18.10.2017 -

In der Praxis kommt es immer wieder zu Streit darüber, ob die Voraussetzungen für einen Betriebsübergang vorliegen oder nicht. Für die betroffenen Arbeitnehmer hat dies weitreichende Auswirkungen. Im Falle eines Betriebsübergangs wird der bisherige Besitzstand umfassend gewahrt. Liegt kein Betriebsübergang vor, darf der neue Betriebsinhaber die Arbeitsbedingungen durch den Neuabschluss von Arbeitsverträgen ändern. Das Bundesarbeitsgericht hat bei der Rechtsprechung hierzu in einer aktuellen Entscheidung weiter präzisiert (BAG v. 25.8.2016, 8 AZR 53/15). Die Entscheidung befasst sich zwar mit dem speziellen Fall der Übernahme eines Rettungsdienstes, ist aber auch darüber hinaus von allgemeiner Bedeutung und soll daher hier besprochen werden.

Der Fall:
Der beklagte kommunale Arbeitgeber hat von einem von der Evangelischen Kirche betriebenen Verein die Betreibung des Rettungsdienstes übernommen. Der Verein hat mehrere Rettungswachen hierzu unterhalten und beschäftigte insgesamt 41 Arbeitnehmer. Der Rettungsdienst wurde von dem Verein von fünf Rettungstransportwagen, einem Krankentransportwagen und einem Notarzteinsatzfahrzeug betrieben.

Die klagende Arbeitnehmerin war seit 2001 bei dem Verein als Rettungsassistentin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis richtete sich nach den Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR).

Der beklagte kommunale Arbeitgeber entschloss sich Ende 2010, den Rettungsdienst ab 1. Juni 2011 selbst durchzuführen. Er kündigte daraufhin alle Unter/-Mietverhältnisse mit dem Verein über die Rettungswachen. Anfang 2011 erteilte er dann einen Auftrag für die Lieferung und den Ausbau von Neufahrzeugen für den Betrieb der Rettungswachen mit zum Teil veränderter medizintechnischer Ausstattung und zwar für fünf Rettungstransportwagen, einem Krankentransportwagen und einem Notarzteinsatzfahrzeug.

Der kommunale Arbeitgeber hatte sich weiter entschlossen, den für den Betrieb der Rettungswachen ab 1. Juni 2011 erforderlichen Personalbedarf durch Neueinstellungen abzudecken und hatte zu diesem Zweck bundesweit Stellen von Rettungsassistenten und Rettungssanitätern ausgeschrieben. Da er beabsichtigte, den Rettungsdienst in einem Zwei-Schicht-Modell mit einer 40-Stunden-Woche zu betreiben, suchte er insgesamt mehr als 50 Beschäftigte. Auf die Stellenausschreibung gingen bei dem Beklagten etwa 70 Bewerbungen ein. Hieraus wählte er in einem Auswahlverfahren mehr als 50 Bewerber aus, darunter alle zuvor bei dem Verein beschäftigten 41 Mitarbeiter.

Mit diesen 41 Arbeitnehmern wurden neue Arbeitsverträge abgeschlossen. Die Vordienstzeiten bei dem Verein wurden nicht anerkennt, vielmehr wurde mit allen Mitarbeitern eine neue Probezeit vereinbart.

Der beklagte Arbeitgeber übernahm von dem Verein das Inventar in den Rettungswachen und zahlte dafür insgesamt 10.000,00 €. Die Rettungsfahrzeuge übernahm er nicht.

Die klagende Arbeitnehmerin hat Feststellung beantragt, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten zu den Arbeitsbedingungen des Vereins (AVR) in Folge eines Betriebsübergangs weiter fortbesteht.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie hingegen abgewiesen.

Die Entscheidung:
Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht den Betriebsübergang – wie das Landesarbeitsgericht – verneint.

I. Definition Betriebsübergang
Ein Betriebs(teil)übergang im Sinne von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB liegt vor, wenn die für den Betrieb verantwortliche natürliche oder juristische Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt und die in Rede stehende Einheit nach der Übernahme durch den neuen Inhaber ihre Identität bewahrt.

