31.10.2003 -

 

Im Zuge des Betriebsverfassungsreformgesetzes aus dem Jahre 2001 haben sich eine Vielzahl von Vorschriften im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geändert. Neu geregelt wurde unter anderem die Zahl der Betriebsratsmitglieder in § 9 BetrVG. Der Gesetzgeber hat seit der Verabschiedung des BetrVG 1972 einen stark angewachsenen Arbeitsanfall bei den Betriebsräten gesehen und daher die Schwellenwerte herabgesetzt. Gleichzeitig wurde die Wahlberechtigung von Leiharbeitnehmern in § 7 Satz 2 BetrVG eingeführt. Dies hat in der Praxis nunmehr die bedeutsame Frage aufgeworfen, ob diese wahlberechtigten Arbeitnehmer auch bei der Anzahl der maßgeblichen Belegschaftsstärke nach § 9 BetrVG mitzuzählen sind. Das BAG hat dies nun abschließend entschieden und die Frage verneint (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16.04.2003 – 7 ABR 53/02 -).

 

Der Sachverhalt der Entscheidung (verkürzt):

 

In dem Betrieb der Arbeitgeberin fanden am 11. März 2003 Betriebsratswahlen statt. Dabei ging der Wahlvorstand unter Einbeziehung unter anderem mehrerer Leitarbeitnehmer von einer Belegschaftsstärke von über 201 Personen aus. Dies führte dazu, dass ein aus 9 Mitgliedern bestehender Betriebsrat gewählt wurde.

 

Die Arbeitgeberin hat die Betriebsratswahl angefochten. Sie hat dabei die Auffassung vertreten, es hätte nur ein aus 7 Mitgliedern bestehender Betriebsrat gewählt werden dürfen, weil im Betrieb nicht mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigt würden. Die Leiharbeitnehmer hätten bei der Ermittlung der Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder nicht berücksichtigt werden dürfen.

 

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt.

 

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

 

Das Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt!

 

I. Belegschaftsstärke und Leiharbeitnehmer

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 9 BetrVG in der bis zum 27. Juli 2001 geltenden Fassung waren bei der für die Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke nur betriebsangehörige Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Das sind Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis zu dem Betriebsinhaber stehen und die in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert sind. Diese Voraussetzungen haben nach der bis zum Betriebsverfassungsreformgesetz geltenden Fassung Leiharbeitnehmer nicht erfüllt.

 

Neu: Aktives Wahlrecht von Leiharbeitnehmern

 

Das Bundesarbeitsgericht hat nun klargestellt, dass sich daran auch durch eine Einräumung des aktiven Wahlrechts für Leiharbeitnehmer in § 7 Satz 2 BetrVG in der Fassung des Betriebsverfassungsreformgesetzes nichts geändert hat. Auch durch die Einräumung dieses aktiven Wahlrechts werden Leiharbeitnehmer nicht zu betriebsangehörigen Arbeitnehmern des Entleihers. Dem hat sich nunmehr auch die ganz überwiegende betriebsverfassungsrechtliche Literatur angeschlossen.

 

Gerade aus der Unterscheidung in § 7 BetrVG zwischen Arbeitnehmern des Betriebs (Satz 1) und Arbeitnehmern eines anderen Arbeitgebers, die zur Arbeitsleistung überlassen werden (Satz 2) wird deutlich, dass die überlassenen Arbeitnehmer gerade keine Arbeitnehmer des Betriebs sind. Dem entspricht es konsequent, dass Leiharbeitnehmer nach § 14 Abs. 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) nach wie vor dem Betrieb des Verleihers zugeordnet sind. Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung der Leiharbeitnehmer ist damit abgesehen von der Einräumung des aktiven Wahlrechts unverändert geblieben. Diese Intention lässt sich schließlich auch aus der Gesetzesbegründung zum Betriebsverfassungsreformgesetz entnehmen.

 

Hinweis für die Praxis:

 

Das Bundesarbeitsgericht hat nun abschließend geklärt, dass Leiharbeitnehmer bei der maßgeblichen Belegschaftsstärke im Sinne von § 9 BetrVG nicht zu berücksichtigen sind. Leiharbeitnehmer sind keine Arbeitnehmer des Entleiherbetriebs.

 

II. Altersteilzeit und Belegschaftsstärke

 

Im Rahmen der Entscheidung hatte sich das Bundesarbeitsgericht auch mit der Frage zu beschäftigen, ob die in der Freistellungsphase einer vereinbarten Altersteilzeit (Blockmodell) befindlichen Arbeitnehmer bei der für die Anzahl der Betriebsratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke nach § 9 BetrVG zu berücksichtigen sind.

 

Das Bundesarbeitsgericht hat auch für diesen Fall nunmehr klargestellt, dass diese Arbeitnehmer nicht mehr dem Betrieb im Sinne von § 9 BetrVG angehören. In der Freistellungsphase sind diese Arbeitnehmer nicht mehr in die Betriebsorganisation eingegliedert. Auch eine Rückkehr dieser Arbeitnehmer in den Betrieb ist nicht mehr vorgesehen. Dadurch unterscheidet sich ein in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befindlicher Arbeitnehmer erheblich von anderen Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse nur für einen bestimmten Zeitraum ruhen, z.B. während der Elternzeit oder der Ableistung eines Wehr- oder Zivildienstes. Diese Arbeitnehmer kehren in der Regel in den Betrieb zurück. Demgegenüber tritt der in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befindliche Arbeitnehmer im Anschluss daran unmittelbar in den Ruhestand.

 

In diesem Zusammenhang weisen wir nochmals auf ein älteres Urteil des Bundesarbeitsgericht aus dem Jahre 2000 hin (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 25.10.2000 – 7 ABR 18/00 -, DB 2001, 706). Nach dieser Entscheidung verlieren Arbeitnehmer bei Altersteilzeit in Form des Blockmodells mit Beginn der Freistellungsphase auch ihr passives Wahlrecht nach § 8 BetrVG. Die Entscheidung betrifft zwar nur den Verlust der Wählbarkeit eines Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat, ist aber nach unserer Auffassung unmittelbar auch auf § 8 BetrVG übertragbar.

 

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

 

 

 

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