25.04.2017 -

Viele Tarifverträge und auch Arbeitsverträge sehen für die Geltendmachung von Ansprüchen die Beachtung von Ausschlussfristen vor. Ansprüche, die außerhalb dieser Fristen geltend gemacht werden, sind verfallen und können nicht mehr durchgesetzt werden. Das Bundesarbeitsgericht hat nun in einem Grundsatzurteil die Frage entschieden, ob eine Frist schon dann gewahrt ist, wenn zwar innerhalb der Frist eine Klage eingereicht, diese aber erst außerhalb der Frist zugestellt wird (BAG, Urteil v. 16.03.2016 – 4 AZR 421/15). Hier geht es im Kern um die Frage, ob die Spezialvorschrift des § 167 ZPO auch auf Ausschlussfristen Anwendung findet. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Frage verneint.

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer macht Differenzlohnansprüche für den Monat Juni 2013 in Höhe von 253,50 € brutto nebst Zinsen geltend.

Er ist als Angestellter im Außendienst mit Aufgaben im allgemeinen Ordnungsdienst bei dem beklagten Land Berlin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L).

Der Kläger hat beim zuständigen Arbeitsgericht Berlin am 18. Dezember 2013 eine Klage eingereicht und u.a. die Zahlung von Entgelt nach der Entgeltgruppe 9 TV-L verlangt. Bis zu diesem Zeitpunkt war er in Entgeltgruppe 8 TV-L eingruppiert. Die Klage ist dem beklagten Land erst am 7. Januar 2014 zugestellt worden.

Das beklagte Land hat die Verpflichtung zur Zahlung nach Entgeltgruppe 9 anerkannt, jedoch die Nachzahlungen rückwirkend nur bis 1. Juli 2013 geleistet und sich für den Monat Juni 2013 auf die sechsmonatige Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 S. 1 TV-L (sechsmonatige Ausschlussfrist) berufen.

Der Kläger hat dazu die Auffassung vertreten, er habe die Klage rechtzeitig im Dezember eingereicht und die sechsmonatige Ausschlussfrist auch für Juni 2013 sei damit gewahrt worden. Insbesondere beruft er sich auf die Spezialvorschrift des § 167 ZPO.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Zahlungsklage für den Monat Juni 2013 stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und den Zahlungsanspruch abgewiesen.

I. Tarifliche Ausschlussfristen

Tarifliche Ausschlussfristen sind seit jeher als dem Arbeitsverhältnis innewohnende Besonderheiten anerkannt. Sie dienen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit und sollen zu der im Arbeitsleben besonders gebotenen raschen Klärung von Ansprüchen und Bereinigung offener Streitpunkte führen. Sie haben damit einen Mahn-, Warn- und Verständigungseffekt. Mit ihrer Wirkung schaffen sie Rechtssicherheit und Rechtsfrieden. So soll insbesondere im Fall noch ausstehender nicht erkennbarer Entgeltansprüche der Arbeitgeber in der tariflich bestimmten Frist erfahren, ob und in welchem Umfang der Arbeitnehmer noch Forderungen erhebt. Der Arbeitgeber soll sich darauf verlassen können, nach Ablauf der tariflichen Verfallfristen nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Es ist damit der Zweck einer jeden tariflichen Ausschlussfrist zu erreichen, dass der Schuldner über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Forderung nicht länger als notwendig im Unklaren gelassen wird. Umgekehrt soll der Gläubiger angehalten werden, innerhalb kurzer Fristen die Begründetheit seiner Ansprüche zu prüfen. Die Parteien werden nach Fristablauf davon befreit, Rückstellungen zu bilden und Beweismittel vorzuhalten.

Hinweis für die Praxis:

Ausschlussfristen sind von Amts wegen zu beachten. Der Schuldner muss sich also nicht auf ihre Wirkung berufen, da es sich um eine rechtsvernichtende Einwendung handelt. Ein einmal entstandener Anspruch, der von einer Verfallklausel erfasst wird, geht mit dem ungenutzten Verstreichenlassen der Frist unter, ohne dass es einer weiteren Handlung des Schuldners bedarf.

II. Zugang maßgeblich

Maßgebender Zeitpunkt für die Wahrung der tariflichen Ausschlussfrist, hier § 37 Abs. 1 TV-L, ist der Zugang der schriftlichen Geltendmachung beim Arbeitsvertragspartner. Danach kommt es für die Feststellung des Zeitpunkts der Geltendmachung entsprechend § 130 BGB auf den Zugang beim Schuldner an. Es handelt sich um eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung.

Hinweis für die Praxis:

Ausschlussfristen können natürlich auch in Arbeitsverträgen vereinbart werden. Dabei ist darauf zu achten, dass seit dem 1. Oktober 2016 die Vereinbarung arbeitsvertraglicher Ausschlussfristen nur wirksam ist, wenn es sich um eine Formulierung handelt, wonach die Geltendmachung „in Textform“ erfolgt. Klauseln, die eine „schriftliche“ Geltendmachung erfordern, sind nach der neuen Gesetzeslage unwirksam. Wir werden hierzu in einem der nächsten Hefte noch ausführlich berichten.

III. Keine Anwendung von § 167 ZPO

Das Bundesarbeitsgericht hat mit ausführlicher Begründung eine Anwendung der Spezialvorschrift des § 167 ZPO auf Ausschlussfristen abgelehnt. Danach reicht für bestimmte Fristen bereits die Einreichung der Klage aus, um eine Frist zu wahren. Würde man diese Vorschrift daher auch auf den vorliegenden Fall anwenden, wäre die tarifliche Ausschlussfrist schon durch die Einreichung der Klage im Dezember gewahrt gewesen und der Kläger hätte Ansprüche für einen Monat früher geltend machen können. Stellt man hingegen erst auf die Zustellung der Klage ab, dies war im Januar 2014, würde die Ausschlussfrist den Monat Juni 2013 noch erfassen.  

Mit ausführlicher Begründung und Darstellung des bisherigen Streitstandes hat sich das Bundesarbeitsgericht nunmehr gegen eine Anwendung des § 167 ZPO auf tarifliche Ausschlussfristen ausgesprochen. Die Vorschrift findet damit keine Anwendung. Das Risiko der verspäteten Zustellung geht zu Lasten desjenigen, der die Geltendmachung erst durch Klagezustellung verfolgt. Das Bundesarbeitsgericht weist zu Recht darauf hin, dass es ohne weiteres möglich ist, Ansprüche unmittelbar gegenüber dem Vertragspartner geltend zu machen, durch einfaches Schreiben. Einer Klage bedarf es dazu nicht.

Fazit:

Die Vereinbarung von Ausschlussfristen in Tarifverträgen bzw. Arbeitsverträgen ist sinnvoll. Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Ansprüche sollten daher immer direkt gegenüber dem Schuldner geltend gemacht werden. Verzögerungen, die durch die Zustellung einer Klage entstehen, gehen zu Lasten des Gläubigers.

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