Wer kennt sie nicht: Die massenhaft per Post versandten Schreiben, in denen die Empfänger mit der Nachricht beglückt werden, bei irgendeiner Ziehung einen größeren Geldbetrag gewonnen zu haben. Man müsse nur noch irgendeinen Gewinnschein zurückschicken und ggf. ein paar Waren aus dem beigefügten Prospekt bestellen und dann werde der Gewinn ausgezahlt. Meldet sich der glückliche Gewinner dann, wird ihm in schönster Regelmäßigkeit mit verschiedensten Begründungen die Auszahlung des „Gewinns“ verweigert.

Was vielen nicht bekannt ist:

Mit Wirkung zum 30.6.2000 wurde eine neue Vorschrift,  § 661a, in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) eingeführt, der zufolge ein Unternehmer, der Gewinnzusagen oder vergleichbare Mitteilungen an Verbraucher sendet und durch die Gestaltung dieser Zusendungen den Eindruck erweckt, dass der Verbraucher einen Preis gewonnen hat, dem Verbraucher diesen Preis zu leisten hat. Zweck der Vorschrift ist es, unerwünschten Geschäftspraktiken, die etwa darin bestehen können, dass Verbraucher durch Mitteilungen über angebliche Gewinne zur Bestellung von Waren oder Leistungen bewegt werden sollen, dadurch entgegen zu wirken, dass dem Empfänger ein Anspruch auf den mitgeteilten Gewinn oder Preis eingeräumt wird.

Seither hatten sich Gerichte des Öfteren mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen der Verbraucher tatsächlich einen Anspruch auf Leistung des versprochenen Gewinns hat.

Der BGH hatte sich jüngst mit der Frage zu beschäftigen, ob die Vorschrift verfassungswidrig ist. In seiner Entscheidung vom 16.10.2003 (Az. III ZR 106/03) stellte der BGH ausdrücklich fest, dass die Vorschrift nicht verfassungswidrig sei und wies die Revision der Beklagten gegen die Verurteilung zur Zahlung der versprochenen Leistung zurück.

 

Der Sachverhalt:

 

Die Beklagte, eine in den Niederlanden ansässige Versandhandelsgesellschaft, übersandte im September 2001 dem in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Kläger ein Schreiben, in dem es unter anderem hieß:

„Lieber Herr A. [= Kläger],

über 3 große Ereignisse kann ich Ihnen als Kunde unseres ‚Spezialitäten‘-Programms berichten:

1. Es hat am 11.09.2001 eine Ziehung stattgefunden.

2. Es war Ihr Name, sehr geehrter Herr A. , den mir der Justiziar nannte.

3. Es war einer der höchsten Geldbeträge, der Ihnen zugeteilt wurde.

Also, beginnen wir mit Punkt Eins. Die Ziehung war wie gesagt am 11.09.2001,
10:30 Uhr … es ging um die Gesamt-Gewinnsumme von 33.000,00 DM … in bar!
5 Hauptgewinne standen zur Vergabe bereit …

Der Justiziar erhob sich, um die Gewinner namentlich zu nennen

Ja, und nun ist es tatsächlich wahr, daß Sie selbst darüber nachdenken können, welchen Herzenswunsch Sie sich erfüllen möchten. Denn Ihr Name ist dabei! … Dann kam der Höhepunkt der Ziehung: Die Geldbeträge wurden den genannten Gewinnern zugeteilt. Und als wiederum Ihr Name genannt wurde, konnte ich die Spannung und die Vorfreude kaum noch aushalten … Es sind 9.000 DM! Ja, 9.000,00 DM in bar, die Ihnen und Ihrer Ziehungs-Nummer eindeutig zugeteilt wurden! … Meine dringende Bitte: Schicken Sie jetzt Ihren Einlöse-Scheck und Ihre Spezialitäten-Test-Anforderung ein, damit wir die Gewinn-Auszahlung vollziehen können!“

Dem Schreiben der Beklagten war ein von „Herr S. H. , Justiziar“ unterzeichnetes „Gewinn-Ziehungs-Protokoll“ beigefügt, das den Kläger als „Gewinn-Empfänger“ eines „Gewinn-Betrag(es): 9.000,00 DM“ auswies. Entsprechend der im Schreiben der Beklagten gegebenen Anleitung sandte der Kläger den „Einlöse-Scheck“ und die „Spezialitäten-Test-Anforderung“ mit einer Warenbestellung über 78,68 DM zurück. Die Beklagte zahlte den angeblichen Gewinn nicht.

