13.12.2016 -

Während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitnehmer von der Erbringung der Arbeitsleistung befreit. Dies gilt vor allem für die Hauptleistungspflichten, also die Erbringung der vereinbarten Arbeitsleistung. Wie verhält es sich aber mit sonstigen Nebenpflichten? Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat dazu entschieden, dass grundsätzlich keine Verpflichtung besteht, während einer Arbeitsunfähigkeit an einem Personalgespräch teilzunehmen (LAG Nürnberg, Urteil v. 01.09.2015 – 7 Sa 592/14). Wir möchten die praxisrelevante Entscheidung vorstellen.

Der Fall:

Die klagende Arbeitnehmerin steht seit dem 2. Juli 2007 in einem Arbeitsverhältnis. Ab dem 20. März 2013 war sie arbeitsunfähig geschrieben. Die Arbeitsunfähigkeit dauerte bis 30. Juni 2013.

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis am 20. März 2013 ordentlich zum 31. Mai 2013.

Während der Arbeitsunfähigkeit ordnete der Arbeitgeber mehrfach ein Personalgespräch an, zunächst für den 30. April 2013, dann für den 2. Mai 2013 und schließlich für den 10. Mai 2013. Die Klägerin erschien zu allen drei Personalgesprächen nicht.

Daraufhin kündigte der Arbeitgeber nochmals das Arbeitsverhältnis am 14. Mai 2013 zum 31. Juli 2013.

Gegen beide Kündigungen erhob die Klägerin Klage vor dem Arbeitsgericht. Das Arbeitsgericht urteilte, dass weder die erste noch die zweite Kündigung das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufgelöst hätten.

Hiergegen legte der Arbeitgeber Berufung ein. Er stellte allerdings klar, dass er die erste Kündigung nicht weiter verfolge, sondern sich die Berufung nur noch gegen die Unwirksamkeit der zweiten Kündigung vom 14. Mai 2013 zum 31. Juli 2013 richte.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht Nürnberg klargestellt, dass die zweite Kündigung weiterhin unwirksam ist. Die Klägerin habe nicht gegen ihre Pflichten verstoßen, insbesondere nicht gegen die Verpflichtung, zu einem Personalgespräch zu erscheinen.

I. Weisungsrecht während Arbeitsunfähigkeit

Ist der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, kommen Weisungen bezüglich seiner Arbeitsleistung nicht in Betracht, da der erkrankte Arbeitnehmer von der Erbringung der Arbeitsleistung befreit ist.

Die Klägerin war unstreitig in der Zeit vom 20. März 2013 an arbeitsunfähig durchgehend erkrankt, insbesondere an den Tagen, an denen der Arbeitgeber ein Personalgespräch führen wollte. Es bestand daher keine Verpflichtung der Klägerin, an einem Personalgespräch teilzunehmen, das sich auf ihre Arbeitsleistung beziehen sollte. Dabei ist es unerheblich, ob die Klägerin aufgrund ihres Gesundheitszustandes in der Lage gewesen wäre, an dem von dem Arbeitgeber gewünschten Gespräch teilzunehmen. Sie war hierzu nicht verpflichtet. Eine teilweise Arbeitsunfähigkeit besteht nicht.

Hinweis für die Praxis:

Dies bezieht sich in jedem Fall auf die sogenannten Hauptleistungspflichten. Allerdings bestehen in einem Arbeitsverhältnis auch Nebenpflichten. Solange solche Nebenpflichten nicht dazu dienen, unmittelbar der geschuldeten Arbeitsleistung nachzukommen, sondern sich auf etwaige andere Nebenpflichten zu beziehen, können diese auch während einer Arbeitsunfähigkeit fortbestehen. So ist bspw. ein EDV-Administrator verpflichtet, während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit Auskünfte zu Passwörtern oder Zugangs-Codes zu geben, damit der Betrieb aufrecht erhalten bleibt. Um einen solchen speziellen Fall ging es hier aber nicht.

II. Fehlerhafte Ermessensausübung

Das Landesarbeitsgericht hat weiter klargestellt, dass der Arbeitgeber sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat. Selbst wenn die Klägerin grundsätzlich verpflichtet gewesen wäre, trotz ihrer Erkrankung an einem vom Arbeitgeber angeordneten Personalgespräch teilzunehmen, muss der Arbeitgeber sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen ausüben. So hat der Arbeitgeber bereits nicht vorgetragen, welches Interesse er daran hatte, während der Arbeitsunfähigkeit mit der Klägerin ein Personalgespräch zu führen. Insbesondere war nicht ersichtlich, welchen dringenden, unaufschiebbaren Gesprächsbedarf der Arbeitgeber hatte, insbesondere weshalb er nicht so lange warten konnte, bis die Arbeitnehmerin wieder arbeitsfähig war. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Arbeitsverhältnis von dem Arbeitgeber bereits zum 31. Mai 2013 gekündigt und hierüber ein Rechtsstreit zwischen den Parteien anhängig war.

Fazit:

Während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit sind Arbeitnehmer nicht verpflichtet, ihrer Arbeitsverpflichtung nachzukommen. Sie müssen daher grundsätzlich auch nicht an Personalgesprächen teilnehmen. Dies gilt vor allem dann, wenn sich die Personalgespräche auf die Hauptleistungspflichten beziehen sollen. Es kann allerdings Fälle geben, in denen die Nebenpflicht des Arbeitnehmers darin besteht, bestimmte Auskünfte an den Arbeitgeber zu erteilen. Dies kann aber nur im Einzelfall beurteilt werden. Gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg ist Revision beim Bundesarbeitsgericht eingelegt (2 AZR 855/15). Wir werden über die weitere Entwicklung in diesem Verfahren berichten.

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