20.10.2016 -

Viele Berufseinsteiger beginnen ihre Tätigkeit mit einem Praktikum. Dies führte vor einigen Jahren zu der Bezeichnung als „Generation Praktikum“, die in Wikipedia wie folgt beschrieben wird:

„Generation Praktikum steht seit den 1990er Jahren für ein von vielen als negativ empfundenes Lebensgefühl der jüngeren Generation, die vermeintlich zunehmend unbezahlten oder minderbezahlten Tätigkeiten in ungesicherten beruflichen Verhältnissen nachgehen müsse.“

Mit einem solchen Fall hatte sich nun das LAG Berlin-Brandenburg zu befassen:

Sachverhalt:

Die Beklagte ist Herausgeberin eines Lifestyle-Magazins im Print- und Onlinebereich. Die Klägerin ist Absolventin des Studiengangs „Modejournalismus“. Die Parteien streiten über eine Vergütung aus einem als „Praktikum“ bezeichneten Vertragsverhältnis.

Die Parteien hatten einen Vertrag über ein Praktikum für die Zeit vom 4. November 2013 bis 3. November 2014 abgeschlossen und hier insbesondere eine tägliche Ausbildungszeit von mindestens acht Stunden und eine monatliche Vergütung von 400,00 € vereinbart.

Die tatsächliche Beschäftigung erfolgte vom 4. November 2013 bis zum 3. September 2014.

Die Klägerin wurde mit dem Schreiben von kurzen Texten und Produktbeschreibungen, Redigieren von Texten des Ausbilders und der Gestaltung und Pflege des Internetauftritts und der Social Media-Auftritte der Beklagten sowie mit der Organisation von Fotoshootings beauftragt. Ihr Arbeitsplatz befand sich in einem Großraumbüro gegenüber der Chefredakteurin.

Mit der Klage machte die Klägerin nun die Differenz zwischen den gezahlten 400,00 € und der Vergütung einer Redakteurin in Anfangsstellung gemäß Entgelttarifvertrag geltend.

Zwischen den Parteien war streitig, inwiefern das Vertragsverhältnis einem Ausbildungszweck diente. Die Beklagte sah den Ausbildungszweck im Vordergrund und verwies darauf, dass die Klägerin ausschließlich unter Aufsicht und Schulung tätig geworden sei und keine vollwertige Arbeitskraft dargestellt habe, sie sei auch Berufseinsteigerin. Die Klägerin behauptete, sie sei wie eine Redakteurin in Anfangsstellung eingesetzt worden.

In erster Instanz wurde der Klage stattgegeben.

Hiergegen wendete sich die Beklagte mit ihrer Berufung und legte einen von ihr so bezeichneten „Ausbildungsplan“ für die Durchführung von Praktikumsverhältnissen vor.

Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg:

Das LAG Berlin-Brandenburg hat die Berufung zurückgewiesen und die Ansprüche der Klägerin bestätigt.

Der Vergütungsanspruch der Klägerin ergebe sich aus dem Vertrag i.V.m. §§ 611, 612 Abs. 2 i.V.m. §§ 134, 138 BGB.

Die ursprüngliche Vergütungsvereinbarung sei nichtig, da ein „wucherähnliches Geschäft“ vorliege. Es sei ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung erkennbar, wenn nicht einmal 2/3 der üblichen Vergütung gezahlt werde. Die übliche Vergütung bestimme sich vorliegend durch den einschlägigen Tarifvertrag. Die Klägerin habe monatlich 400,00 € erhalten. Nach dem Tarifvertrag hätten ihr etwa 3.000,00 € brutto monatlich zugestanden.

Das als Praktikum bezeichnete Vertragsverhältnis sei ein Arbeitsverhältnis gewesen, da nach der Definition des Bundesarbeitsgerichts und der nun geltenden Legaldefinition in § 22 Mindestlohngesetz (MiLoG) der Ausbildungszweck im Vordergrund stehen müsse. Diese Anforderung sei vorliegend nicht erfüllt. Das Erlernen praktischer Kenntnisse und Erfahrungen müsse deutlich überwiegen und es sei nicht als Praktikum anzusehen, wenn bereits fertige Absolventen zum Berufseinstieg in einem Unternehmen tätig und überwiegend mit üblichen Arbeitsaufgaben von Arbeitnehmern beschäftigt würden.

