29.12.2016 -

Über den Inhalt von Arbeitszeugnissen kommt es in der Praxis immer wieder zu Streit. Oftmals beruft sich der Arbeitgeber auf den Grundsatz der Zeugniswahrheit, der Arbeitnehmer hingegen auf das Verbot, sein weiteres Fortkommen ungerechtfertigt zu erschweren. Welcher Seite aber ist der Vorzug zu geben? Das Hessische Landesarbeitsgericht hatte in einer aktuellen Entscheidung darüber zu befinden, ob mehrjährige krankheitsbedingte Ausfallzeiten eines Arbeitnehmers in ein Arbeitszeugnis aufgenommen werden dürfen (LAG Hessen, Urteil v. 02.02.2015 – 16 Sa 1387/14).

Der Fall:

Der beklagte Arbeitgeber betreibt ein Internetunternehmen. Die mit einem GdB von 50 schwerbehinderte Klägerin war vom 1. Januar 2007 bis zum 15. März 2014 als Bilanzbuchhalterin bei dem Arbeitgeber beschäftigt. Seit dem 27. Juli 2009 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses war die Arbeitnehmerin durchgehend arbeitsunfähig krank.

Mit ihrer beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Arbeitnehmerin die ersatzlose Streichung des letzten Satzes des zweiten Absatzes ihres Arbeitszeugnisses begehrt, der lautete: „Während dieser Beschäftigungszeit war Frau R. vom 1. August 2008 bis heute arbeitsunfähig erkrankt.

Das Arbeitsgericht Offenbach hat in der 1. Instanz der Zeugnisberichtigungsklage stattgegeben, weil die Klägerin nicht bereits seit 1. August 2008, sondern erst seit dem 27. Juli 2009 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war.

Der Arbeitgeber ist der Auffassung, die lange, ununterbrochene, bis zum Ausscheiden der Arbeitnehmerin aus dem Arbeitsverhältnis andauernde Arbeitsunfähigkeit sei aus haftungsrechtlichen Gründen in dem Zeugnis anzugeben, da die Klägerin während dieser Zeit keine Berufserfahrung gewonnen habe. Sei damit die Angabe der krankheitsbedingten Fehlzeiten sachlich gerechtfertigt, liege auch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Klägerin wegen ihrer Schwerbehinderung vor.

Die Klägerin ist hingegen der Auffassung, die Angabe ihrer Krankheitszeit müsse ersatzlos aus dem Zeugnis gestrichen werden. Die Angabe der Krankheitszeit stelle eine offensichtliche Negativbewertung und Ungleichbehandlung wegen der bestehenden Schwerbehinderung dar, die nicht akzeptiert werden könne. Sie habe auch während der Zeit ihrer tatsächlichen Beschäftigung hinreichend Berufserfahrung gesammelt.

Im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht hat der Prozessbevollmächtigte des Arbeitgebers ein neues Zeugnis überreicht und den streitigen Absatz nunmehr wie folgt formuliert: „Während dieser Beschäftigungszeit war Frau R. vom 27. September 2009 bis zu ihrem Ausscheiden arbeitsunfähig erkrankt.“

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht Hessen hat klargestellt, dass der Klägerin kein Zeugnisberichtigungsanspruch zusteht.

I. Grundsatz der Zeugniswahrheit

Als Bewertungsgrundlage des Arbeitnehmers und Entscheidungsgrundlage für die Personalauswahl künftiger Arbeitgeber muss das Zeugnis inhaltlich wahr und zugleich von verständigem Wohlwollen gegenüber dem Arbeitnehmer getragen sein und darf dessen weiteres Fortkommen nicht ungerechtfertigt erschweren. Vom Arbeitgeber wird verlangt, dass er den Arbeitnehmer auf der Grundlage von Tatsachen beurteilt und, soweit dies möglich ist, ein objektives Bild über den Verlauf des Arbeitsverhältnisses vermittelt. Dabei ist der Grundsatz der Zeugniswahrheit zu beachten. Er erstreckt sich auf alle wesentlichen Tatsachen und Bewertungen, die für die Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers von Bedeutung sind und an deren Kenntnis ein künftiger Arbeitgeber ein berechtigtes und verständiges Interesse haben kann.