Dabei muss es sich um eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit handeln, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist. Entscheidend für den Übergang nach § 613a BGB ist daher, dass die betreffende Einheit ihre Identität bewahrt, was namentlich dann zu bejahen ist, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wiederaufgenommen wird.

II. Maßgebende Kriterien
Den für das Vorliegen eines Betriebsübergangs maßgebenden Kriterien kommt je nach Art des betroffenen Unternehmens oder Betriebs, je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- oder Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit ihre Identität bewahrt, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören namentlich

– die Art des Unternehmens oder Betriebs,

– der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter,

– der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs,

– die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber,

– der etwaige Übergang der Kundschaft sowie

– der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten.

Hinweis für die Praxis:
Diese Umstände sind jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmen Gesamtbewertung und dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden.

III. Reine Übernahme von Arbeitnehmern
Kommt es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft an, kann eine strukturierte Gesamtheit von Arbeitnehmern trotz des Fehlens nennenswerter materieller oder immaterieller Vermögenswerte eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Dies gilt in sogenannten betriebsmittelarmen Betrieben. Funktioniert eine Einheit ohne nennenswerte Vermögenswerte, kann die Wahrung ihrer Identität nach ihrer Übernahme nicht von der Übernahme derartiger Vermögenswerte abhängen. Die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ist in einem solchen Fall anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt.

Hinweis für die Praxis:
Ein Betriebsübergang kommt in solchen Fällen in betriebsmittelarmen Betrieben zu Stande, wenn der Betriebserwerber die überwiegende Anzahl der Arbeitnehmer weiterbeschäftigt. Dies ist vor allem im Reinigungsgewerbe der Fall. Dort wird der Betrieb durch die menschliche Arbeitskraft geprägt und nicht durch Sachmittel.

IV. Betriebsmittelgeprägte Betriebe
Kommt es hingegen nicht im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft an, da die Tätigkeit bspw. in erheblichem Umfang materielle Betriebsmittel erfordert, ist bei der Würdigung zu berücksichtigen, ob diese vom alten auf den neuen Inhaber übergegangen sind. Der Übergang materieller Betriebsmittel kann dann ein wesentliches Kriterium sein, aufgrund dessen ein Betriebsübergang anzunehmen ist.

Das Bundesarbeitsgericht hat im vorliegenden Fall den Rettungsfahrzeugen identitätsbestimmende Wirkung zugesprochen. Die Rettungsfahrzeuge sind nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts für die wirtschaftliche Einheit „Rettungsdienst“ unverzichtbar. Die insgesamt sieben Fahrzeuge wurden gerade nicht übernommen. Da es sich aber nicht um einen betriebsmittelarmen Betrieb handelte, konnte die Übernahme der 41 Rettungssanitäter allein nicht ausreichend sein. Im Rettungsdienst kommt es nicht „im Wesentlichen“ auf die menschliche Arbeitskraft an. Das Bundesarbeitsgericht hat damit einen Betriebsübergang abgelehnt.

Fazit:
Die Entscheidung überrascht. Der Rettungsdienst kann natürlich nur mit Rettungsdienstwagen betrieben werden. Dennoch sind auch die Rettungssanitäter unverzichtbar, um die Rettungsfahrzeuge und die darin befindliche Medizintechnik zu bedienen. Die Rettungsfahrzeuge sind damit ein zwar unverzichtbares Betriebsmittel, aber leicht zu ersetzen. Das Bundesarbeitsgericht spricht also bestimmten Betriebsmitteln eine „identitätsbestimmende“ Bedeutung zu. Werden diese wichtigen Betriebsmittel nicht übernommen, führt selbst die Übernahme des gesamten Personals nicht zu einem Betriebsübergang. Bei der Risikobetrachtung im Falle einer Betriebsübernahme ist dieser wichtige Aspekt besonders zu beachten.

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