20.11.2003 -

 

 

Der Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall setzt voraus, dass den Arbeitnehmer an der eingetretenen Arbeitsunfähigkeit kein Verschulden trifft. In der Praxis kommt es dabei immer wieder zu Fallgestaltungen, in denen der Arbeitgeber den Anspruch auf Entgeltfortzahlung mit dem Hinweis verweigert, die eingetretene Arbeitsunfähigkeit habe der Arbeitnehmer selbst zu verantworten. Im Vordergrund stehen dabei gefährliche Sportarten wie z.B. Bungeespringen, Drachenfliegen oder Fallschirmspringen. Das Landesarbeitsgericht Saarland hatte sich nun mit der Frage zu befassen, ob ein Unfall beim Inline-Skating den Entgeltfortzahlungsanspruch wegen Verschuldens ausschließt (Landesarbeitsgericht Saarland, Urt. v. 2. 7. 2003, – 2 Sa 147/02 -, NZA-RR 2003, 568). Im Ergebnis wurde der Anspruch bejaht. Wir möchten die Entscheidung dennoch zum Anlass nehmen, um die wesentlichen Grundsätze zusammenfassend darzustellen.

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

 

Die klagende Arbeitnehmerin war bereits seit 1987 bei dem Arbeitgeber, der einen Verbrauchermarkt betreibt, als Kassenaufsicht beschäftigt. Zu Weiberfastnacht im Jahre 2002 kam die Arbeitnehmerin in einem Faschingskostüm und mit Inline-Skates zur Arbeit.

 

Während ihrer Mittagspause fuhr sie mit den Inline-Skates zu einem Restaurant, das sich in demselben Gebäude wie der Verbrauchermarkt befand. Als sie dann zur Toilette musste, legte sie ihren Handgelenkschutz ab. Vor der Eingangstür zu dem Toilettenvorraum stürzte sie, da dort auf dem Boden Wasser stand. In Folge des Sturzes brach sie sich das rechte Handgelenk.

 

Der Arbeitgeber verweigerte die Entgeltfortzahlung für die ersten 6 Wochen der Arbeitsunfähigkeit. Auch die Differenz zu dem Nettogehalt und dem von der Krankenkasse gezahlten Krankengeld, auf das die Arbeitnehmerin einen tariflichen Anspruch hatte, verweigerte er.

 

Mit ihrer Klage machte die Arbeitnehmerin diese Ansprüche geltend. Das Arbeitsgericht hat den Arbeitgeber zur Zahlung verurteilt.

 

Die Entscheidung:

 

Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

 

I. Entgeltfortzahlung bei Krankheit

 

Der Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall setzt voraus, dass der Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit in Folge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Ein Entgeltfortzahlungsanspruch scheidet damit von vornherein aus, wenn der Arbeitnehmer im Fall der Nichterkrankung auch aus anderen Gründen nicht gearbeitet hätte, bspw. im Arbeitskampf oder auch während einer vereinbarten Elternzeit, in der das Arbeitsverhältnis ohnehin ruht.

 

Der Entgeltfortzahlungsanspruch setzt allerdings weiter auch eine unverschuldete Arbeitsunfähigkeit voraus. Dabei ist nach der Rechtsprechung Verschulden im Sinne von § 3 Abs. 1 EFZG nicht bereits jedes fahrlässige Verhalten. Schuldhaft handelt im Sinne dieser Vorschrift vielmehr nur, wer gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt.

 

II. Gefährliche Sportarten

 

Zu der Frage, inwieweit bei Sportverletzungen von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes auszugehen ist, existiert eine umfangreiche Rechtsprechung. Folgende Grundsätze gelten:

 

1. Fehlende Kontrolle indiziert Verschulden

 

Ein Verschulden ergibt sich nach der Rechtsprechung zunächst daraus, dass der Arbeitnehmer eine besonders gefährliche Sportart ausübt, die mit Risiken verbunden ist, die sich auch bei guter Ausbildung und sorgfältiger Beachtung aller Regeln nicht kontrollieren lassen.

 

Allerdings hat die Rechtsprechung bereits eine Vielzahl von grundsätzlich gefährlichen Sportarten als nicht generell schuldhaft angesehen. Aus der Vielzahl der Urteile seien beispielhaft genannt: Autorennen, Boxen, Drachenfliegen, Fallschirmspringen, Fingerhackeln, Crossbahn- und Motorradrennen, Karate, Skifahren und Skispringen.

 

Als gefährliche Sportart wurde bislang lediglich vom Arbeitsgericht Hagen das Kickboxen angesehen (Arbeitsgericht Hagen, Urt. v. 15. 9. 1989 – 4 Ca 648/87 -, NZA 1990, 311).

 

2. Individuelle Fähigkeiten ausschlaggebend

Der hier zu besprechende Fall des LAG Saarland macht jedoch deutlich, dass es nicht in erster Linie auf den Gefährlichkeitsgrad der Sportart ankommt, sondern auf das individuelle Können des Einzelnen. Beherrscht jemand eine Sportart nicht und übt er sie dennoch aus, muss man das Verschulden bejahen. Wer bspw. an einem Motorradrennen teilnimmt, obwohl er bislang nur am allgemeinen Straßenverkehr teilgenommen hat, muss mit einem Unfall rechnen. Dieses Risiko hat dann der Arbeitnehmer alleine zu tragen und kann nicht dem Arbeitgeber aufgebürdet werden.

 

In diesem Sinne hat auch das LAG Saarland entschieden. Es hat eine Beweisaufnahme durchgeführt und geprüft, ob die Arbeitnehmerin sich in eine ihre Kräfte und Fähigkeiten deutlich übersteigenden Weise sportlich betätigt hatte. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt des Unfalls bereits 61 Jahre alt war.

 

Sämtliche Zeugen konnten aber bestätigen, dass die Klägerin bereits seit 45 Jahren Rollschuh läuft und sich auch in ihrer Freizeit regelmäßig sportlich, insbesondere durch Inline-Skating, betätigt. Anhaltspunkte für eine Überforderung waren damit nicht ersichtlich. Das Verschulden wurde damit von dem LAG Saarland verneint.

 

Hinweis für die Praxis:

 

Treten bei einem Arbeitnehmer vermehrt Sportverletzungen auf, spricht dies grundsätzlich für eine Überforderung. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht schon einmal entschieden, dass allein die Tatsache, dass der Arbeitnehmer nur unregelmäßig trainiert, noch nicht genügt, um ein Verschulden zu bejahen.

 

Wir können daher im konkreten Fall nur empfehlen, die weiteren Einzelheiten in einem persönlichen Gespräch aufzuklären. Stellt sich dabei heraus, dass der Arbeitnehmer in grober und leichtsinniger Weise gegen anerkannte Regeln der jeweiligen Sportart verstößt oder sich in einer Weise sportlich betätigt, die seine Kräfte und Fähigkeiten deutlich übersteigen, kann ein Entgeltfortzahlungsanspruch verweigert werden.                                                         

  

 

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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