01.03.2004 -

Der Betriebsrat ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu unterrichten. Dieser Unterrichtungsanspruch soll es dem Betriebsrat ermöglichen, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob sich Aufgaben im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben und er zu ihrer Wahrnehmung tätig werden muss. Diese Rechte (und Pflichten) des Betriebsrats können auch nicht durch einen Tarifvertrag beschränkt werden. Welche Grundsätze insoweit gelten, hat das Bundesarbeitsgericht in einem nun bekannt gewordenen Beschluss entschieden (21. 10. 2003 – 1 ABR 39/02 -).

 

Der Sachverhalt der Entscheidung (verkürzt):

 

In dem zugrunde liegenden Fall streiten die beteiligten Betriebspartner über Auskunftsansprüche des Betriebsrats im Zusammenhang mit tariflich vorgesehenen Zielvereinbarungen.

 

Die Arbeitgeberin wendet im Betrieb den mit der deutschen Postgewerkschaft geschlossenen Tarifvertrag Nr. 64 (TV Nr. 64) an. Dieser Tarifvertrag regelt die Vergütung für diverse Tätigkeiten im Vertrieb. Alle Arbeitnehmer, die solche Tätigkeiten ausüben, erhalten gem. §§ 6 ff. TV Nr. 64 ein variables Entgelt in Form von Zielvereinbarungen.

 

In einer Vielzahl von Paragraphen ist dann in dem TV Nr. 64 im Einzelnen festgelegt, unter welchen Voraussetzungen Ansprüche aus der Zielvereinbarung entstehen und welche Konfliktregelungen für die Zielvereinbarung gelten sollen.

 

Seit dem Jahr 2000 haben die Arbeitnehmer auf der Grundlage der tariflichen Bestimmungen jährliche Zielvereinbarungen mit der Arbeitgeberin geschlossen. Im Frühjahr 2001 verlangte der Betriebsrat von der Arbeitgeberin für die einzelnen Arbeitnehmer Auskunft über den Inhalt der vereinbarten Ziele, den tatsächlichen Grad der Zielerreichung und den Umfang der auf die Zielerreichung angerechneten Ausfalltage. Der Betriebsrat hat dabei geltend gemacht, er müsse sowohl den Inhalt der mit den einzelnen Arbeitnehmern vereinbarten Ziele einschließlich des als volle Zielerfüllung eingesetzten Planumsatzes als auch den tatsächlich eingetretenen Zielerreichungsgrad kennen, um die Durchführung des TV Nr. 64 und die Einhaltung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes überwachen zu können. Der Umstand, dass der Tarifvertrag selbst bestimmte Auskunftsansprüche vorsehe, schließe die Überwachungspflichten des Betriebsrats nicht aus.

 

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Antrag des Betriebsrats abgewiesen.

 

Die Entscheidung des BAG:

 

Das Bundesarbeitsgericht hat den Anträgen hingegen im Rechtsbeschwerdeverfahren (überwiegend) stattgegeben.

 

I. Auskunftsanspruch des Betriebsrats

 

Der Auskunftsanspruch des Betriebsrats folgt aus der Pflicht des Arbeitgebers nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, den Betriebsrat zur Durchführung seiner gesetzlichen Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Dieser Verpflichtung des Arbeitgebers korrespondiert ein entsprechender Anspruch des Betriebsrats.

 

Zu den Aufgaben des Betriebsrats im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gehören auch die allgemeinen Aufgaben nach dem Katalog des § 80 Abs. 1 BetrVG.. Allerdings ist § 80 Abs. 2 BetrVG nicht auf die allgemeinen Aufgaben nach Abs. 1 beschränkt. Sie gilt vielmehr für alle Fälle der Beteiligung des Betriebsrats, soweit nicht ohnehin spezielle Vorschriften bestehen. Die Unterrichtung soll es dem Betriebsrat auch ermöglichen, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob sich Aufgaben im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben und er zu ihrer Wahrnehmung tätig werden muss. Dafür genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Bestehen von Aufgaben.

 

Die Grenzen des Auskunftsanspruchs liegen dort, wo ein Beteiligungsrecht oder eine sonstige Aufgabe offensichtlich nicht in Betracht kommt. Erst dann kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass die begehrte Auskunft zur Durchführung von Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist.

 

II. Zweistufige Prüfung

 

Aus diesen Grundsätzen folgt eine zweistufige Prüfung daraufhin, ob überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrats gegeben und ob im Einzelfall die begehrte Information zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist.

 

Im vorliegenden Fall kommt als Aufgabe des Betriebsrats die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten nach § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG in Betracht. Bei dem variablen Entgelt im Rahmen der Zielvereinbarungen dürfte es sich mit Akkord- und Prämiensätzen vergleichbares leistungsbezogenes Entgelt nach dieser Vorschrift handeln. Hat aber der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG, besteht insoweit der Anspruch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gegen den Arbeitgeber.

 

Die Aufgaben des Betriebsrats nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG können aber auch in dem Aufgabenkatalog nach § 80 Abs. 1 BetrVG bestehen, insbesondere in der Verpflichtung darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Tarifverträge angewendet werden (Ziffer 1), hier also der TV Nr. 64.

 

III. Tarifvertrag kann Rechte des Betriebsrats nicht einschränken!

 

Durch Tarifvertrag können die Überwachungspflichten und das von ihnen korrespondiere Überwachungsrecht des Betriebsrats nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht aufgehoben werden. Zwar können einzelne Rechte des Betriebsrats durch Tarifvertrag erweitert werden, sie können mittels Tarifvertrags aber nicht beseitigt oder eingeschränkt werden. Das Betriebsverfassungsgesetz enthält Mindestbestimmungen über die Beteiligungsrechte des Betriebsrats.

 

Soweit deshalb in dem Tarifvertrag Nr. 64 Überwachung der Zielvereinbarungen durch ein anderes Gremium vorgesehen ist, kann dies die Rechte des Betriebsrats nicht beschneiden. Aus diesem Grunde hat das Bundesarbeitsgericht den Anträgen des Betriebsrats überwiegend stattgegeben.

 

Fazit damit:

 

Ein Tarifvertrag kann die gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats aus § 80 BetrVG nicht aufheben oder einschränken. Dies betrifft insbesondere die in § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG geregelte Überwachungspflicht. Regelungen in einem Tarifvertrag sind damit nicht von vornherein jeder betriebsverfassungsrechtlichen Kontrolle entzogen.

 

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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