27.05.2004 -

Bei Betriebsratswahlen müssen zahlreiche Wahlvorschriften beachtet werden. Die Praxis zeigt, dass die Fehlerquote gerade nicht geschulter Wahlvorstände erheblich ist. Wird die Wahl trotz etwaiger Mängel fortgesetzt, stellt sich die Frage, ob die Wahl angefochten werden kann bzw. gravierende Mängel sogar zur Nichtigkeit der Wahl führen. In einem aktuellen Beschluss hat sich das Bundesarbeitsgericht grundlegend zur Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Betriebsratswahlen geäußert und dabei eine alte Rechtsprechung aus dem Jahre 1976 aufgegeben (Bundesarbeitsgericht, Beschl. v. 19.11.2003 – 7 ABR 24/03 -, zur Veröffentlichung vorgesehen; Aufgegebene Rechtsprechung von Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 27.04.1976 – 1 AZR 482/75 -, AP Nr. 4 zu § 19 BetrVG 1972 = EzA Nr. 8 zu § 19 BetrVG 1972).

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Die antragstellende Arbeitgeberin ist eine aus einer Kreissparkasse ausgegliederte Gesellschaft, bei der im Zeitpunkt der Betriebsratswahlen 59 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt waren, von denen 52 über einen eigenen E-Mailanschluss verfügten. Auf Einladung von drei Mitarbeiterinnen, die an die Beschäftigten per E-Mail versandt wurde, fand am 27. Dezember 2001 eine Betriebsversammlung statt, an der unter anderem die Geschäftsführer der Arbeitgeberin teilnahmen.

Auf dieser Betriebsversammlung wurde ein aus drei Arbeitnehmerinnen bestehender Wahlvorstand gewählt. Dieser fasste ohne Einwendungen der Teilnehmer der Betriebsversammlung den Beschluss, die Betriebsratswahl im vereinfachten Wahlverfahren nach den neuen Bestimmungen zum Betriebsverfassungsreformgesetz 2001 durchzuführen. Der Wahlvorstand erstellte in der Versammlung ferner eine Wählerliste und nahm Wahlvorschläge entgegen.

Die Vorsitzende des Wahlvorstandes informierte am 10. Januar 2002 die Beschäftigten per E-Mail darüber, dass am 28. Januar 2002 im Casino die Betriebsversammlung mit Wahl des Betriebsrats stattfinden werde. Diese Einladung enthielt die Bitte, auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu informieren, die nicht per E-Mail zu erreichen seien.

An der Betriebsratswahl am 28. Januar 2002 nahmen 48 Arbeitnehmer teil, darunter auch Arbeitnehmer, die über keinen E-Mailanschluss verfügten. Der Wahlvorstand teilte der Arbeitgeberin am 31. Januar 2002 schriftlich die Namen der Betriebsratsmitglieder mit. Die Arbeitgeberin machte mit einem am 14. Februar 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend. Sie hat die Betriebsratswahl für anfechtbar und wegen der Vielzahl von Fehlern im Wahlverfahren für nichtig gehalten.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Nichtigkeit der Wahl festgestellt.

Die Entscheidung:

In der Rechtsbeschwerde hat das Bundesarbeitsgericht die Wahl des Betriebsrats aufgrund der rechtzeitigen Anfechtung für unwirksam erklärt. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die Wahl vom 28. Januar 2002 jedoch nicht nichtig.

I. Problem des Falles

Das Betriebsverfassungsgesetz regelt in § 19 BetrVG lediglich die Wahlanfechtung. Neben der Wahlanfechtung kann aber auch die Nichtigkeit einer Wahl jederzeit von jedermann geltend gemacht werden. Die Unterscheidung hat nicht nur theoretische Bedeutung. Für die Wahlanfechtung gilt die 2-Wochen-Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Nur innerhalb einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses an gerechnet, kann die Anfechtung beim zuständigen Arbeitsgericht geltend gemacht werden.

Wird die 2-Wochen-Frist versäumt, ist grundsätzlich auch ein nicht ordnungsgemäß gewählter Betriebsrat bis zum Ablauf der regelmäßigen Amtszeit mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt. Dies dient der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats und schützt das Vertrauen – auch der Belegschaft – in die Gültigkeit der vom Betriebsrat im Rahmen seiner Geschäftsführung vorgenommenen Handlungen.