Hinweis für die Praxis:

Die Tätigkeiten des Arbeitnehmers sind in einem Zeugnis so vollständig und genau zu beschreiben, dass sich künftige Arbeitgeber ein klares Bild machen können. Insbesondere muss das Zeugnis ein objektives Bild über den Verlauf des Arbeitsverhältnisses vermitteln. Dabei darf Unwesentliches verschwiegen werden.

II. Erhebliche Ausfallzeiten im Zeugnis

Der Grundsatz der Zeugniswahrheit wird allerdings durch das Verbot ergänzt, das weitere Fortkommen des Arbeitnehmers nicht ungerechtfertigt zu erschweren. Erhebliche Ausfallzeiten eines Arbeitnehmers sind vom Arbeitgeber dann im Zeugnis zu dokumentieren, wenn andernfalls bei Dritten der falsche Eindruck erweckt würde, die Beurteilung des Arbeitnehmers beruhe auf einer der Dauer des rechtlichen Bestands des Arbeitsverhältnisses üblicherweise entsprechenden tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung. Sind die Ausfallzeiten aufgrund ihrer Dauer oder Lage für die Bewertungsgrundlage wesentlich, so gebietet es der Zweck des Zeugnisses, dass der beurteilende Arbeitgeber das Verhältnis zwischen dem Zeitraum der tatsächlichen Beschäftigung und dem des rechtlichen Bestands des Arbeitsverhältnisses klarstellt. Insbesondere darf nicht zum Ausdruck kommen, der beurteilende Arbeitnehmer habe eine die tatsächliche Dauer der Arbeitsleistung wesentlich übersteigende Berufserfahrung erworben.

Hinweis für die Praxis:

Neben der Dauer und zeitlichen Lage der Ausfallzeiten ist bei der Abwägung vor allem zu berücksichtigen, inwieweit dem Zeugnis Bedeutung in Bezug auf die Aussagen über die Berufserfahrung oder das Verhalten des Arbeitnehmers während des Arbeitsverhältnisses zukommt. Eine schematische Grenze zwischen wesentlichen Ausfallzeiten und solchen, die im Arbeitszeugnis als unwesentliche keine Erwähnung finden dürfen, kann nicht gezogen werden. Maßgeblich sind immer die Umstände des Einzelfalls.

Fazit:

Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand etwas über sieben Jahre. Davon erbrachte die Klägerin nur in den ersten zwei 3/4 Jahren eine Arbeitsleistung. Die Folgezeit, mehr als 4,5 Jahre, war sie ununterbrochen arbeitsunfähig krank. Die Dauer der Nichterbringung einer Arbeitsleistung übersteigt damit die Zeit, in der die Klägerin tatsächlich arbeitete, deutlich. Faktisch war das Arbeitsverhältnis außer Vollzug gesetzt. Hinzu kam, dass die Klägerin als Bilanzbuchhalterin arbeitete. Zur Ausübung dieser Tätigkeit ist ein aktuelles Fachwissen erforderlich, insbesondere eine genaue Kenntnis der sich nahezu jährlich ändernden steuerlichen Vorschriften. Würde die am Ende des Arbeitsverhältnisses liegende, ununterbrochene Fehlzeit der Klägerin von etwa 4,5 Jahren nicht im Zeugnis angegeben, entstünde beim Adressaten der Eindruck, sie verfüge über ein aktuelles und in der Praxis angewandtes Fachwissen, was so nicht zutrifft. Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist damit zuzustimmen. Die dargestellten Grundsätze lassen sich auch auf andere längere Ausfallzeiten übertragen, z.B. ein Sabbatical oder einen langen Sonderurlaub.

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