02.11.2003

Fällt ein Sozialversicherungsträger in der Insolvenz einer GmbH mit Sozialversicherungsbeiträgen aus, liegt bei Insolvenzverschleppung durch die Geschäftsführung die Überlegung nahe, die Geschäftsführer zivilrechtlich in die Haftung zu nehmen.

Der BGH hat am 07. Juli 2003 wie schon am 08. März 1999 festgestellt, dass die nicht oder nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen möglich ist – Voraussetzungen, für deren Darlegungslast die Anforderungen derart hoch liegen, dass eine Haftungsinanspruchnahme wohl immer ausscheiden wird.

 

1.  Nach den Grundsätzen im Urteil des II Zivilsenats Senatsurteil – BGHZ 126, 181 ff. –  hat der seine Konkursantragspflicht versäumende Geschäftsführer einem vertraglichen Neugläubiger den – nicht auf eine Quotendifferenz beschränkten – Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entsteht, dass er mit der konkursreifen GmbH noch in Rechtsbeziehungen getreten ist.

     Denn die dem Geschäftsführer auferlegte gesetzlich Pflicht, rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen, soll neue Gläubiger der Gesellschaft davor bewahren, mit einer insolventen Gesellschaft noch in geschäftlichen Kontakt zu treten. Neugläubiger der Gesellschaft können den schuldhaft pflichtwidrig handelnden Geschäftsführer auf Ausgleich des Schadens in Anspruch nehmen, der ihnen dadurch entsteht, dass sie in Rechtsbeziehungen zu einer überschuldeten oder zahlungsunfähigen Gesellschaft getreten sind.

     Was aber ist der zu ersetzende Schaden?

     Dieser besteht nicht in dem wegen der Insolvenz der GmbH „entwerteten“ Erfüllungsanspruch des Gläubigers – dies wäre das deliktsrechtlich grundsätzlich nicht geschützte positive Interesse; zu ersetzen ist vielmehr nur das negative Interesse, z.B. in Form von Vorleistungen oder Aufwendungen, die der Neugläubiger infolge des Vertragsschlusses mit der konkursreifen GmbH erbracht hat.

     Einen derartigen Anspruch auf Ausgleich eines negativen Interesses machen klagende Sozialversicherungsträger bei genauer Betrachtung aber regelmäßig nicht geltend. Sie verlangen meist vielmehr von dem Beklagten die ersatzweise Erfüllung ihrer Beitragsforderung gegenüber der GmbH, da diese Beitragsforderung bei rechtzeitiger Konkursanmeldung nicht mehr entstanden wäre. Das aber wird vom negativen Interesse nicht gedeckt. Denn in der bloßen Entstehung eines – auch wertlosen – Anspruchs liegt kein wegen Insolvenzverschleppung erstattungsfähiger Schaden des Gläubigers.

     Das Schadensersatzbegehren wegen Nichterfüllung der von der insolventen GmbH nicht beglichenen Beitragsforderungen läuft im Ergebnis darauf hinaus, so gestellt zu werden, als wäre die GmbH im Verschleppungszeitraum noch solvent gewesen. Ein solches (positives) Interesse der Sozialversicherungsträger wird im Rahmen der §§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG ebenso wenig geschützt wie bei vertraglichen Neugläubigern.

 

2.  Um diesem Dilemma zu entgehen, versuchen nunmehr Sozialversicherungsträger das Klagebegehren über § 252 BGB („anderweitig entgangene Beitragsforderungen“) in ein negatives Interesse zu kleiden.

     Im Urteil vom 07. Juli 2003 heißt es hierzu:

 

     „Die Klägerin verkennt selbst nicht, dass sie wegen der Beitragsausfälle, die durch die Insolvenz der G. GmbH entstanden sind, den Beklagten nicht unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzverschleppung belangen kann; denn ein solcher Anspruch richtete sich auf Ersatz des positiven Interesses, das im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG nicht geschützt wird (Sen.Urt. v. 8. März 1999 aaO). Nach Meinung der Klägerin soll der ihr in diesem Rahmen ersatzfähige Schaden darin bestehen, dass bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrages die betreffenden Arbeitnehmer zeitgleich eine andere sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen hätten, so dass sie Beiträge in entsprechender Höhe erhalten hätte.“

 

     Ein Sozialversicherungsträger müsste folglich schlüssig darlegen und beweisen, dass ihm infolge der Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer bei der konkursreifen GmbH anderweitige Beitragseinnahmen durch eine ebenfalls sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der Arbeitnehmer bei einem anderen Arbeitgeber entgangen seien (§ 252 BGB) oder ihr bei früherer Konkursanmeldung aus der Konkursmasse weitere als die von der GmbH bis Mai 1993 erbrachten Beitragsleistungen zugeflossen wären.

     Diese Darlegung wird einem Sozialversicherungsträger aus diversen Gründen nicht gelingen. Denn es wäre zu beweisen, dass die Arbeitnehmer einer in Konkurs geratenen Gesellschaft unmittelbar nach Bekanntwerden des Insolvenzfalls sofort ihr Arbeitsverhältnis kündigen, statt die weitere Entwicklung – z.B. die Gründung einer Auffanggesellschaft oder die Überleitung der Beschäftigungsverhältnisse durch den Insolvenzverwalter auf ein anderes Unternehmen – abzuwarten und in der Zwischenzeit die Rechte wahrzunehmen, die sich aus den für diesen Fall zu ihrem Schutz erlassenen gesetzlichen Bestimmungen ergeben.