Bei der Nichtigkeit einer Wahl wurde jedoch so grob und offensichtlich gegen Wahlvorschriften verstoßen, dass auch nur von dem Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr gesprochen werden kann und dies auch sofort ohne Weiteres erkennbar ist. Nur in diesen Ausnahmefällen ist die Wahl von Anfang an nichtig. Die Nichtigkeit kann dann auch zu einem späteren Zeitpunkt, also nach Ablauf der 2-Wochen-Frist des § 19 BetrVG, jederzeit von jedermann geltend gemacht werden. Die Unterscheidung ist daher für die Gültigkeit der Betriebsratswahl von erheblicher Bedeutung.

II. Verstoß gegen Wahlvorschriften

In dem vorliegenden Fall ist bei der Wahl gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen worden. Aus der Vielzahl der Verstöße sind folgende zu nennen:

1.         Zu der Betriebsversammlung müssen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingeladen werden. Es gehört zu den wesentlichen Grundsätzen einer Wahl, dass die Wahlberechtigten von der Wahlversammlung, ihrem Ort und ihrer Zeit Kenntnis erhalten. Dies kann durch Aushang oder auch mittels einer im Betrieb vorhandenen Informations- und Kommunikationstechnik geschehen. In allen Varianten muss aber sichergestellt werden, dass die Einladung alle Wahlberechtigten erreicht. Vorliegend war dies wegen des fehlenden E-Mailanschlusses einiger Arbeitnehmer nicht gewährleistet.

2.         Das vereinfachte Wahlverfahren für Kleinbetriebe nach § 14 a BetrVG kann in Betrieben mit in der Regel 51 – 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern nur über eine Vereinbarung zwischen Wahlvorstand und Arbeitgeber durchgeführt werden. Daran fehlte es vorliegend. Dem Schweigen der Geschäftsführer in der Betriebsversammlung lässt sich keine zustimmende Willenserklärung entnehmen.

3.            Tatsächlich hätte damit die Wahl nicht im vereinfachten Wahlverfahren, sondern im Regelverfahren durchgeführt werden müssen. Damit wurden alle für das Regelverfahren geltenden Vorschriften des Gesetzes und der Wahlordnung nicht beachtet.

4.            Unabhängig davon hat der Wahlvorstand aber auch Vorschriften für das von ihm zu Unrecht betriebene vereinfachte Verfahren missachtet. Dies betrifft die Wählerliste, die getrennt nach Geschlechtern aufgestellt werden muss. Auch das Wahlausschreiben wurde nicht ordnungsgemäß erlassen. Zudem war es inhaltlich nicht korrekt. Unzulässig war auch die ausschließliche Bekanntmachung per E-Mail. Für die weiteren Einzelheiten verweisen wir auf die Lektüre des § 36 Wahlordnung.

5.            Schließlich waren diese Verstöße insgesamt auch geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Betriebsratswahl, wenn durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Davon konnte vorliegend wegen der zahlreichen Verstöße, insbesondere wegen des fehlerhaft durchgeführten vereinfachten Wahlverfahrens, nicht ausgegangen werden.

III. Zahlreiche Anfechtungsgründe führen nicht zur Nichtigkeit!

Das Bundesarbeitsgericht hatte in einer Entscheidung aus dem Jahre 1976 2) noch entschieden, dass von einer dem Gesetz entsprechenden Wahl im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes dem äußeren Anschein nach dann nicht mehr die Rede sein könne, wenn nach einer Gesamtwürdigung des in Betracht kommenden Prozessstoffes insgesamt gesehen die Verstöße gegen die Vorschriften des Wahlverfahrens so offensichtlich und schwerwiegend seien, dass das Wahlverfahren nicht mehr als ein nach dem Gesetz durchgeführter Wahlakt angesehen werden könne. Aus diesen Gründen könne auch die addierte Summe der Fehler nach einer Gesamtwürdigung zur Nichtigkeit führen.

Würde man diese Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall anwenden, wäre die Wahl nichtig. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch in der vorliegenden Entscheidung diese alte Rechtsprechung endgültig aufgegeben. Anfechtungsgründe führen nur zur Unwirksamkeit der Betriebsratswahl. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur dann geboten, wenn bereits ein einzelner Verstoß für sich zur Nichtigkeit führt. Rechtfertigen hingegen zahlreiche einzelne Verstöße jeweils für sich genommen „nur“ die Anfechtung der Betriebsratswahl, kann die Wahl insgesamt nicht als nichtig angesehen werden.

Fazit damit:

Der geänderten Rechtsprechung ist zuzustimmen. Anfechtungsgründe müssen innerhalb von zwei Wochen gerichtlich geltend gemacht werden. Andernfalls bleibt die Wahl endgültig wirksam. Nichtigkeitsgründe sind nur in seltenen Ausnahmefällen gegeben. Zahlreiche Anfechtungsgründe führen hingegen nicht zur Nichtigkeit.

 

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

 

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