30.11.2016 -

Betriebsratsmitglieder dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden, § 78 S. 2 BetrVG. Dies beinhaltet insbesondere, dass Betriebsräte bei ihrer betrieblichen beruflichen Entwicklung nicht benachteiligt werden dürfen, § 37 Abs. 4 BetrVG. Das Bundesarbeitsgericht hatte nun zu entscheiden, welche Auskunftsansprüche einem Betriebsratsmitglied zur Sicherung dieses Anspruchs zustehen (BAG, Urteil v. 04.11.2015 – 7 AZR 972/13). Der zuständige 7. Senat hat dabei die wechselseitigen Interessen berücksichtigt, insbesondere die Verpflichtungen der Arbeitgeberseite angemessen begrenzt.

Der Fall:

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger als Betriebsratsmitglied unter Berücksichtigung der beruflichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer oder seines fiktiven beruflichen Werdegangs eine höhere Vergütung zusteht und ob ihm in diesem Zusammenhang von der Beklagten Auskünfte zu erteilen sind. Die beklagte Arbeitgeberin betreibt einen Internetversandhandel und beschäftigt in ihrem Betrieb etwa 3.500 Arbeitnehmer. Der klagende Arbeitnehmer wurde am 15. November 2000 als Teamleiter (Lead) eingestellt.

Er gehört seit dem Jahr 2006 dem Betriebsrat an, seit dem 22. April 2010 als freigestelltes Betriebsratsmitglied. Bis zu seiner Freistellung übte er die Tätigkeit eines Leads im Lager/Versand aus. Wie bei allen Leads richtet sich die Vergütung des Klägers nach der Vergütungsstufe „Level 3 hourly“. Dabei handelt es sich um die höchste Entgeltstufe im Bereich der gewerblichen Arbeitnehmer.

Im kaufmännischen Bereich verfügt die Beklagte über Stellen von Acting Area Managern (kommissarischen Abteilungsleitern) sowie von Area Managern (Abteilungsleitern). Die Tätigkeit als Acting Area Manager, die nach der Gehaltsstufe „Level 3 Salary + Zulage“ vergütet wird, dient der Erprobung für die Position des Area Managers. Ein Area Manager wird nach der Gehaltsstufe „Level 5 Salary“ vergütet. Es gibt weder einen Zeitaufstieg noch ein Bewährungsaufstieg. Der Kläger bewarb sich bisher auf keine dieser Stellen.

Der Kläger hat behauptet, die Entwicklung von Lead zum Acting Area Manager und anschließend zum Area Manager sei im Betrieb üblich. Es gebe bei der Beklagten eine strukturelle Beförderungspraxis. Deshalb stehe auch ihm als freigestelltem Betriebsratsmitglied nach § 37 Abs. 4 BetrVG ab 1. Januar 2013 die Vergütung eines Acting Area Managers zu. Ansonsten werde er wegen seines Betriebsratsamtes benachteiligt und gegenüber anderen Arbeitnehmern sachwidrig ungleich behandelt. Da ihm die in der Sphäre der Beklagten liegenden anspruchsbegründenden Umstände nicht bekannt seien, sei die Beklagte verpflichtet, ihm die zur Begründung seines Anspruchs erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Dazu gehöre auch die Angabe der vergleichbaren Arbeitnehmer.

Das Arbeitsgericht hat in 1. Instanz die Auskunftsklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Entscheidung (verkürzt):

Im Revisionsverfahren hat sich das Bundesarbeitsgericht den Entscheidungen der Vorinstanzen angeschlossen. Es bestehen weder Auskunftsansprüche noch ist ein Zahlungsanspruch begründet.

I. Schutz betriebsübliche berufliche Entwicklung

Nach § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Dies gilt nach § 37 Abs. 4 S. 2 BetrVG auch für allgemeine Zuwendungen des Arbeitgebers.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts soll § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG sicherstellen, dass Mitglieder des Betriebsrats weder in wirtschaftlicher noch in beruflicher Hinsicht gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung Nachteile erleiden. Eine Üblichkeit entsteht aufgrund gleichförmigen Verhaltens des Arbeitgebers und einer von ihm aufgestellten Regel. Da § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG das Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG konkretisiert, darf die Anwendung der Vorschrift auch nicht zu einer Begünstigung des Betriebsratsmitglieds gegenüber anderen Arbeitnehmern führen. Deshalb ist die Übertragung höherwertiger Tätigkeiten nur dann betriebsüblich, wenn diese dem Betriebsratsmitglied nach den betrieblichen Gepflogenheiten hätten übertragen werden müssen oder die Mehrzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen Aufstieg erreichen.

II. Schwierigkeiten des Betriebsratsmitglieds

Für das Betriebsratsmitglied als Anspruchsteller können nicht unerhebliche Schwierigkeiten bestehen, diese Anspruchsvoraussetzungen schlüssig darzulegen, weil es keinen vollständigen Überblick über die ihm vergleichbaren Arbeitnehmer und deren Gehaltsentwicklungen hat. Das Bestehen eines Anspruchs auf Gehaltsanpassung kann das Betriebsratsmitglied aber nur prüfen, wenn es Auskunft über die Gehaltsentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung erhält. Im Gegensatz zu dem betroffenen Mitglied des Betriebsrats kann der Arbeitgeber unschwer Auskunft über die Gehaltshöhe seiner Arbeitnehmer geben.

III. Darlegungslast

Das Betriebsratsmitglied hat zunächst unter Berücksichtigung der ihm zugänglichen Tatsachen vorzutragen, mit welchen Arbeitnehmern es aus seiner Sicht vergleichbar ist und aus welchen Umständen auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit zu schließen ist, dass die Mehrzahl der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer die behauptete Gehaltsentwicklung genommen hat. Verfügt das Betriebsratsmitglied etwa wegen der Größe des Betriebs und der Vielzahl vergleichbarer Arbeitnehmer nicht über ausreichende Erkenntnismöglichkeiten, kann es genügen, wenn das Betriebsratsmitglied Referenzfälle schlüssig darlegt, aus denen sich auf eine betriebsübliche Beförderungspraxis schließen lässt.

Hinweis für die Praxis:

Aber: Die abstrakte – gleichsam „ins Blaue“ zielende –  Behauptung einer Beförderungspraxis ohne jeden konkreten Beispielsfall genügt dazu jedoch nicht. Andernfalls würde die Darlegungs- und Beweislast verkehrt.

Fazit:

Diesen Anforderungen hat das Betriebsratsmitglied nicht genügt. Zunächst bestand keine allgemeine Beförderungspraxis vom Lead zum Acting Area Manager mit anschließendem Aufstieg zum Area Manager. Insbesondere war kein entsprechender Zeit- oder Bewährungsaufstieg vorgesehen. Der Arbeitnehmer konnte auch nicht zumindest exemplarisch darlegen, dass bei seiner Amtsübernahme im Jahre 2006 im Wesentlichen gleichqualifizierte Leads in der Folgezeit zu Acting Area Manager befördert wurden und dass daraus oder aus anderen Umständen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden konnte, dass es sich um eine betriebsübliche berufliche Entwicklung handelte.

Damit bestand kein Anspruch des Klägers auf Zahlung der durchschnittlichen Gehaltssteigerung der zum Acting Area Manager beförderten Leads. Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist in vollem Umfange zuzustimmen. Informationsdefizite des Betriebsratsmitglieds können im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast ausgeglichen werden. Dies führt aber nicht dazu, dass ohne jede Anhaltspunkte der Arbeitgeber zur Auskunft verpflichtet wäre. Damit wird Missbrauch ausgeschlossen.

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