11.10.2016 -

Betriebsvereinbarungen sind kollektivrechtliche Regelungen zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber. Beide Seiten können sich durch Kündigung von einer Betriebsvereinbarung jederzeit lösen. Etwas anderes gilt hingegen für Gesamtzusagen. Gesamtzusagen führen zu einer Änderung der Arbeitsverträge. Änderungen sind später nur noch sehr eingeschränkt möglich. In einer sehr speziellen Fallgestaltung zur betrieblichen Altersversorgung hatte sich nun das Bundesarbeitsgericht mit der praxisrelevanten Frage zu befassen, ob eine unwirksame Betriebsvereinbarung dennoch in eine Gesamtzusage umgedeutet werden kann (BAG, Urteil v. 23.02.2016 – 3 AZR 960/13). Den schwierigen, komplizierten und sehr detailreichen Sachverhalt wollen wir hier nicht wiedergeben. Er befasst sich mit einer sehr speziellen Fallgestaltung zur betrieblichen Altersversorgung. Maßgeblich sind die Kernaussagen des Bundesarbeitsgerichts.

I. Unwirksame Betriebsvereinbarung

Betriebsvereinbarungen können unwirksam sein. Die Unwirksamkeit beruht z.B. darauf, dass die Betriebsvereinbarung mit einem nicht zuständigen Gremium abgeschlossen wurde. Ist ein Einzelbetriebsrat zuständig, kann eine wirksame Betriebsvereinbarung grundsätzlich nicht mit dem Gesamtbetriebsrat oder dem Konzernbetriebsrat vereinbart werden (Ausnahmen siehe §§ 50, 58 BetrVG). In dem hier zu besprechenden Fall hatte der Arbeitgeber auf Betriebsratsseite mit einem Gremium verhandelt, das vom Betriebsverfassungsgesetz nicht vorgesehen war. Verschiedene Betriebsräte hatten ein gesondertes Verhandlungsgremium, das im betrieblichen Sprachgebrauch „Gesamtbetriebsrat“ genannt wurde, gebildet. Dabei handelte es sich jedoch nicht um einen Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 1 BetrVG. Die von diesem Gremium verhandelte Betriebsvereinbarung über eine betriebliche Altersversorgung war damit keine wirksame Betriebsvereinbarung.

Hinweis für die Praxis:

Die Frage der Zuständigkeit wird in der Praxis oft übersehen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das zuständige Verhandlungsgremium festzustellen. Fehler führen unvermeidlich zur Unwirksamkeit der bestehenden Vereinbarungen. Insoweit sollte man sich vor Abschluss einer Betriebsvereinbarung vor allem in Unternehmen, in denen auch ein Gesamtbetriebsrat und/oder ein Konzernbetriebsrat gebildet ist, genau Klarheit über die Zuständigkeit verschaffen und diese Frage sorgfältig prüfen.

II. Umdeutung der Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es nicht ausgeschlossen, eine unwirksame Betriebsvereinbarung entsprechend § 140 BGB in eine vertragliche Einheitsregelung (sogenannte Gesamtzusage) umzudeuten. Eine solche Umdeutung kommt allerdings nur in Betracht, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, der Arbeitgeber habe sich unabhängig von der Betriebsvereinbarung auf jeden Fall verpflichten wollen, seinen Arbeitnehmern die vorgesehenen Leistungen zu gewähren. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der Arbeitgeber von einer Betriebsvereinbarung durch Kündigung jederzeit lösen kann, während eine Änderung der Arbeitsverträge, zu deren Inhalt eine Gesamtzusage wird, grundsätzlich nur einvernehmlich oder durch gerichtlich überprüfbare Änderungskündigung möglich ist. Ein hypothetischer Wille des Arbeitgebers, sich unabhängig von der Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung auf Dauer einzelvertraglich zu binden, kann daher nur in Ausnahmefällen angenommen werden.

III. Speziell: Leistungen der betrieblichen Altersversorgung

Für den hier zu besprechenden Fall hat das Bundesarbeitsgericht eine solche Ausnahme bejaht. Die als Betriebsvereinbarung unwirksame Regelung über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung stellte nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts eine wirksame Gesamtzusage dar. Dies hat das Bundesarbeitsgericht vor allem damit begründet, dass sich die Möglichkeiten des Arbeitgebers, sich von einer Gesamtzusage über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung einerseits und einer Betriebsvereinbarung über solche Leistungen andererseits zu lösen, nicht wesentlich unterscheiden. Der Arbeitgeber kann sich auch von seinen auf Betriebsvereinbarungen beruhenden Verpflichtungen auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts durch Kündigung der Betriebsvereinbarung nur unter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes lösen. Diese Grundsätze gelten aber für den speziellen Fall der betrieblichen Altersversorgung auch bei Gesamtzusagen, mit denen der Arbeitgeber – wie regelmäßig – Leistungen nach den jeweils bei ihm geltenden Versorgungsregelungen zusagt.

Fazit:

Eine unwirksame Betriebsvereinbarung kann in speziellen Fällen in eine Gesamtzusage umgedeutet werden. Für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung ist dies regelmäßig zu bejahen, da die Abänderungsmöglichkeiten nahezu identisch sind. In anderen Fällen ist dies aber regelmäßig gerade nicht der Fall. Insoweit bedarf es für andere Fälle – außerhalb der betrieblichen Altersversorgung – einer besonderen Begründung und eines besonderen Verpflichtungswillen des Arbeitgebers. Ist dieser nicht festzustellen, kommt eine Umdeutung nicht in Betracht.

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