01.11.2003 -

Das Institut der so genannten betrieblichen Übung hat im Arbeitsrecht vielfältige Wirkungen. Werden bestimmte Leistungen des Arbeitgebers regelmäßig wiederholt, können dadurch dauerhafte Ansprüche der Arbeitnehmer entstehen. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich nun mit der Frage zu beschäftigen, ob eine betriebliche Übung auch in solchen Fällen möglich ist und entstehen kann, wenn die Arbeitsvertragsparteien für Vertragsänderungen eine so genannten doppelte Schriftformklausel vereinbart haben (Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 24.06.2003 – 9 AZR 302/02 -).

 

I. Voraussetzungen einer betrieblichen Übung

 

Unter einer betrieblichen Übung ist bekanntlich die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung und eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Rechtlich wird dieses Verhalten des Arbeitgebers als Vertragsangebot angesehen, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen werden kann (vgl. § 151 BGB). Damit erwachsen aus diesem gleichförmigen Verhalten des Arbeitgebers vertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer auf die üblich gewordenen Leistungen.

 

Nach der Rechtsprechung des BAG ist eine solche betriebliche Übung grundsätzlich für jeden Gegenstand vorstellbar, der arbeitsvertraglich in einer so allgemeinen Form geregelt werden kann. Dabei ist entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs nicht der Verpflichtungswille des Arbeitgebers, sondern vielmehr, wie der Erklärungsempfänger (der Arbeitnehmer) die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen musste und durfte.

 

Hinweis für die Praxis:

 

Der Arbeitgeber kann die Bindungswirkung einer betrieblichen Übung für die Zukunft auch ausdrücklich ausschließen. Es empfiehlt sich deshalb, Leistungen mit folgendem Zusatz zu versehen:

 

„Freiwillige Leistung unter Ablehnung eines Rechtsanspruchs für die Zukunft“ oder „widerrufliche Leistung“. Entsprechendes gilt, wenn von Arbeitgeberseite ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die konkrete Regelung nur für das laufende Jahr gelten soll. In solchen Fällen kann dann der Arbeitnehmer nicht darauf vertrauen, dass die Leistungen auch im Folgejahr noch erbracht werden sollen.

 

II. Einfache und doppelte Schriftformklausel

 

In vielen Arbeitsverträgen werden im Rahmen der „Schlussbestimmungen“ Schriftformklauseln vereinbart. Dabei wird zwischen einer einfachen und einer doppelten Schriftformklausel unterschieden.

 

1. Einfache Schriftformklausel

 

Eine einfache Schriftformklausel hat üblicherweise folgenden Wortlaut: „Vertragsänderungen bedürfen der Schriftform.“

 

Bei einer solchen einfachen Schriftformklausel wird nach zutreffender Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nicht verhindert, dass eine betriebliche Übung entstehen kann. Eine so vereinbarte Schriftform kann nämlich auch ohne Einhaltung der Schriftform abbedungen werden. Treffen also die Arbeitsvertragsparteien mündlich eine andere Regelung, als sie bislang arbeitsvertraglich geregelt war, wird damit diese abweichende Regelung Vertragsgegenstand. Auf die vereinbarte Schriftform kommt es damit in diesen Fällen nicht mehr an. Diese einfache Schriftformklausel bietet damit keinen Schutz vor einer betrieblichen Übung.

 

2. Doppelte Schriftformklausel

 

Anders verhält es sich hingegen bei einer doppelten Schriftformklausel. Bei solchen doppelten Schriftformklauseln ist üblicherweise folgender Zusatz im Arbeitsvertrag enthalten: „Mündliche Vereinbarungen über die Aufhebung der Schriftform sind nichtig“ oder aber „eine Aufhebung der Schriftformklausel kann nur schriftlich erfolgen“. Werden also auch Änderungen der Schriftformklausel ihrerseits einer besonderen Form unterstellt, in dem sie die mündliche Aufhebung der Schriftformklausel ausdrücklich ausschließt, kann eine so formulierte doppelte Schriftformklausel dann nicht durch eine die Schriftform nicht wahrende Vereinbarung aufgehoben werden. In der Verwendung gerade der doppelten Schriftformklausel wird nämlich deutlich, dass die Vertragsparteien auf die Wirksamkeit ihrer Schriftformklausel besonderen Wert legen.

 

Damit kann eine doppelte Schriftformklausel die dauerhafte Übernahme einer Verpflichtung durch eine betriebliche Übung ausschließen. Dieses Ergebnis wird zudem durch § 125 Satz 2 BGB gestützt, wonach der Verstoß gegen eine vertragliche vereinbarte Formvorschrift im Zweifel die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zur Folgen haben soll.

 

 

Hinweis für die Praxis:

 

Die doppelte Schriftformklausel ist damit ein geeignetes Mittel, das Entstehen einer betrieblichen Übung zu verhindern. Dies gilt aber nur dann, wenn ausdrücklich auch Änderungen der Schriftformklausel ihrerseits einer besonderen Form unterstellt werden.

 

  

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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