22.08.2017 -

Straftaten gegen das Vermögen des Arbeitgebers, z.B. Diebstahl oder Unterschlagung, können oftmals nur durch eine verdeckte Videoüberwachung aufgeklärt werden. Dem steht aber das grundgesetzlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer, insbesondere das Recht am eigenen Bild, entgegen. Die Arbeitsgerichte haben dieses Spannungsverhältnis zu bewerten und insbesondere zu entscheiden, ob hinsichtlich geheimer Videoaufnahmen ein Beweisverwertungsverbot besteht. Die Frage stellt sich auch im Hinblick auf eine etwaige nicht vorliegende Beteiligung des Betriebsrats. Das Bundesarbeitsgericht hat nun in einem gut begründeten Urteil seine Grundsätze hierzu präzisiert und klargestellt, dass nur in engen Ausnahmefällen ein Beweisverwertungsverbot angenommen werden kann (BAG, Urteil v. 22.09.2016 – 2 AZR 848/15).

Der Fall:

Der beklagte Arbeitgeber ist ein Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels. Die klagende Arbeitnehmerin war bei ihm seit November 1998 als stellvertretende Filialleiterin beschäftigt. Sie wurde überwiegend als Kassiererin eingesetzt.

Im Oktober 2013 stellte der Arbeitgeber hohe Inventurverluste in den Warengruppen Tabak/Zigaretten und „Nonfood“ in Höhe von mehr als des Zehnfachen im Verhältnis zur vorausgegangenen Inventur fest. Die Ergebnisse von daraufhin durchgeführten Recherchen ließen aus Sicht des Arbeitgebers nur den Schluss zu, dass der Verlust vom Personal zu verantworten sei. Weitere Kontroll- und Revisionsmaßnahmen sowie die Überprüfung der Mitarbeiter durch Taschenkontrollen führten nicht zur Aufklärung.

Der Arbeitgeber beantragte daraufhin beim Betriebsrat die Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung im Kassenbereich. Der Betriebsrat stimmte der Videoüberwachung zu.

Einer Videosequenz der verdeckten Überwachung des Kassenbereichs war daraufhin zu entnehmen, dass die Klägerin eine dort befindliche „Musterpfandflasche“ über den Scanner gezogen, eine Leergutregistrierung durchgeführt, die Kassenlade geöffnet und Geld aus der Kassenlade genommen hatte, welches sie zunächst im Kassenbereich abgelehnt und zu einem späteren Zeitpunkt in ihre Tasche gesteckt hatte. Der von ihr erstellte Kassenbon wies eine Pfandbarauszahlung in Höhe von 3,25 € für 13 Pfandflaschen aus.

Der Betriebsrat stimmte dem Antrag des Arbeitgebers auf Ausspruch einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Verdachts- bzw. Tatkündigung zu.

Die Klägerin verteidigte sich mit der fristgerecht eingereichten Kündigungsschutzklage und insbesondere mit dem Argument, sie habe am fraglichen Tag bereits beim Betreten der Filiale vormittags Leergut in die Pfandbox eingeworfen. Darauf habe sich der Vorgang gegen Mittag im Kassenbereich desselben Tages bezogen.

Der Arbeitgeber hat hingegen darauf hingewiesen, die Klägerin habe einen regulären Kassiervorgang manipuliert, um sich auf diese Weise persönlich zu bereichern.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie hingegen im Berufungsverfahren abgewiesen.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts und die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung bestätigt.

I. Manipulation eines Kassenvorgangs

Die Manipulation eines Kassenvorgangs begründet einen wichtigen Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Verschafft sich ein Arbeitnehmer vorsätzlich auf Kosten des Arbeitgebers einen ihm nicht zustehenden Vermögensvorteil, verletzt er erheblich seine Pflicht zur Rücksichtnahme. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen daher typischerweise als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Dies gilt unabhängig von der Höhe eines dem Arbeitgeber durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens. Maßgebend ist vielmehr der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch.

Hinweis für die Praxis:

Zu erinnern ist hier an den sogenannten Emmely-Fall des Bundesarbeitsgerichts. Auch dort wurde einer langjährigen Kassiererin fristlos gekündigt. Damals hatte das Bundesarbeitsgericht die Kündigung wegen des langjährig erworbenen Vertrauens für unwirksam erachtet. Im vorliegenden Fall wurde jedoch anders entschieden. Das Bundesarbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die Arbeitnehmerin bewusst heimlich und durch eine gezielte Manipulation der Kassenvorgänge auf Kosten des Arbeitgebers bereichert habe. Der dadurch bewirkte Vertrauensbruch wiegt bei einer stellvertretenden Filialleiterin besonders schwer. Der Arbeitgeber muss bei einer Arbeitnehmerin in dieser Position von uneingeschränkter Vertrauenswürdigkeit bei der Tätigkeit, insbesondere bei der Bedienung der Kasse, ausgehen können.

II. Beweisverwertung wegen verdeckter Videoüberwachung?

Sehr ausführlich hat sich das Bundesarbeitsgericht mit der Frage eines Beweisverwertungsverbotes befasst und dieses im Ergebnis abgelehnt. Ein solches Beweisverwertungsverbot bedarf einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage. Ein gesetzliches Beweisverwertungsverbot existiert aber weder in der Zivilprozessordnung, noch im Arbeitsgerichtsgesetz oder im Betriebsverfassungsgesetz. Auch die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes begrenzen nicht die Zulässigkeit von Parteivorbringen und seiner Verwertung im Verfahren vor den Arbeitsgerichten.

Ausnahmsweise kann ein Beweisverwertungsverbot oder ein Verbot, selbst unstreitigen Sachvortrag zu verwerten, nur dann in Betracht kommen, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position zwingend geboten ist. Das Arbeitsgericht hat deshalb stets zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist.

Das Bundesarbeitsgericht hat nach sorgfältiger Prüfung einen solchen Eingriff hier abgelehnt. Zwar greift eine verdeckte Videoüberwachung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmerin ein. Der Eingriff ist aber aufgrund überwiegender Interessen des Arbeitgebers nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts gerechtfertigt.

Hinweis für die Praxis:

Es galt hier vor allem deshalb, weil alle milderen Maßnahmen vorher ausgeschöpft worden waren. Dem Arbeitgeber blieb zur Aufklärung nur noch die verdeckte Videoüberwachung übrig. Der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat sogar ergänzend darauf hingewiesen, dass ein Beweisverwertungsverbot selbst dann nicht bestanden hätte, wenn der Betriebsrat bei der Auswertung der Videosequenz nicht beteiligt gewesen wäre.

Fazit:

Die verdeckte Videoüberwachung ist zur Aufklärung von Manipulationen im Kassenbereich zulässig. Zwar wird damit das allgemeine Persönlichkeitsrecht bzw. das Recht am eigenen Bild der betroffenen Arbeitnehmer beeinträchtigt. Dies führt aber nicht zu einem umfassenden Beweisverwertungsverbot der Videoaufnahmen im arbeitsgerichtlichen Prozess. Auch die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes begrenzen die Beweisverwertung im Kündigungsschutzprozess nicht. Notwendig ist aber stets ein konkreter Tatverdacht. Auch dürfen keine milderen Mittel zur Verfügung stehen, um den Sachverhalt aufzuklären. Erst nach Ausschöpfung aller sonstigen (milderen) Aufklärungsmaßnahmen darf zu dem Mittel der verdeckten Videoüberwachung gegriffen werden. Diese Voraussetzungen müssen vom Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess nachgewiesen werden können.

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