansprüche nicht erhoben. Allein die Nichtgeltendmachung ist aber noch nicht geeignet, das erforderliche Umstandsmoment zu begründen. Der Kläger ist lediglich schlicht untätig geblieben. Anhaltspunkte für das notwendige Umstandsmoment lagen hingegen nicht vor. Das Landesarbeitsgericht hat daher eine Verwirkung abgelehnt.

IV. Feststellung der notwendigen Arbeitszeit?

Bejaht man einmal die Grundsatzfrage, dass es sich bei dem An- und Ablegen von Dienstkleidung und den dazu notwendigen Wegezeiten um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt, stellt sich die sehr problematische Anschlussfrage, welche zeitliche Spanne anzusetzen ist. Gelten objektive Maßstäbe oder kommt es auf den jeweiligen einzelnen Arbeitnehmer an? Das Bundesarbeitsgericht hat sich für den subjektiven Ansatz entschieden. Das Landesarbeitsgericht hat diese zutreffenden Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts hier ebenfalls angewandt. Danach darf der Arbeitnehmer seine Leistungspflicht nicht frei selbst bestimmen, sondern muss unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten. „Erforderlich“ ist danach nur die Zeit, die der einzelne Arbeitnehmer für die Entgegennahme der Dienstkleidung und den Weg zur und von der Ausgabestelle im Rahmen der objektiven Gegebenheiten unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötigt.

Die pauschale Angabe des Klägers, er habe jeden Tag 30 Minuten benötigt, reichte daher nicht aus. Er hätte konkret Angaben dazu machen müssen, welche Zeit er hierfür unter gehöriger Anspannung seiner körperlichen Kräfte notwendigerweise benötigte. Dazu hätte es konkreter Angaben bedurft, welche Zeit das reine Umkleiden unter diesen Kriterien erforderte.

Das Landesarbeitsgericht hat daher die unstreitige Spanne von mindestens 15 Minuten täglich angesetzt, die auch der Arbeitgeber insoweit als notwendig angesehen hatte. Auf Basis dieser Berechnung von 15 Minuten täglich bei 683 Arbeitstagen und einer maßgeblichen Vergütung in Höhe von 12,53 € wurde dann dem Kläger vergütungspflichtige Arbeitszeit zugestanden.

Fazit:

Die Vergütung von Umkleidezeiten und innerbetrieblichen Wegezeiten kann sich durchaus als erheblicher Kostenfaktor für den Arbeitgeber darstellen. Gerade bei einer Vielzahl von gleichgelagerten Fällen im Dienstleistungsbereich können sich so schnell nur fünf oder sogar sechsstellige Summen jährlich aufaddieren. Arbeitgebern ist daher zu empfehlen, die Thematik aktiv anzugehen. So ist es möglich, mit entsprechenden Betriebsvereinbarungen abweichende Regelungen zu treffen oder aber auch in den Einzelarbeitsverträgen Ansprüche zu minimieren und zu begrenzen. Wichtig ist jedenfalls, dass die Fragen positiv geregelt werden. Unklarheiten und ungeregelte Fälle gehen in jedem Fall zu Lasten der Arbeitgeberseite. In solchen Konstellationen greift der Grundsatz, dass Umkleidezeiten und Wegezeiten nach § 611 BGB zu vergüten sind.

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