13.11.2017 -

Eine fristlose Kündigung kann ausnahmsweise auch als Verdachtskündigung ausgesprochen werden. Allerdings besteht bei einer Verdachtskündigung in besonderem Maße die Gefahr, dass ein Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Die Rechtsprechung fordert daher starke Verdachtsmomente. Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte sich nun in einem aktuellen Beschluss mit der interessanten Frage zu befassen, welche Anforderungen an den Verdachtsgrad zu stellen sind (LAG Hamm v. 30.8.2016, 7 TaBV 45/16).

Der Fall:
Die klagende Arbeitgeberin betreibt als Wohlfahrtsverband insgesamt 59 Seniorenzentren.

In einem dieser Seniorenzentren wurde in das Postfach der Wohnbereichsleiterin eine Trauerkarte eingelegt, die mit einem schwarzen Trauerflor versehen war, mit den außen aufgedrucken Worten „in stiller Trauer“ sowie mit den handschriftlichen Eintragungen „für Dich (bist die nächste)“.

In diesem Seniorenzentrum sind ca. 150 Mitarbeiter beschäftigt. Es besteht ein Betriebsrat.

Der Betriebsrat nahm diesen Vorfall zum Anlass, die Trauerkarte innerbetrieblich mit einem Aushang als Mobbing und untragbares Verhalten zu werten. Ein Aufruf der Arbeitgeberin, der Verfasser der Karte möge sich bei der Einrichtungsleitung melden, blieb ohne Erfolg.

Im Januar 2015 erhielt die Wohnbereichsleiterin eine weitere Trauerkarte, die an das Seniorenzentrum zu ihren Händen gerichtet war. Einen Text enthielt die Karte diesmal nicht. Der Umschlag war mit schwarzen Trauerbändern versehen. Die Wohnbereichsleitung sprach daraufhin eine Eigenkündigung aus.

Im Anschluss beauftragte die Arbeitgeberin einen Sachverständigen für forensische Schriftuntersuchung. Der Gutachter erhielt von der Arbeitgeberin verschiedene Schriftproben, z.B. Handschriften in Pflegedokumenten, von denen die Arbeitgeberin ausging, sie würden überhaupt für eine Urheberschaft in Betracht kommen. Darunter waren auch Schriftstücke eines Betriebsratsmitglieds.

Das Gutachten wurde unter dem 12. August 2015 erstellt. Der Gutachter stellt klar, dass die Schrift auf der Trauerkarte „mit hoher Wahrscheinlichkeit von ein und demselben Schreiber“ stammte, von dem die Schriftproben vorgelegt wurden, nämlich von dem Betriebsratsmitglied. Dabei wies der Gutachter darauf hin, dass es oberhalb der Kategorie „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ noch die Kategorien „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ und „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ gebe.

Die Arbeitgeberin bat daraufhin das Betriebsratsmitglied zu einem persönlichen Gespräch mit dem Hinweis „es liegen Vorwürfe gegen Sie vor, zu denen wir Sie persönlich befragen wollen.“

Die Betriebsrätin antwortete, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt im Urlaub befinde. Die Arbeitgeberin erbat daraufhin eine schriftliche Antwort. Sie wies auf die Trauerkarte hin und stellte die Frage, ob diese Trauerkarte von ihr stamme und ob sie eine weitere Trauerkarte an die Wohnbereichsleiterin verschickt habe. Sämtliche Fragen beantwortete das Betriebsratsmitglied mit „nein“.

Wegen der Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen beantragte daraufhin die Arbeitgeberin die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Betriebsrätin. Die Zustimmung wurde dort am 11. September 2015 fristgerecht erteilt. Der Betriebsrat verweigert hingegen die Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung.

Daraufhin wurde ein Beschlussverfahren am 14. September 2015 mit dem Antrag auf Ersetzung der verweigerten Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung eingeleitet.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen.

