11.09.2003 -

 

 

Mit seinem Urteil vom 18. Februar 2003 hat sich das Bundesarbeitsgericht mit der äußerst aktuellen Frage der Anrechnung von Bereitschaftsdienst auf die Arbeitszeit befasst (Beschl. v. 18. 2. 2003 – 1 ABR 2/02 -). Im Wesentlichen hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahre 2000 im Zusammenhang mit dem Bereitschaftsdienst spanischer Ärzte bestätigt (EuGH, Urt. v. 3. 10. 2001 – C-303/98 -, NZA 2000, S. 1227). Dennoch ist die Hoffnung vieler deutscher Ärzte auf ein unmittelbar bestätigendes Urteil des BAG enttäuscht worden. Zu einer Änderung des Arbeitszeitgesetzes sei nur der Gesetzgeber befugt und nicht die Arbeitsgerichtsbarkeit.

 

Der EuGH hat mit Urteil vom 9. September 2003 ebenfalls entschieden, dass der Bereitschaftsdienst von Ärzten in vollem Umfang als Arbeitszeit anzuerkennen ist . Das Urteil des BAG hat damit an Bedeutung verloren, denn der EuGH hat den Gesetzgeber zu schnellem Handeln aufgefordert und mit einer Änderung des Arbeitszeitgesetzes ist nun in kurzer Zeit zu rechnen (EuGH, Urt. v. 9. 9. 2003 – C.151/02, zur Veröffentlichung vorgesehen; kann im Internet auf der homepage des EuGH abgerufen werden http://curia.eu.int/de/index.htm).

 

Der Fall des BAG (verkürzt):

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall ging es um einen Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Dieser betreibt im Landkreis Rottweil den Rettungsdienst. Mit dem Betriebsrat wurde im Jahre 1996 eine Betriebsvereinbarung vereinbart, in der Arbeitszeiten vorgesehen sind, die sich unter Einbeziehung von Bereitschaftsdienst auf mehr als 48 Stunden in der Woche belaufen.

 

Der Betriebsrat machte geltend, die Betriebsvereinbarung sei wegen der Wochenarbeitszeit von mehr als 48 Stunden und des damit vernbundenen Verstoßes gegen das Arbeitszeitgesetz unwirksam.

 

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben.

 

Der Fall des EuGH (verkürzt):

In dem vom EuGH zu entscheidenden Fall ist der Kläger Arzt an einem Kieler Krankenhaus. Er leistet dort im Monat sechs Bereitschaftsdienste mit einer monatlichen Gesamtdauer von 114 Stunden. Während der Bereitschaftsdienste hält er sich in der Klinik auf. Ihm steht ein Zimmer zur Verfügung, in dem er sich zwischen seinen Einsätzen ausruhen oder schlafen kann.

 

Der Arzt machte geltend, dass es sich bei dem im Krankenhaus geleisteten Bereitschaftsdienst um Arbeitszeit handele. Die beklagte Krankenhausträgerin vertrat demgegenüber die Auffassung, dass die Zeiten des Bereitschaftsdienstes, in denen die Ärzte keine Tätigkeit ausübten, als Ruhezeiten anzusehen seien.

 

Das mit der Klage befasste LAG Schleswig-Holstein setzte den Rechtsstreit aus und legte dem EuGH die Frage vor, ob Bereitschaftsdienste von Klinikärzten in vollem Umfang als Arbeitszeit gelten, wenn die Ärzten zwischen den Einsätzen im Krankenhaus schlafen können.

 

Die Entscheidung des BAG:

Die Sprungrechtsbeschwerde des Arbeitgebers beim Bundesarbeitsgericht hatte Erfolg.

 

I. Höchstzulässige wöchentliche Arbeitszeit

Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf nach § 3 Satz 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) 8 Stunden nicht überschreiten. Die höchstzulässige wöchentliche Arbeitszeit ist damit auf 48 Stunden begrenzt. Zwar darf die werktägliche Arbeitszeit nach § 3 Satz 2 ArbZG auf bis zu 10 Stunden verlängert werden. Dies gilt aber nur dann, wenn innerhalb von 6 Kalendermonaten oder 24 Wochen der Durchschnitt von 8 Stunden werktäglich nicht überschritten wird.

 

Diesen Anforderungen trug die Betriebsvereinbarung keine Rechnung.