     Nicht zuletzt wird der Vortrag auch deswegen nicht ausreichen, um die Vermutung nach § 252 Satz 2 BGB zu begründen, weil nicht sicher gestellt werden kann, dass die Arbeitnehmer, die nach der Stellung des Insolvenzantrages eine neue Arbeit aufnehmen, auch bei dem jeweils klagenden Sozialversicherungsträger versichert sind. Nach § 28 i SGB IV i.V.m. §§ 173, 175 SGB V ist für den Einzug der Gesamtsozialversicherungsbeiträge, deren Zahlung Gegenstand der Klage ist, diejenige unter den in § 173 Abs. 2 SGB V aufgeführten Krankenkassen zuständig, bei welcher der Arbeitnehmer in Ausübung seiner Wahlfreiheit versichert ist.

     Auch der Vortrag, nach Stellung des Insolvenzantrags arbeitslos gewordene Arbeitnehmer der GmbH hätten jedenfalls Arbeitslosengeld bezogen und seien deswegen sozialversicherungspflichtig gewesen, dürfte schwer beweisbar sein. Außerdem müsste der Versicherer dann eine weitere schwere Hürde nehmen und dartun, dass er die zuständige und deswegen zur Geltendmachung des Schadens berufene Einzugsstelle ist.

     Im Übrigen lässt der BGH bewusst unentschieden offen, ob ein auf Ersatz des negativen Interesses gerichteter Anspruch über den Kontrahierungsschaden (vertragliche Ansprüche) hinaus auch auf gesetzliche Schuldverhältnisse (Sozialversicherungsbeiträge) zu erstrecken ist. Diese Frage ist auch in der Rechtsliteratur umstritten.

 

3.  Eine Haftung aus §§ 64 Abs. 1 GmbHG, 823 Abs. 2 BGB lässt sich auch nicht darauf stützen, dass ein Sozialversicherungsträger bei rechtzeitiger Konkursantragstellung durch die Geschäftsführer und entsprechend früherer Entlassung der Arbeitnehmer der GmbH für diese ab Juni 1993 keinen Sozialversicherungsschutz auf der Basis der Arbeitsverhältnisse mit der GmbH mehr hätte bereitstellen müssen.

     Die „Bereitstellung von Versicherungsschutz“ ist jedenfalls im Bereich der gesetzlichen, nicht an Äquivalenzgesichtspunkten orientierten Sozialversicherung (vgl. dazu BGHZ 87, 181, 183 f.) eine abstrakte Größe, die nicht mit dem Wert der Beiträge für den entsprechenden Zeitraum gleichgesetzt werden kann. Allenfalls kämen konkrete Leistungen in Erfüllung des Versicherungsschutzes, den der Sozialversicherungsträger im Übrigen gemäß § 155 AFG bei früherer Entlassung und Arbeitslosigkeit der Arbeitnehmer ebenso ohne Beitragsleistungen der insolventen GmbH hätte gewähren müssen, als Schaden in Betracht. Aber auch dieser wäre nicht vom Schutzbereich der §§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG erfasst.

     Soweit sozialversicherungsrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen der Leistungsträger in der Zeit nach der tatsächlichen Insolvenzantragstellung entstanden sind, fallen diese schon deshalb nicht in den Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG, weil dessen Tatbestandsverwirklichung (Dauerdelikt) mit Stellung des Insolvenzantrages endet (vgl. auch BGHZ 108, 134, 136 f.). Unabhängig davon sind die Sozialversicherungsträger, die Beitragsansprüche gegen eine GmbH nach Entstehung der Konkursantragspflicht erworben haben, nicht wie vertragliche Neugläubiger (im Sinne von BGHZ 126, 181 ff.) in den Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbH einbezogen, weil ihre Gläubigerstellung im Rechtssinne nicht auf der Versäumung der Konkursantragspflicht, sondern auf dem Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses beruht (vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV), dessen Bestand selbst durch die Konkurseröffnung über das Vermögen des Arbeitgebers nicht unmittelbar berührt wird (vgl. § 22 KO; OLG München, VersR 1977, 1001 f.). Die Insolvenz oder auch ein Konkursantrag der Arbeitgeberin (GmbH) lösen weder ein Sonderkündigungsrecht aus noch eine Verpflichtung des Geschäftsführers gegenüber den Sozialversicherungsträgern zur sofortigen Beendigung der Arbeitsverhältnisse. Die Sozialversicherungsträger können ihrerseits auf einen (rechtzeitig) gestellten Konkursantrag nicht mit einer Kündigung des Sozialversicherungsverhältnisses reagieren.

 

Nach alledem werden sich GmbH-Geschäftsführer selbst in Fällen nachgewiesener Insolvenzverschleppung zumindest zivilrechtlich einer Haftung für die ausgebliebene Erfüllung sozialversicherungsrechtlicher Beitragsschulden erfolgreich widersetzen können.

Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber hierauf reagieren wird.

 

Verfasser: RA & StB Andreas Jahn

 

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