Die Entscheidung:
Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht Hamm den Antrag ebenfalls zurückgewiesen und die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

I. Fristen
Die Einhaltung der Fristen im Rahmen eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 BetrVG ist von großer Bedeutung. Kleine Fehler können hier zu einem Rechtsverlust führen. Das Zustimmungsersetzungsverfahren ist selbst für erfahrene Arbeitsrechtler mit erheblichen Fallstricken, Unwägbarkeiten und Risiken verbunden. Auf die besondere Fristenüberwachung ist daher größtmögliche Sorgfalt zu legen[1].

Nach der Zustimmung durch das Integrationsamt unter dem 11. September 2015 (Freitag) wurde unverzüglich der Antrag auf Zustimmungsersetzung beim zuständigen Arbeitsgericht am 14. September 2015 (Montag) eingeleitet. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass eine unverzügliche Einleitung des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens nach Erteilung der Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch das Integrationsamt notwendig ist, hingewiesen und die unverzügliche Einleitung zutreffend bejaht.

Hinweis für die Praxis:
Im Anschluss an die Zustimmungserteilung sollten möglichst alle fristwahrenden weiteren Handlungen unverzüglich schon am Folgetag eingeleitet werden, sofern es sich nicht, wie hier, um ein Wochenende handelt.

II. Fristlose Verdachtskündigung
Eine fristlose Kündigung kann auch auf einen dringenden Tatverdacht gestützt werden. Eine solche fristlose Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, diese Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und die Arbeitgeberin alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat.

Aber: Ein solcher Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein und dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Verdacht zutrifft. Bloße Vermutungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus. Die geforderten starken Verdachtsmomente liegen daher nur dann vor, wenn aufgrund der ihnen zugrunde liegenden objektiven Tatsachen eine Täterschaft des Arbeitnehmers nahezu gewiss ist. Hierzu muss eine Tatbegehung durch andere Personen (nahezu) ausgeschlossen sein.

Hier stützte sich der Verdacht der Arbeitgeberin auf das Schriftsachverständigengutachten. Allerdings endet dieses Gutachten innerhalb der vom Sachverständigen selbst angegebenen Skala mit einem Ergebnis auf der dritten Stufe „mit hoher Wahrscheinlichkeit“. Allein aus der „hohen Wahrscheinlichkeit“ lässt sich aber kein dringender Tatverdacht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ableiten. Insbesondere kann das Instrument der Verdachtskündigung nicht dazu herhalten, um trotz des nicht eindeutigen Ergebnisses eines Gutachtens dann – anstelle einer Tatkündigung – eine Verdachtskündigung zu rechtfertigen. Die Verdachtskündigung ist ein subsidiäres Institut, das der Beweisnot des Arbeitgebers Rechnung tragen soll.

Hinweis für die Praxis:
Die Anforderungen an den Verdachtsgrad sind damit sehr hoch. Nur der dringende Tatverdacht begründet die Verdachtskündigung. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus. Vorliegend wäre der Arbeitgeberin zu empfehlen gewesen, weitere Schriftproblem vorzulegen und auch, worauf das Landesarbeitsgericht hingewiesen hat, nicht nur Schriftproben eines Teils der Belegschaft auszuwählen, sondern dem Sachverständigen Schriftproben aller Mitarbeiter vorzulegen. Hätte man feststellen können, dass nur ein Mitarbeiter eine ähnliche Schrift aufweist, hätte dies den Grad der Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht.

Fazit:
Die Anforderungen an eine wirksame Verdachtskündigung und insbesondere an den Verdachtsgrad sind sehr hoch. Hierauf ist bei der Beweisermittlung große Sorgfalt zu verwenden. Zudem muss der Mitarbeiter vor Ausspruch einer Verdachtskündigung zwingend angehört werden. Andernfalls ist eine Verdachtskündigung schon wegen fehlender vorheriger Anhörung unwirksam. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts macht zudem deutlich, dass Sachverständigengutachten nicht unreflektiert übernommen werden können, sondern kritisch zu hinterfragen sind. Nur so können Rechtsverluste vermieden werden.

[1] Vgl. dazu im Einzelnen Nicolai Besgen, Besonderheiten des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 BetrVG, NZA 2011, 133 ff.

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