Der Kläger machte geltend, die Beklagte schulde ihm aufgrund einer Gewinnzusage 
(§ 661a BGB) 4.601,63  DM) nebst Zinsen. Die Beklagte hat gerügt, die angerufenen deutschen Gerichte seien nicht international zuständig. Im übrigen sei § 661a BGB verfassungswidrig.

Amtsgericht und Berufungsgericht gaben der Klage statt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte weiterhin ihren Antrag, die Klage abzuweisen.

 

Die Entscheidung des BGH:

 

Nach Auffassung des BGH war die Revision unbegründet.

I.

Das Berufungsgericht hatte die deutschen Gerichte für international zuständig erachtet. Die in den Niederlanden ansässige Beklagte könne vor einem deutschen Gericht verklagt werden, weil in der Bundesrepublik Deutschland sowohl die internationale Zuständigkeit für Verbrauchersachen (Art. 13, 14 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968, BGBl. 1972 II S. 774, im folgenden EuGVÜ) als auch der unerlaubten Handlung (Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ) begründet sei. § 661a BGB verstoße nicht gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG), weil es sich bei dieser Vorschrift nicht um ein allgemeines Strafgesetz handele. Die Regelung sei auch nicht wegen aus dem Rechtsstaats-, insbesondere aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herzuleitender Beschränkungen von Doppelsanktionen verfassungswidrig.

II.

Der BGH bejahte zunächst die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte. Auf den Streitfall sei deutsches Recht anwendbar.

Nach Auffassung des BGH kann der Kläger von der Beklagten Zahlung von 4.601,63 € nebst Zinsen verlangen. Anspruchsgrundlage ist § 661a BGB:

Gemäß § 661a BGB hat ein Unternehmer, der Gewinnzusagen oder vergleichbare Mitteilungen an Verbraucher sendet und durch die Gestaltung dieser Zusendungen den Eindruck erweckt, daß der Verbraucher einen Preis gewonnen hat, dem Verbraucher diesen Preis zu leisten. Nach den nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte dem Kläger eine solche Gewinnzusage über 9.000 DM (= 4.601,63 €) zugesandt.

Der BGH hält § 661a BGB auch nicht für verfassungswidrig.

Insbesondere verstoße die Vorschrift nicht gegen den im Rechtsstaatsprinzip begründeten Grundsatz, dass jede Strafe – nicht nur die Strafe für kriminelles Unrecht, sondern auch die strafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht Schuld voraussetzt („nulla poena sine culpa“, z.B. BVerfGE 20, 323, 331, st. Rspr.; Jarass/Pieroth, GG 6. Aufl. 2002 Art. 20 Rn. 99 m.w.N.); Er verletze den betroffenen Unternehmer nicht in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG.

§ 661a BGB ordne nicht eine Strafe an, d.h. eine Kriminalstrafe oder eine andere staatliche Maßnahme, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten enthält und ein „Übel“ wegen eines rechtswidrigen Verhaltens verhängt Die Vorschrift kann auch nicht zivilprozessualen Maßnahmen mit pönalem Charakter wie der Verhängung von Ordnungsgeld zur Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen
(§ 890 Abs. 1 ZPO) gleichgesetzt werden.

Mit der Einführung des § 661a BGB wollte der Gesetzgeber einer verbreiteten und wettbewerbsrechtlich unzulässigen Praxis entgegenwirken, dass Unternehmer Verbrauchern Mitteilungen über angebliche Gewinne übersenden, um sie zur Bestellung von Waren zu veranlassen, die Gewinne auf Nachfrage aber nicht aushändigen (vgl. Senatsurteil aaO S. 428). Nach Auffassung des Gesetzgebers hatten die Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb die unzulässigen Gewinnspiele nicht zurückgedrängt. Es erschien deshalb erforderlich, diese Vorschriften durch zivilrechtliche Ansprüche zu unterlegen; der Unternehmer sollte beim Wort genommen werden, um den Missbrauch abzustellen

§ 661a BGB könne auch nicht in die Nähe eines zivilrechtlichen Strafschadensersatzes nach Art der „punitive damages“ des US-amerikanischen Rechts gerückt und deshalb als Regelung einer Strafe oder strafähnlichen Sanktion angesehen werden. Der US-amerikanische Strafschadensersatz werde durch die Aspekte der Bestrafung und Abschreckung geprägt. Maßgebliche Voraussetzung sei allein der gesteigerte Schuldvorwurf. Das Fehlen eines Rechtsanspruchs des Geschädigten zeige das untergeordnete Gewicht seiner Interessen. Die „punitive damages“ werden – nach dem freien Ermessen des Gerichts – wesentlich nach dem Interesse der Allgemeinheit verhängt (vgl. BGHZ aaO S. 335 f, 343 f).