 

II. Bereitschaftsdienst keine Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes

Zeiten des Bereitschaftsdienstes zählen nach herkömmlicher Auffassung nicht als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes. Arbeitszeit ist innerhalb des Bereitschaftsdienstes nur die Zeit, während derer der Arbeitnehmer tatsächlich zur Arbeit herangezogen wird.

 

Legt man dieses Verständnis vorliegend zugrunde, ist die durch Bereitschaftsdienst bedingte Anwesenheit im Betrieb im Umfang von mehr als 48 Wochenstunden keine Arbeitszeit und stellt damit auch keine Verletzung der Höchstarbeitszeitgrenzen des § 3 ArbZG dar.

 

III. Wirkung der EuGH-Entscheidung

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem wichtigen Urteil vom 3. Oktober 2000 (die so genannte SIMAP-Entscheidung), ausdrücklich bestätigt 2), dass Bereitschaftsdienst, während dessen die Arbeitnehmer in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers anwesend sein müssen, in vollem zeitlichen Umfange Arbeitszeit im Sinne der EG-Arbeitszeitrichtlinie 93/104 ist. In diesem EuGH-Urteil ging es um den Bereitschaftsdienst Spanischer Ärzte. Der EuGH hat ausdrücklich nicht auf nationale oder berufsspezifische Besonderheiten abgestellt. Die Entscheidung des EuGH ist damit auf andere Berufsgruppen und auf alle Mitgliedsstaaten übertragbar. Das BAG hat dies in seinem Urteil ausdrücklich bestätigt.

 

Nach Auffassung des BAG genügt das deutsche Arbeitszeitgesetz den Anforderungen der EG-Arbeitszeitrichtlinie nicht. Nach dem Arbeitszeitgesetz werden nämlich Zeiten des Bereitschaftsdienstes, in denen der Arbeitnehmer nicht tatsächlich arbeitet, der Ruhezeit zugeordnet.

 

IV. Aber: Umsetzung nur durch den Gesetzgeber

Das Bundesarbeitsgericht sieht sich aber gehindert, Bereitschaftsdienst nunmehr wegen der eindeutigen EuGH-Entscheidung als Arbeitszeit anzusehen. Die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes hätten damit teilweise keinen Anwendungsbereich mehr. Letztlich gehe es auch nicht mehr um die Auslegung des Gesetzes, sondern um dessen Aufhebung. Die Aufhebung von Gesetzen ist aber den Gerichten verwehrt.

 

Damit ist die gesetzliche Regelung zwischen privaten Arbeitsvertragsparteien solange weiter anzuwenden, bis der Gesetzgeber, der zur Umsetzung der EG-Arbeitszeitrichtlinie verpflichtet ist, reagiert hat. Diese Umsetzung kann jedoch nicht von den Arbeitsgerichten vorgenommen bzw. ersetzt werden.

 

Die Entscheidung des EuGH:

Der EuGH bejahte die Vorlagefrage.

Der von dem Arzt abgeleistete Bereitschaftsdienst ist als Arbeitszeit anzuerkennen. Ausschlaggebend ist allein, dass sich der Kläger an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen muss. Aus diesem Grund kann er seinen Aufenthaltsort während des Bereitschaftsdienstes nicht frei bestimmen. Der Dienst ist daher als Bestandteil der Wahrnehmung seiner Aufgaben anzusehen.

 

Dem steht auch nicht entgegen, dass der Arbeitgeber den Ärzten einen Ruheraum zur Verfügung stellt. Der Arzt unterliegt hier erheblich stärkeren Einschränkungen als dies beispielsweise bei einem Arzt in Rufbereitschaft der Fall ist. Während des Bereitschaftsdienstes befindet sich der Arzt außerhalb seines familiären und sozialen Umfelds und kann über seine Zeit nicht frei verfügen. Daher kann nicht von einer Ruhezeit ausgegangen werden.

 

Hinweis für die Praxis:

Das Urteile haben nunmehr die strittige Rechtsfrage für das nationale Recht abschließend geklärt. Bereitschaftsdienst von Ärzten ist Arbeitszeit. Nunmehr ist der Gesetzgeber zur Korrektur dieses europarechtswidrigen Zustandes gefordert. Über die weitere Entwicklung werden wir zeitnah berichten.

  

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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