Der Vertrag enthalte zudem typische Arbeitnehmerpflichten mit der Vereinbarung einer täglichen Mindestanwesenheitszeit von acht Stunden, einer Pflicht zum Nachweis von Arbeitsunfähigkeiten, mit einer Vergütungs- und Urlaubsregelung.

Der von der Beklagten vorgelegte Ausbildungsplan sei nicht überzeugend, da sich aus diesem nicht die überwiegende Ausbildungsabsicht entnehmen lasse. Der Ausbildungsplan enthalte nur Schlagwörter und Allgemeinplätze und beispielsweise keine Systematik eines Durchlaufens der verschiedenen Abteilungen der Beklagten. Zudem spreche die beabsichtigte Vertragsdauer von einem Jahr gegen die Annahme eines Praktikums, da ein solches nur auf eine vorübergehende Zeit angelegt sei.

Ein Praktikum sei auch nicht durch die Studienordnung der Klägerin vorgegeben worden.

Die verwerfliche Gesinnung der Beklagten sei wegen des besonders groben Missverhältnisse zwischen Leistung und Gegenleistung zu vermuten. Die Geltendmachung der Vergütungsdifferenz durch die Klägerin erst nach Ablauf des Vertragsverhältnisses sei auch nicht treuwidrig, da sie durch ihr Verhalten keinen Vertrauenstatbestand geschaffen habe und es typisch für ein Scheinpraktikum sei, dass ein Praktikant während eines Praktikums keine höhere Vergütung verlange, sondern hoffe, dass ihm ein offizielles Arbeitsverhältnis angeboten werde.

Hinweise für die Praxis:

Arbeitgebern ist beim Abschluss von Praktikantenverträgen, die mit Bewerbern abgeschlossen werden, die ihre Ausbildung oder ihr Studium bereits beendet haben, zur Vorsicht zu raten, da die Gefahr besteht, dass das Vertragsverhältnis als Scheinpraktikum und damit als Arbeitsverhältnis bewertet und die „übliche Vergütung“ geschuldet wird.

Aus der Entscheidung des LAG lassen sich folgende Kriterien ableiten, die für die Annahme eines „echten“ Praktikums sprechen:

  • Der Ausbildungszweck steht deutlich im Vordergrund und es überwiegt im Gesamtbild der Tätigkeit das Erlernen praktischer Kenntnisse und Erfahrungen. Es sollte daher möglichst keine Vergleichbarkeit der Aufgaben mit denen der Angestellten bestehen.
  • Positiv bewertet wird das Vorliegen eines Ausbildungsplans, sofern dieser die konkreten Lernziele und das zweckgerichtete Durchlaufen einzelner Abteilungen enthält und dies entsprechend kommuniziert und dokumentiert wird.
  • Die Dauer sollte den Zeitraum eines Jahres deutlich unterschreiten, sofern nicht plausibel dargelegt werden kann, dass die gewählte Dauer für den Zweck der Ausbildung geboten ist.
  • Es sollten vertraglich keine Mindestanwesenheitspflicht und keine sonstigen üblichen Arbeitsvertragsklauseln (Nachweis der Arbeitsunfähigkeit durch Attest etc.) vereinbart werden.

Bei Beachtung dieser Kriterien wird das Risiko der Annahme eines Arbeitsverhältnisses reduziert. Eine Garantie lässt sich hieraus aber nicht ableiten.

Seit dem 1. Januar 2015 ist zudem die Mindestlohnpflicht bei Praktikumsverhältnissen zu berücksichtigen, sofern das Praktikum nicht ausnahmsweise aus dem Anwendungsbereich des MiLoG herausgenommen ist (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 4 MiLoG).

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