Demgegenüber knüpfe § 661a BGB an die – als einseitiges Rechtsgeschäft oder geschäftsähnliche Handlung zu beurteilende Gewinnzusage oder vergleichbare Mitteilung an und nehme den Unternehmer beim „lauten Wort“.

Die Vorschrift gebe dem Verbraucher nicht einen Schadensersatzanspruch, sondern einen Erfüllungsanspruch auf den Preis. Dieser Anspruch ist der Art und der Höhe nach durch die (vermeintliche) Gewinnzusage des Unternehmers bestimmt. Handelt es sich bei dem Leistungsanspruch nach § 661a BGB aber nicht um eine Strafe oder eine sonstige strafähnliche hoheitliche Maßnahme, besteht – wie bei anderen zivilrechtlichen Ansprüchen – von Verfassung wegen kein Grund für die Anwendung des Schuldprinzips.

Für den Anspruch aus § 661a BGB gelten allerdings die Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuchs, weshalb z.B. geprüft werden müsse, ob die Geltendmachung des Anspruchs rechtsmissbräuchlich sei.

Der vorliegende Fall bot nach Ansicht des BGH jedoch keinen Anhalt für die Möglichkeit eines Rechtsmissbrauchs

Auch sei der Unternehmer nicht schon deshalb schützenswert, weil er von mehreren Verbrauchern in Anspruch genommen werde. Schließlich könne der Unternehmer das Risiko, aufgrund versandter Gewinnzusagen den Preis leisten zu müssen, selbst steuern

 

Fazit:

 

Mit § 661a BGB wurde ein schon lange nach §§ 1,3 UWG wettbewerbswidriges Verhalten auch zivilrechtlich wirksam sanktioniert.

Künftig müssen Unternehmer verstärkt darauf achten, nicht durch versehentlich wettbewerbswidriges Verhalten Geldansprüchen Dritter ausgesetzt zu werden. Denn der zur Zeit in der Beratung befindliche Entwurf eines neuen „Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb“ (UWG-E) sieht in § 10 des Entwurfs  einen sogen. Gewinnabschöpfungsanspruch vor. Zwar soll sich die Sanktionswirkung des Gewinnabschöpfungsanspruches nur gegen besonders gefährliche unlautere Handlungen, nämlich solche mit Breitenwirkung, richten, die tendenziell eine größere Anzahl von Abnehmern betreffen können. Individuelle Wettbewerbsverstöße (z.B. Irreführung i.R. eines einzelnen Verkaufsgesprächs) sind vom Abschöpfungsanspruch ausgenommen. Hierbei handelt es sich ebenso wie bei § 661a BGB nicht um einen Schadenersatzanspruch. Die Vorschrift soll  vor allem der Abschreckung dienen und auf vorsätzliche Verstöße gegen Wettbewerbsrecht beschränkt sein. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, kann der gesamte Gewinn von den Anspruchsberechtigten (Verbraucherverbände, IHKen etc.) abgeschöpft werden, die ihn dann – nach Abzug ihrer Kosten – an den Bundeshaushalt abführen müssen.

Gerade bei Massenwerbesendungen der vorliegenden Art ist davon auszugehen, dass sie als vorsätzliche Verstöße gegen geltendes Wettbewerbsrecht geahndet werden und dem Verbraucher nicht nur ein Anspruch nach § 661a BGB, sondern den Verbänden ein Anspruch auf Abschöpfung des gesamten Gewinns zusteht.

Unternehmer sollten deshalb vor Versand von Werbeschreiben, in denen Verbrauchern Gewinnversprechungen gemacht werden, sorgfältig prüfen, ob hieraus nicht erhebliche finanzielle Risiken erwachsen können. In Zweifelsfällen sollte ein Anwalt konsultiert werden.

 

Verfasser: Rechtsanwalt Alexander Knauss

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